In der jüngsten Zeit scheint das Thema vormoderner Revolten einen zaghaften Aufschwung in der internationalen Forschung zu erleben. Die Beschäftigung mit Aufständen aus einzelnen nationalhistoriografischen Perspektiven heraus war zwar nie verschwunden. Jedoch waren in den letzten Jahren die Versuche deutlich zurückgetreten, eine europäische Perspektive auf zu entwickeln – zumindest im Vergleich zu den relativ intensiven Diskussionen zwischen den 1970er und den beginnenden 1990er Jahren. Man mag dieses Phänomen nicht zuletzt als eine Konsequenz des derzeit dominierenden Forschungskonsenses begreifen, der Revolten oder Aufstände als immanenten Bestandteil vormoderner Herrschaftsorganisation begreift. Dabei ist nicht nur die kritische Auseinandersetzung mit übergreifenden entwicklungsgeschichtlichen Interpretationen etwa marxistischer Provenienz obsolet geworden.
Ebenso hat die theoretische Debatte über Ereignis und Struktur, die auch die Revoltenforschung befeuert hatte, seit Längerem ihre Frontlinien eingebüßt. Da vor diesem Hintergrund allgemein die Kontingenz der Entstehung von Revolten und ihre gleichzeitige Omnipräsenz konstatiert werden, scheint dem übergeordneten Vergleich tendenziell ein schlagkräftiges tertium comparationis abhanden zu kommen. Daher ist es kaum erstaunlich, dass weniger die Beschäftigung mit Aufstandsvorgängen selbst als deren narrative und mediale Verarbeitungen zum neuen Ansatzpunkt vergleichender Ansätze zu werden scheinen.
In diese Tendenz reiht sich auch der vorliegende Sammelband ein. In ihrer Einleitung betont die Herausgeberin folgerichtig, Revolten sollten als Teil der Aushandlung von Herrschaft begriffen werden. Zum anderen sollen, wie schon der Titel des Bandes programmatisch deutlich macht, die agency der handelnden Akteure sowie die Erinnerung an Revolten in den Mittelpunkt gestellt werden. Der dritte Ansatzpunkt des Bandes wiederum ist in der Auseinandersetzung mit traditionellen Vorannahmen von historischen Strukturen historischer Regionen in Europa zu finden. Die Behandlung eines »Habsburg central Europe« (S. 20) begründet Erdélyi mit dem nicht zu leugnenden Umstand, dass Baueraufstände im geografisch östlicheren Teil Europas bislang kaum intensiver in die Überlegungen europaweit vergleichender Forschung einbezogen worden sind.
Abgesehen von der Tatsache, dass sich ein großer Teil der Beiträge dabei auf Ungarn bezieht, könnte man an dieser Stelle sicherlich ausführlicher über diesen geographischen bzw. herrschaftstechnischen Zuschnitt diskutieren. Erfreulich ist zweifelsohne, dass das Heilige Römische Reich, Ungarn, die österreichischen Erbländer sowie Böhmen und Mähren in einem Zusammenhang begriffen werden, der ansatzweise die zweifelhafte traditionelle Trennung in ost- und westeuropäische Geschichte überwindet. Von der Verteilung der Beiträge her wäre dann allerdings eine stärkere geographische bzw. territoriale Diversifizierung sicherlich wünschenswert gewesen.
An der Fülle der thematischen Ansprüche, die gleichzeitig eingelöst werden sollen, lässt sich vielleicht auch der größte Kritikpunkt an diesem insgesamt doch lesenswerten Band festmachen. Er unterteilt sich in vier Hauptkapitel, von denen das ersten das Problem des Gemeinen Mannes skizziert, während das zweite sich mit dem Thema des religiösen Radikalismus im weiteren Umfeld von Aufständigkeit beschäftigt. Der dritte und vierte Hauptteil wiederum umfassen mehr als die Hälfte aller Aufsätze und widmen sich dem erinnerungstechnischen Umgang mit Bauernrevolten in der Frühen Neuzeit sowie dem 19. und 20. Jahrhundert.
Abgesehen von dem Beitrag Giorgio Politis, der eine quellenkritische Einordnung der vorgeblichen Landesordnung des Tiroler Bauernführers Michael Gaismaier vornimmt, beziehen sich dabei alle Aufsätze des dritten und vierten Hauptteils auf die Erinnerung an den ungarischen Bauernaufstand von 1514 und seinen Anführer György Dózsa. Demgegenüber hat man es bei den Aufsätzen in den ersten beiden Teilen des Bandes mit Beiträgen zu tun, die eine breitere Auswahl von Themen aus mährischen, italienischen und ungarischen Kontexten präsentieren. Mithin umkreisen die Studien zum Gemeinen Mann und zu religiöser Radikalität in einem weiteren Kontext auch immer wieder den Dózsa-Aufstand von 1514, gewissermaßen bieten sie dessen Kontextualisierung ohne ihn selbst zum zentralen Gegenstand zu machen, während die Beiträge zur Erinnerung sich auf diesen Aufstand verengen. In der konzeptionellen Gesamtschau kommt so eine gewisse Irritation zustande, da der Band am Ende doch vor allem um das Zentrum des Dózsa-Aufstandes zu kreisen scheint, ohne dass dieser selbst unmittelbaren Analysen unterworfen wird.
Als Auftakt der Studien zum Gemeinen Mann fasst zunächst der mittlerweile verstorbene Peter Blickle noch einmal seine klassische Thesenbildung zusammen, während Katalin Péter in einem instruktiven Beitrag die Frage des robot und der herrschaftlichen Beziehung zwischen adligen Grundherren und Bauern aus dem Blickwinkel der Freiheit beleuchtet und dabei nicht nur die negative Bedeutung der Herrendienste relativiert, sondern auch die soziale ständische Dynamik der ländlichen Gesellschaft in Ungarn aufzeigt. Hieran anschließend überträgt Marco Gentile die Überlegungen zum Gemeinen Mann auf Norditalien, indem er den Bauernaufstand on 1462 in Piacenza als eine Revolte charakterisiert, die über einen traditionellen Aufruhr hinausging und neue herrschaftliche Organisationsoptionen der Bauern hervorbrachte.
Im knappsten Teil des Bandes, der sich religiösen Aspekten widmet, schlagen Martin Rothkegel und Zoltán Csepregi jeweils Brücken zum Bauernkrieg beziehungsweise zur radikalen Reformation. Während Rothkegel die Frage der Institutionalisierung des konfessionell devianten Täufertums und dessen Verhältnis zu Monarchie und Grundherrschaft in Mähren skizziert, verfolgt Csepregi anhand etlicher quellentechnisch mehr oder weniger gut erschließbarer Vergleichsfälle das Konzept des Bundes oder Bundschuhs insbesondere an oberungarischen Beispielen. Der in diesen Teil integrierte Beitrag von Pál Ács wäre im vierten Teil des Bandes zum 19. und 20. Jahrhundert sicherlich besser aufgehoben gewesen. Ács bietet eine kurze, aber interessante Zusammenfassung historiografiegeschichtlicher Natur, die sich mit der Interpretation der Rolle der Franziskaner im Dózsa-Aufstand beschäftigt, die der auch international bedeutende ungarische Historiker Jenő Szűcs zu Beginn der 1970er Jahre geprägt hatte.
Die durchweg lesenswerten Beiträge zur frühneuzeitlichen narrativen Verarbeitung des Dózsa-Aufstandes sind allesamt durch die Tendenz gekennzeichnet, den humanistischen Erzählungen nicht nur ihre Prägung durch die Orientierung an konfessionellen (besonders Gergely Tóth) und antiken Erzählmustern (Farkas Gábor Kiss, László Szörényi), insbesondere Sallust, nachzuweisen. Man darf vielleicht behaupten, alle Beiträge zur humanistischen Geschichtsschreibung zeichnen sich mehr oder weniger explizit durch die These aus, die Kiss programmatisch im ersten Beitrag des Teils entwickelt. Er zeigt, dass viele dieser Aufstandsnarrationen durch eine erhebliche argumentative Ambiguität gekennzeichnet waren. Nichtsdestoweniger trat diese Ambiguität im Verlaufe einer späteren Konfessionalisierung der Aufstandserzählung zurücktrat, wie gerade Tóth nachweist.
Gabriella Erdélyi ihrerseits präsentiert am Beispiel von Gnaden-Eingaben beim Heiligen Stuhl der am Aufstand auf verschiedenen Seiten beteiligten Kleriker, wie stark die Gewalttätigkeit des Geschehens aus den Darstellungen der Beteiligten im Nachhinein verschwand, während sie in der Geschichtsschreibung zu einem entscheidenden narrativen Faktor wurde.
Der von der Zahl der Beiträge her umfangreichste Hauptteil des Sammelbandes beschäftigt sich schließlich mit der Erzählung der ungarischen Bauernrevolte im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert. Neben einem Seitenblick auf den späteren Bauernaufstand in Kroatien (Nataša Štefanec) wird vor allem deutlich, wie der Dózsa-Aufstand erst mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer wirksamen, national aufgeladenen Narration werden konnte (Márton Szilágyi), die schließlich im sozialistischen Nachkriegsungarn trotz aller Anstrengungen von Partei und Regierung allerdings nur noch begrenzt als effizienter Teil einer nationalisierten ideologischen Erzählung mobilisiert werden konnte (Erszébet Tatai, Márta Fata).
Positiv hervorzuheben seien schließlich die Integration zahlreicher Bildquellen in den Band und das ausführliche Namens- Orts- und Sachregister.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Kolja Lichy, Rezension von/compte rendu de: Gabriella Erdélyi (ed.), Armed Memory. Agency and Peasant Revolts in Central and Southern Europe (1450–1700), Göttingen (Vandenhoeck + Ruprecht) 2016, 361 p. (Refo500 Academic Studies, 27), ISBN 978-3-525-5-5097-7, EUR 100,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45713