Die Dissertation analysiert, mit welchen Strategien ein nicht regierender Fürst des Alten Reiches im schwedischen Exil seine sozialen und materiellen Ressourcen zu wahren oder gar zu mehren suchte. Pfalzgraf Johann Casimir hatte 1615 Katharina Vasa geheiratet; als die vom Prager Fenstersturz veranlassten Kriegswirren den Oberrhein erreichten, lud Gustav Adolf seine Halbschwester und deren Gemahl ins bergende Asyl nach Schweden ein, als standesgemäßer Aufenthaltsort sollten Schloss und Lehen Stegeborg in Östergötland dienen.

In der 40-seitigen Einleitung erfahren wir über Johann Casimir nichts, man kann sie überblättern. Es folgen 80 Seiten, die noch im Reichsverband spielen. Weitere 40 Seiten (die man zum besseren Verständnis des Folgenden jedenfalls kursorisch lesen sollte) legen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Schweden dar. Wir lernen die Staffelung des schwedischen Adels kennen. Als Partner bzw. Konkurrenten maßgeblich waren für den Pfalzgrafen die Angehörigen der beiden ersten Klassen des »Ritterhauses«, Kappelmayer apostrophiert als »Ratsaristokratie«. Die Kriegsjahre sahen eine ganze Reihe von Konnubien zwischen ihr Angehörenden und Fürsten oder Grafen des Alten Reiches; es spitzte sich die Frage zu, ob denn Reichsadel überhaupt vornehmer war als der führende Adel eines skandinavischen Königtums, das sich anzuschicken schien, zur europäischen Großmacht zu avancieren. Vor diesem Hintergrund sind die Ehen der Pfalzgrafenkinder, von denen gegen Ende der Dissertation die Rede ist (vgl. Kapitel 9.2.3), aufschlussreich: Auf zwei Konnubien mit Reichsfürsten folgten 1647 und 1649 solche mit Angehörigen schwedischer Grafengeschlechter.

Wenn der Pfalzgraf endlich beginnt, als Fremder seinen Platz in Schweden zu suchen, hat die Leserin bzw. der Leser Seite 182 erreicht, wo ihn diese verheißungsvolle Überschrift erwartet: »Johann Casimirs Fremdheit zwischen Selbstwahrnehmung und Inszenierung«. Wiederholt charakterisierte der Pfalzgraf seine Position als die eines Exilanten bzw. eines Pilgers. Überzeugend arbeitet Kappelmayer heraus, dass Johann Casimir nicht schmiegsame Anpassung suchte, sondern seine Fremdheit kultivierte.

Ob es, wie der Autor suggeriert, ausschließlich im Dienste von »Standeswahrung« und »Obenbleiben« stand, Distinktion zum weniger feinen schwedischen Adel generieren sollte? Auch das Festhalten am Calvinismus stellt Kappelmayer in diesen strategischen Kontext. Ob zu Recht? Das können wir nicht beurteilen, weil wir den Pfalzgrafen nicht als Persönlichkeit kennenlernen. Sein geistiger Horizont, seine kulturellen Interessen, seine Religiosität erschließen sich uns nicht. Haben wir einen intellektuell beschlagenen Mann mit zeitdiagnostischen Kapazitäten (von denen wir gern profitieren würden) vor uns oder einen tumben Opportunisten mit Karriere-Tunnelblick? Schmerzten ihn die Zumutungen turbulenter Zeitläufte, begriff er sie als bedenkenlos nutzbare Chance für Raffgier? Wir wissen es nach 700 Seiten nicht. Alle Lebensspuren schrumpfen in dieser Dissertation auf »Statuswahrung« ein. Seine Fremdheit herauszustreichen, bot »Johann Casimir eine Möglichkeit, den Aufenthalt seiner Familie im Schwedischen Reich zu legitimieren und zu dissimulieren« (S. 190), aber alle Akteure tarnen und täuschen unentwegt, sogar Vertrauensbekundungen Gustav Adolfs an seinen landfremden Schwager sind »gleichsam dissimuliert« (S. 287).

Gustav Adolf betraute Johann Casimir mit wichtigen militärischen und fiskalischen Aufgaben, »ohne dass diese Funktionen in die Form eines traditionellen Amtes gegossen« worden wären (S. 325). Schlüssig zeigt Kappelmayer, dass auf den Pfalzgrafen dennoch weder der zeitgenössische Favoritenbegriff recht passen will noch der der modernen Forschung. Der Rezensent gewann den Eindruck, dass die Verwendung des Wittelsbachers durch den Vasa-König im Grunde den Typus des absolutistischen Kommissars antizipierte – er übte, (anders als der Favorit) oft in großer räumlicher Entfernung vom König, Kontrollbefugnisse aus, weil Gustav Adolf den einheimischen Amtsträgern unlautere Eigeninteressen und Korruption unterstellte. Dass der Landfremde keine originären, von Zentrale und Krone unabhängigen Machtbastionen im Königreich besaß, verbürgte dem Vasa-König loyale Sachwalterschaft.

Da Johann Casimirs Position nicht institutionalisiert war, brach sie mit dem Tod seines Gönners, Gustav Adolfs, vollständig zusammen. Verbal und zeremoniell erhielt der Pfalzgraf nach wie vor die größten Ehrenbezeugungen, aber (diesen Hiatus, der vor einer Überbewertung titularischer und performativer Aspekte warnen könnte, hat Kappelmayer nicht problematisiert) für die feine Gesellschaft Stockholms war er nun bedeutungslos, und politisch sowieso. Er zog sich in die Provinz zurück und errichtete dort »fürstliche Schlösser im westeuropäischen Stil« (S. 494).

Haben wir eine gelungene Biografie vor uns? Mehr und weniger. Einerseits wirft Kappelmayer viele Seitenblicke: alle möglichen »Kriegshandlungen« in Mitteleuropa, allerlei Besitzgeschacher ebendort (und nicht nur in Schweden), der – eigentlich ja zwischen Hofburg, Pfalz-Neuburg und Kurbrandenburg ausgetragene – Streit um die Regierungsgewalt über Jülich und Kleve (auf gleich zwanzig Seiten) oder aber schwedische Außenpolitik, Kriegführung und Administration im Allgemeinen. Andererseits entzieht sich uns der Pfalzgraf ins Schemenhafte. Als Persönlichkeit bleibt er ungreifbar.

Nun verspricht Kappelmayer eingangs auch gar kein Lebensbild. Aber für den Leser wird doch zusehends zum Motivationsproblem, warum er sich in Rangrangeleien und Karrierestrategien eines Mannes vertiefen soll, der ihm so gar nicht plastisch wird. Die Fußnoten belegen ein überaus großes Lesepensum in Forschungsliteratur, aber war es am Ende gar des Guten zu viel? Verstellte das den Blick auf die Archivalien? Jedenfalls spricht Johann Casimir ziemlich selten wortwörtlich zu uns. Ausführliche Zitate, beispielsweise aus seinen Briefen (etwa an Frau und Kinder – sehnte sich der alternde Pfalzgraf in seinen Provinzschlössern nach ihnen, teilte er mit ihnen dieses individuelle Bangen, jenes persönliche Hoffen, suchte er ihnen zeitdiagnostische Einsichten und politische Überzeugungen zu vermitteln?) hätten ihn uns sicher nähergebracht.

Ziehen wir die Summe! Die Dissertation kündet von immensem Recherchefleiß. Ihr Autor hat die Geduld, dicke Bretter zu bohren. Die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten hat er fraglos nachgewiesen. Auch, weil so wenige Archivzitate Zeitumstände und Person lebendig werden lassen, ist es freilich eine anstrengende Lektüre.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Axel Gotthard, Rezension von/compte rendu de: Andreas Kappelmayer, Johann Casimir von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg (1589–1652). Standeswahrung und Fremdheitserfahrung im Schweden Gustavs II. Adolf und Christinas, Münster (Aschendorff) 2017, 704 S., 17 farb. Abb., 9 geneal. Taf., ISBN 978-3-402-13234-0, EUR 59,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45720