Seit den 1980er Jahren hat sich die Beschäftigung mit der Kindheit in der Vormoderne in zahlreichen Forschungsunternehmungen niedergeschlagen. Durch die Wende hin zu neuen Themenbereichen wie der Körpergeschichte, der gender history und der Mentalitätsgeschichte in den 1990er und 2000er Jahren haben sich für die Untersuchung der Kindheit ebenso wie den damit verbundenen Themenbereiche der Schwangerschaft und Geburt neue Forschungsperspektiven ergeben.

Der vorliegende Band untersucht diese Themenbereiche in Bezug auf die mittelalterliche und frühneuzeitliche Hofgesellschaft, in der Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Geburt und frühe Kindheit von eminenter politischer Bedeutung waren. Er entstand aus einer internationalen Tagung, die am 27. und 28. Februar 2014 in der Maison des sciences de l’homme Paris-Nord stattfand. Die von Stanis Perez und Caroline zum Kolk organisierte Tagung stellte die erste Veranstaltung von Cour de France.fr dar, welche es sich zum Ziel gemacht hat, aktuelle Forschungstendenzen in der Hofforschung aufzugreifen und Forschungslücken zu schließen.

Der Band enthält zwölf Aufsätze, von denen elf in französischer und einer in englischer Sprache verfasst sind und die einen Zeitraum vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert behandeln, wobei der Schwerpunkt klar auf der Frühen Neuzeit liegt. Es war das erklärte Ziel der Herausgeber, einen Fokus auf bestimmte Epochen, die bisher in der Hofforschung dominierten, wie beispielsweise die Regierungszeit Ludwigs XIV., zu vermeiden. Neben dem französischen wird auch der burgundische Hof, zum Teil in vergleichender Perspektive, behandelt. Der Band befasst sich mit den Themenbereichen Fortpflanzung, Schwangerschaft und (frühe) Kindheit am Hof sowie deren Rezeption und symbolische Darstellung. Die Sichtweise auf die oft als männliche Sphäre wahrgenommene Hofgesellschaft soll damit akzentuiert werden.

Der erste Teil des Tagungsbandes behandelt unter dem Titel »Prendre soin des princesses et des princes« die (frühe) Erziehung am Hof unter medizin- und zeremoniellgeschichtlichen Gesichtspunkten.

Der erste Beitrag von Laurie Baveye-Kouidrat befasst sich mit Geburten und Geburtshilfe und dem damit betrauten medizinischen Personal am burgundischen Hof des Spätmittelalters. Untersucht werden dabei vor allem die Hebammen, von denen allerdings wenige namentlich bekannt oder biographisch greifbar sind. Für den Untersuchungszeitraum stellt Baveye-Kouidrat sowohl eine zunehmende Professionalisierung des Hebammenberufs als auch deren nachlassende Bedeutung fest. Entgegen dem Bild von Geburten als rein weiblichen Angelegenheiten kam es zu einem zunehmenden Bedeutungszuwachs des männlichen medizinischen Personals und insbesondere der Chirurgen. Pauline Ferrier behandelt anhand der sogenannten layette am Hof Ludwigs XIV. mit der mit Geburten verbundenen materiellen Kultur, während Pascale Mormiche das mit Schwangerschaften in der königlichen Familie verbundene Zeremoniell im 17. und 18. Jahrhundert untersucht. Besonders beachtet werden dabei die Bekanntgabe der Schwangerschaft gegenüber verschiedenen Instanzen (dem König, der europäischen Fürstengesellschaft, den eigenen Untertanen) und deren politische Implikationen, sowie die Begleitung der Schwangerschaft durch Änderungen im Hofzeremoniell. Auch die Bedeutung von religiösen Praktiken der Schwangeren und das Zeremoniell während der Geburt werden berücksichtigt.

Die institutionelle Basis für die Erziehung königlicher Kinder untersucht Caroline zum Kolk anhand der Maison des enfants de France am Beispiel der Kinder Heinrichs II. und Katharina de Medicis. Das dabei hervorgehobene Themenfeld der medizinischen Versorgung von Kindern am Hof wird auch in dem folgenden Beitrag von Jacqueline Vons (Tours) anhand einer polemischen Auseinandersetzung des Arztes Rodolphe Le Maistre mit seinen Kritikern untersucht. Die 1616 vom Arzt der jüngeren Kinder Maria de Medicis veröffentlichte Brochüre »La santé du prince ou le soing qu’on y doit observer« spiegelt den zeitgenössischen Diskurs über geeignete medizinische Behandlungsmethoden wieder.

Der zweite Teil behandelt das Themenfeld der Darstellung königlicher Körper in Bezug auf (Un)fruchtbarkeit und Geburt.

Ghislain Tranié untersucht die Auswirkungen von Unfruchtbarkeit auf die königlichen Körper anhand des Beispiels Heinrichs III. und Louises von Lothringen, wobei er die Probleme in der Selbstdarstellung und der symbolischen Kommunikation, die dem Paar aufgrund der Kinderlosigkeit entstanden, sowie Lösungsversuche in Form von Selbstdarstellung in Bildern der Königin und höfischen Balletten, untersucht. Stanis Perez befasst sich mit der Symbolik von Geburten am Hof im 17. und 18. Jahrhundert, wobei er einen grundlegenden Weg von einer mit Allegorien und Verweisen auf die Mythologie und Astrologie und der Darstellung von Geburten als göttliches »Wunder« hin zu einer zunehmend rationalisierten Darstellungsweise der Kinder der Königsfamilie als »Kinder des Staates« oder der Nation feststellt. Emmanuelle Verthiaus untersucht die – seltenen – bildlichen Darstellungen von Schwangerschaften französischer Königinnen und Prinzessinnen von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert. Solche Darstellungen wurde nur in Krisenzeiten, wenn die Schwangerschaft und Geburt eines Thronfolgers dringend erwartet wurde, angefertigt und stellten daher Versuche der propagandistischen Überwindung der durch die Nachfolgeproblematik aufgetretenen Instabilität der Monarchie dar.

Der dritte Teil behandelt Fortpflanzung und Geburten in ihren politischen Dimensionen.

Stéphanie Richard (Paris IV) beschäftigt sich mit Annullierungsversuchen von Ehen französischer Könige im Spätmittelalter, anhand von drei Fällen, die in diesem Zeitraum vor kirchliche Gerichte gebracht wurden. Die beiden Fälle, in denen die Annullierung erfolgreich war, basierten beide auf der Unfruchtbarkeit der Königin und erfolgten kurz nach der Thronbesteigung. Der fehlende Nachwuchs machte die Königinnen hier also politisch angreifbar. Neben der Fruchtbarkeit konnte allerdings auch, wie im Fall Ludwigs XII., die Entscheidung zur Annullierung dadurch beeinflusst werden, dass sich für den neuen König politisch bedeutendere Heiratsmöglichkeiten ergaben. Der Beitrag von Steven Thiry vergleicht dagegen die Feiern von Geburten und Taufen in Frankreich und Burgund im späten 15. und 16. Jahrhundert. Bei den habsburgisch-burgundischen Taufen richtet sich die symbolische Kommunikation dabei an die eigenen Untertanen, denen das Kind als rechtmäßiger zukünftiger Herrscher vorgestellt wird, während in Frankreich die Feierlichkeiten eher an die europäische Fürstengesellschaft adressiert waren.

In ihrem Beitrag zu den Feiern anlässlich der Geburt Ludwigs XIV. 1638 untersucht Géraldine Lavieille an den in der zeitgenössischen Publizistik verbreiteten bildlichen Darstellungen des Neugeborenen und seiner Eltern die Konstruktion eines »Wunders«, welches als Anzeichen für den göttlichen Schutz des Königshauses gewertet wurde. Sie hebt die starke religiöse Prägung der Feiern und insbesondere die Einbeziehung der Marienverehrung hervor. Charles-Éloi Vial untersucht Erziehungsprojekte Napoleons für seinen Sohn. In diesen wurde sowohl an die Praxis des Ancien Régime (Erziehung in einer Maison des enfants de France, Hierarchie des Personals) als auch des Alten Reiches (Verwendung des Titels »König von Rom« und des damit verbundenen Zeremoniells) angeknüpft.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Nina Pösch: Pascale Mormiche, Stanis Perez (dir.), Naissance et petite enfance à la cour de France. Moyen-Âge–XIXe siècle, Villeneuve-d’Ascq (Presses universitaires du Septentrion) 2016, 234 p. (Histoire et civilisations), ISBN 978-2-7574-1379-1, EUR 23,00., in: Francia-Recensio 2018/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45729