Protagonisten der Französischen Revolution wie Georges Danton und Maximilien Robespierre haben einen festen Platz in der historischen Erinnerungskultur errungen, die Bewertungen von Person und Politik sind dabei jedoch oftmals höchst umstritten. Jüngere Forschungen betonen darüber hinaus die Bedeutung lange vernachlässigter Akteure, etwa des in den Büros des Wohlfahrtsausschusses tätigen Personals, sowie von Frauen als politischen Akteurinnen. »Akteure« der Revolution waren nicht zuletzt aber auch Handwerker, Bauern, Kaufleute, Soldaten, Künstler, Literaten und Publizisten etc. Zu einigen dieser Akteure beziehungsweise Akteursgruppen eröffnen jüngere Forschungen innovative biografische und anthropologische Zugänge.

Von deutscher Seite aus legt nun Johannes Willms eine Biografie zu einem der umstrittensten Akteure der Revolutionsgeschichte vor: dem Grafen von Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti (1749–1791). Das wechselvolle Schicksal dieses Protagonisten – einer der wichtigen Figuren in der revolutionären Frühphase, als sich die Generalstände im Juni 1789 zur Nationalversammlung transformierten, deren Präsident er 1791 wurde, Stütze konstitutionell-monarchischer Positionen, nach seinem Tode im Pantheon beigesetzt, infolge des Nachweises seiner Verbindungen zum Hof jedoch 1793/1794 daraus verbannt – in der Geschichte der Revolution erinnert in vielen Punkten eher an andere ihrer Hauptakteure, die vor ihrem tiefen Fall einen fulminanten Aufstieg erlebt hatten, als dass es ihn zu der Ausnahmegestalt machte, zu der Willms seine Hauptfigur stilisieren möchte.

Die Problematik dieses Unterfangens zeigt sich gleich im ersten Satz des Buches. Zwar war Mirabeau durchaus älter als viele führende Revolutionäre wie Danton und Robespierre, die 1789 erst 30 beziehungsweise 31 Jahre zählten, oder gar als der 22-jährige Saint-Just. Der Altersunterschied zu vielen führenden Köpfen der Revolution war jedoch keineswegs so gravierend und außergewöhnlich, wie Willms suggeriert: Beim Ausbruch der Revolution war Mirabeau selbst 40 Jahre alt, nicht »43«, wie es gleich zu Beginn des Prologs heißt (S. 9). Mirabeau verstarb bekanntlich mit 42 Jahren bereits 1791 und erreichte das von Willms angegebene Alter gar nicht. Damit war er 1789 jünger als beispielsweise Condorcet, der im Jahr des Ausbruchs der Revolution schon 46 Jahre alt war. (Kleinere Ungenauigkeiten bei keineswegs nebensächlichen Datierungen finden sich übrigens gelegentlich auch an anderer Stelle: So datiert das französisch-österreichische Bündnis von 1756, nicht »1755«, S. 114, Friedrich der Große verstarb am 17. August 1786, nicht »am 17. Juli«, S. 134, und erste Kleriker ließen ihre Mandate beim Dritten Stand am 13. Juni, nicht »Mai«, 1789 verifizieren, S. 198.) Älter also war Mirabeau als viele Revolutionäre, aber mitnichten einer anderen Generation angehörend.

Willms präferiert jedoch andere Vergleiche: Mehrfach wird Mirabeau als »Richelieu der Revolution« (so auch der Titel des dritten Hauptteils) bezeichnet, sein konstitutionell-monarchisches Konzept erscheint dem Biografen als »Vorwegnahme der V. Republik« (S. 9), die dann von Charles de Gaulle 1958 durchgesetzt worden sei. Solche Vergleiche erscheinen (wie im ersten Fall) wenig weiterführend oder (wie im zweiten) sehr gewagt.

Wie kann es angesichts des nach Willms zwar zu Mirabeaus Lebzeiten »keine realistische Chance« besitzenden, aber offenbar doch so zukunftsweisenden politischen Konzepts sein, dass Mirabeau in der Revolutionshistoriografie und in der Erinnerungskultur überwiegend kritisch betrachtet wird? Die Ursache ist Willms zufolge leicht ausgemacht: Über Mirabeau sei geradezu eine »Damnatio memoriae« verhängt worden, »weil die Deutungshoheit der Revolution rund 200 Jahre lang von der Sicht seiner Widersacher, den Parteigängern der Jakobiner um Robespierre, beherrscht wurde« (S. 10). Die Anhänger des »Amok laufenden revolutionären Tugendwahn[s]« (S. 277) hätten so letztlich die Oberhand gewonnen und Mirabeau mit dauerhaft wirksamen »Verzerrungen und Verleumdungen« (S. 276) überzogen.

Ein veritabler politischer Widersacher konnte Robespierre für Mirabeau allerdings bereits deshalb kaum sein, weil die »chandelle d’Arras« erst nach dem Tode des »flambeau de la Provence« zu politisch gestaltendem Einfluss gelangte. Die »Jakobiner« von 1789/1791 und 1793/1794 über einen Kamm scheren zu wollen, erscheint höchst problematisch, zumal Mirabeau selbst zeitweise im Jakobinerclub präsidiert hatte. Vor allem aber ist es angesichts der überaus kritischen Bewertung Robespierres in weiten Teilen der Revolutionshistoriografie und seiner öffentlichen Marginalisierung, etwa beim bicentenaire von 1989, äußerst fragwürdig, gerade in seiner Person einen »Gewinner« in der Geschichtsschreibung oder Erinnerungskultur ausmachen zu wollen.

Worauf gründet Willms sein Urteil? Da ein Quellen- und Literaturverzeichnis fehlt, setzt die Beantwortung dieser Frage die Auswertung des Anmerkungsteils voraus. Daraus folgt, dass Willms – abgesehen von jüngeren Quelleneditionen und eigenen Publikationen – lediglich drei Titel anführt, die nach 1970 erschienen sind. Dabei handelt es sich um den »Mirabeau« von Jean-Paul Desprat (2008)1, »Joseph II.« von Derek Beales (2009)2 und »La Noblesse au XVIIIe siècle. De la féodalité aux Lumières« von Guy Chaussinand-Nogaret (Paris 1976).

Es findet keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Revolutionsforschung der letzten fünf Jahrzehnte statt, die in wesentlichen Teilen sogar ignoriert wird. Daher gelingt es dem Verfasser nicht, die durch sein Quellenstudium generierten Ergebnisse für übergreifende Fragestellungen nutzbar zu machen.

Das chronologisch die Geschichte Mirabeaus von den familiären Ursprüngen über die Wiege bis zur Bahre und den Wechselfällen um die Ruhestätte des Leichnams erzählende Buch erschöpft sich in weiten Teilen – abgesehen von der eingehenderen Interpretation mehrerer Werke Mirabeaus – in der Darstellung familiärer, amouröser und politischer Anekdoten. Dies ist umso bedauerlicher, als Willms in bemerkens- und anerkennenswerter Breite auf ediertes Quellenmaterial zurückgreift.

Der Verlag preist das Werk auf dem Cover allzu vollmundig als »[m]it Bravour und glänzender Sachkenntnis erzählt« an, das dem Rezensionsexemplar beiliegende Werbeprospekt stellt es gar neben die jüngeren Publikationen Heinz Schillings, Hubert Wolfs, Volker Reinhardts und Barbara Stollberg-Rilingers. Zu der Diskursgemeinschaft der Historikerinnen und Historiker gehört Willms allerdings nur bedingt. Diese Partizipation setzt voraus, sich mit anderen geschichtswissenschaftlichen Positionen auseinanderzusetzen. Dass Willms zumindest doch mehr davon zur Kenntnis genommen hat, als es das hier zu besprechende Buch verrät, zeigt immerhin seine 2014 ebenfalls bei Beck in München verlegte Geschichte der Französischen Revolution »Tugend und Terror«.

Ungewöhnlich sind in einem gefällig formulierten Buch einige eng am französischen Sprachgebrauch orientierte Wendungen: So wäre es im Deutschen ein Anliegen, einem Namen »Glanz« zu verleihen, nicht »Eklat« (S. 26); »Rechtszustände zu renovieren« (S. 159) erscheint ebenso ungebräuchlich wie ein dem Duden widersprechender Genusgebrauch bei Ancien Régime (etwa S. 32) oder die Bezeichnung des Merowingerkönigs Chlodwig mit der französischen Namensform »Clovis« (S. 189).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Willms eine stilistisch ansprechend verfasste, detailreiche und »lebendige« Darstellung Mirabeaus vorgelegt hat, deren über das Biografische hinausreichender wissenschaftlicher Wert sich gleichwohl als sehr begrenzt erweist.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Guido Braun: Johannes Willms, Mirabeau oder Die Morgenröte der Revolution. Eine Biographie, München (C. H. Beck) 2017, 397 S., ISBN 978-3-406-70498-7, EUR 26,95., in: Francia-Recensio 2018/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45737