Obwohl die gegenwärtige Erforschung der deutsch-französischen Versöhnung nach 1945 dazu tendiert, das Thema in einen europäischen Rahmen einzubetten1, gibt es Aspekte, deren Untersuchung zuerst aus einer deutsch-französischen Perspektive nötig ist. Dies gilt zum Beispiel für Verständigungsinitiativen, die im christlichen Glauben verankert waren und die bisher (vor allem von französischer Seite) nur begrenzt erforscht worden sind.

Das Hauptanliegen Ulrike Schröbers ist deshalb, diese Lücke mit Blick auf das Engagement kirchlicher Akteure der deutsch-französischen Annäherung zu schließen. Sie tut dies unter gleichzeitiger Einbeziehung der katholischen und protestantischen Seite und mit der Prämisse, dass »der christliche Glaube mit seinen friedensstiftenden und ‑fördernden Impulsen einschließlich der Idee der Vergebung« über einen anderen Ausgangspunkt für die Völkerverständigung verfüge als andere gesellschaftliche und politische Annäherungsversuche (S. 19). Konkret untersucht die Autorin das Beispiel von Marcel Sturm und Robert Picard de la Vacquerie, die als oberste Militärgeistliche (aumôniers inspecteurs) in der französischen Besatzungszone in Deutschland tätig waren. Das Thema bearbeitete Schröber im Rahmen einer Promotion, die in das Graduiertenkolleg »Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung ›Europa‹ (1890 bis zur Gegenwart)« des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte und der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz eingebunden war, und die sie dort 2013 verteidigte.

Der bearbeitete Zeitraum reicht von 1945 bis 1951, als beide Militärgeistliche in Deutschland stationiert und mit der Seelsorge französischer Soldaten beauftragt waren: Picard de la Vacquerie war zuständig für Katholiken, Sturm für Protestanten2. Die Posten der obersten Militärgeistlichen wurden offiziell erst durch ein Dekret vom Juni 1946 gebildet, wobei für eine potenzielle Annäherung zwischen Deutschen und Franzosen entscheidend war, dass die Befugnisse der aumôniers inspecteurs in den folgenden Monaten ausgeweitet wurden: Die obersten Feldgeistlichen sollten die französische Militärregierung in der Besatzungszone in kirchlichen Angelegenheiten beraten und im ständigen Kontakt zu Vertretern der deutschen Kirchen bleiben (S. 107). In der Praxis war maßgeblich, dass sich Picard de la Vacquerie und Sturm der Unterstützung des französischen Militärgouverneurs Marie-Pierre Kœnig, des ersten Oberkommandierenden der Forces françaises en Allemagne, General Augustin Guillaume, sowie des französischen Hohen Kommissars André François-Poncet erfreuten. Sturm übte die Funktion bis zu seinem frühzeitigen Tod im Juni 1950 aus, Picard de la Vacquerie blieb bis 1951 im Amt, als er zum Bischof von Orléans ernannt wurde und Pariser Stellen die Leitung der Seelsorge der französischen Truppen in Deutschland übernahmen.

Die Quellenbasis der Studie sind offizielle Schriftstücke, vor allem die Korrespondenzen Picards de la Vacquerie und Sturms, ergänzt um ihre Reden und Predigten, sowie gelegentlich Zeitungsartikel. Schröber hat Quellen sowohl staatlicher Provenienz (vor allem aus den Archives diplomatiques und Archives de la Défense) als auch aus kirchlichen Archiven ausgewertet. Hierbei ist hervorzuheben, dass es der Autorin gelang, die fragmentierten und über Deutschland und Frankreich verstreuten kirchlichen Quellen auszuwerten; im Falle des Ökumenischen Rates der Kirchen hat sie auch in Genf recherchiert. Da im Quellenkorpus Schriftstücke privater Natur fehlen, weist Schröber darauf hin, dass »die Hintergründe der Ereignisse und die wirklichen Motivationen Sturms und Picards de la Vacquerie [...] nur über eine Interpretation der in den Quellen beschriebenen offiziellen Verläufe rekonstruiert werden [könnten]« (S. 14). Methodologisch lasse sich die Studie jener Form biografischer Geschichtsschreibung zuordnen, die die Kontextualisierung der Lebensgeschichten akzentuiere (S. 16). Zugleich seien die beiden obersten Militärgeistlichen als Akteure der Zivilgesellschaft zu verstehen.

Der Hauptteil der Monografie gliedert sich in zwei Themenblöcke. Der erste erörtert die Ausgangslage für die Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg. Schröber beschäftigt sich mit den ideologischen und politischen Hintergründen, stellt die kirchliche Situation im deutsch-französischen Vergleich sowie in Bezug auf das NS-Regime dar und führt in die Strukturen der französischen Militärseelsorge ein. Hierbei erwähnt die Autorin wiederholt, dass die damalige Lage in Nachkriegsdeutschland als „Stunde der Kirche“ wahrgenommen worden sei (z. B. S. 83), da die Kirchen mehrheitlich als die einzigen handlungsfähigen und nicht kompromittierten Institutionen in Deutschland galten. Zugleich bietet Schröber einen guten Einblick in die theologischen Diskussionen, die die katholische und evangelische Kirche über Schuld und Mitschuld an den NS-Verbrechen führten und die im Hirtenbrief der Fuldaer Bischofskonferenz (23. August 1945) einerseits und in der Stuttgarter Erklärung (19. Oktober 1945) andererseits Ausdruck fanden (S. 86–90).

Der zweite Themenblock befasst sich gestützt auf eingehende Archivrecherchen mit den beiden Militärgeistlichen, wobei die beiden Teile – über Sturm beziehungsweise Picard de la Vacquerie – jeweils analog strukturiert sind: Einer kurzen Biografie folgt ein Abschnitt, der die Tätigkeit des jeweiligen obersten Militärgeistlichen zugunsten der deutsch-französischen Annäherung untersucht. Im Fokus stehen jeweils die Unterstützung deutscher kirchlicher Bedürfnisse, die Vermittlung zwischen deutschen Kirchen und französischen Behörden sowie Initiativen zu Begegnungen zwischen deutschen und französischen Kirchenkreisen. Schließlich wird die Tätigkeit Sturms und Picards de la Vacquerie systematisch gegenüberstellt und zusammengefasst.

Die beiden obersten Militärgeistlichen waren verbunden durch ihre gemeinsamen Überzeugungen: der natürlichen Verbundenheit der Christen untereinander sowie des engen Zusammenhangs von Schuld und Vergebung. Die Vergangenheit sollte nicht ausgeblendet werden, sollte eine neue Zukunft aber auch nicht behindern, wobei die beiden Geistlichen für den Frieden in Europa eine Annäherung von Deutschen und Franzosen als notwendig ansahen. Der christliche Glaube habe aus Sicht der beiden Geistlichen hier helfen können, weil Sturm und Picard de la Vacquerie ihn als Mittel zur Überwindung des Nationalismus verstanden hätten. Eine konkrete Vorstellung einer (politischen) europäischen Einigung hatten sie jedoch nicht.

Unterschiede zwischen den beiden aumôniers inspecteurs ergaben sich sowohl aus abweichenden Biografien als auch aus Differenzen in den Strukturen der katholischen und evangelischen Kirche. Marcel Sturm (1905–1950) war aufgrund seiner elsässischen Herkunft der deutschen Sprache mächtig und verfügte über wertvolle Kontakte dank seiner früheren Tätigkeit beim Militär der France libre; seine Zeitgenossen beschrieben ihn als charismatische Person. Für die evangelischen Kirchen in der Besatzungszone war er ein wichtiger Informant und Berater; er half ihnen, die Kontakte mit ihren Pendants im Ausland wiederaufzunehmen. Zugleich gelang es ihm, auch Kräfte außerhalb der kirchlichen Hierarchie anzusprechen, etwa den späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann.

Die Wirkung von Robert Picard de la Vacquerie (1893–1969), der wegen seiner Kritik am Vichy-Regime von der Gestapo verhaftet worden war und von seinen Weggefährten als engagierter Mensch charakterisiert wurde, beschränkte sich auf das Milieu der katholischen Geistlichkeit. Dieses Milieu konnte sein Versöhnungspotenzial – im Unterschied zu den Protestanten – nicht nur aus dem christlichen Glauben, sondern auch aus dem Universalitätsanspruch der katholischen Kirche schöpfen. Für Picard de la Vacquerie bedeutete das allerdings, dass seine Tätigkeit in Deutschland an päpstliche Anweisungen gebunden war und auf religiöse Fragen begrenzt blieb. Er unterstützte deshalb die katholische Kirche in der Besatzungszone vor allem bei der Normalisierung ihres Alltags.

Das Engagement beider obersten Militärgeistlichen war keinesfalls konfliktfrei. Schröber nennt vier Bereiche, die Konflikte zwischen französischen Behörden und deutschen Kirchen auslösten (S. 59f.): französische Eingriffe in Erziehungs- und Bildungsfragen, das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen, die Entnazifizierung der deutschen Kirchen und kirchliche Aspekte der Saarfrage. Während Schröber den zweiten bis vierten Punkt in Unterkapiteln ausführlich thematisiert, erfährt man über die Reaktionen Sturms und Picards de la Vacquerie auf die heftigen Proteste deutscher – vor allem katholischer – Kirchenvertreter gegen die französischen Bildungsreformen nichts Näheres. Dabei wurde dieser Streit um die Bevorzugung der Simultanschule vor der Bekenntnisschule, um die Reduzierung des Latein- und Griechischunterrichts an weiterführenden Schulen und die Schaffung überkonfessioneller Lehrerbildungsanstalten für die Volksschulen bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre wissenschaftlich aufarbeitet3. Es ist außerdem zu bedauern, dass es im Buch kein Personenregister gibt. Im Text tauchen Dutzende von Personen auf, die die Autorin jeweils in kurzen biografischen Notizen vorstellt. Allerdings kann man die sonst nützlichen Informationen ohne Register nur schwer nachschlagen.

Trotz dieser Kritikpunkte hat Ulrike Schröber eine quellenfundierte Studie vorgelegt, die spezifische Aspekte einer auf dem christlichen Glauben gründenden Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen überzeugend untersucht. Die Autorin belegt dabei die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten der katholischen und evangelischen Würdenträger. Schließlich bringt sie den Lesern und Leserinnen die Wirkung zweier Brückenbauer näher, die sich um die deutsch-französische Annäherung in einer Zeit verdient machten, als der Verständigungswille unter Politikern sowie bei der breiten Bevölkerung noch sehr beschränkt war.

1 Nur um ein Beispiel anzuführen, siehe ein 850-seitiges Buch, das zwei Experten für die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 herausgegeben haben: Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hg.), Verständigung und Versöhnung nach dem »Zivilisationsbruch«? Deutschland in Europa nach 1945, Brüssel 2016 (L’Allemagne dans les relations internationales, 9) . Der Beitrag über den kirchlichen Beitrag zur Völkerverständigung stammt ebenfalls von Ulrike Schröber (ibid., S. 569–584).
2 In den Zuständigkeitsbereich der beiden obersten Militärgeistlichen fielen französische Besatzungsgebiete sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Aufgrund des Quellenmangels hat sich Schröber auf Deutschland beschränkt (S. 16).
3 Siehe z. B. Hellmuth Auerbach, Französische Besatzungspolitik, Katholische Kirche und CDU in Württemberg-Hohenzollern 1945–1947. Schwierigkeiten mit Bildungsreform und Demokratisierung, in: Joseph Jurt (Hg.), Von der Besatzungszeit zur deutsch-französischen Kooperation/De la période d’occupation à la coopération franco-allemande, Freiburg i. Br. 1993, S. 140–169; Corine Defrance, La politique culturelle de la France sur la rive gauche du Rhin 1945–1955 , Strasbourg 1994 (Les Mondes Germaniques, 2); Stefan Zauner, Erziehung und Kulturmission. Frankreichs Bildungspolitik in Deutschland. 1945–1949 , München 1994 (Studien zur Zeitgeschichte, 43). Alle drei Titel sind in Schröbers Literaturverzeichnis angegeben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Lucie Filipová, Rezension von/compte rendu de: Ulrike Schröber, Auf dem Weg zur europäischen Völkerverständigung – Die deutsch-französische Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg. Marcel Sturm und Robert Picard de la Vacquerie als oberste französische Militärgeistliche in Deutschland, Hamburg (Verlag Dr. Kovac) 2017, 290 S. (Studien zur Zeitgeschichte, 101), ISBN 978-3-8300-9385-5, EUR 98,80., in: Francia-Recensio 2018/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45928