Im Zuge der Globalisierung hat das Interesse an der Geschichte internationaler Organisationen zugenommen. Gemeinhin gelten sie als Orte, an denen Vorstellungen von Globalität verhandelt und Formen globaler Governance erprobt werden. Die Historiografie zur 1945 gegründeten Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) bestätigt diese Tendenz: Nachdem jahrzehntelang v. a. die Institutionengeschichte im Vordergrund stand, lässt sich in jüngerer Zeit auch die Diskussion globalgeschichtlicher Fragen am Beispiel der UNESCO nachweisen1.

In diesem Kontext steht die 2017 veröffentlichte Studie von Katrin Schwarz zur Baugeschichte des Pariser UNESCO-Gebäudes, die 2014 von der Universität Paderborn als Doktorarbeit angenommen wurde. Die vornehmlich auf Archivquellen in Paris, New York und Genf beruhende Arbeit geht der Frage nach, wer hier eigentlich baute: Waren es einzelne Mitgliedsstaaten, die den Bau vorantrieben, oder war tatsächlich eine imaginierte globale Gemeinschaft am Werk? Welche Rolle spielten die Internationalen Kongresse für Neues Bauen (Congrès internationaux d’architecture moderne = CIAM), in denen sich führende Architekten zusammengeschlossen hatten? Und welchen Anteil hatte die Stadt Paris?

Schwarz gliedert ihre Arbeit in drei Hauptteile. Der erste Teil analysiert Planung, Bau und Rezeption des UNESCO-Gebäudes bis zu seiner Einweihung 1958. Dabei wird deutlich, dass der als integratives Kunstwerk geplante Hauptsitz das Ergebnis komplexer Aushandlungsprozesse zwischen politischen Erwartungen und künstlerischen Gestaltungskonzepten war. Das Spannungsfeld von politischer und professionalisierter Bauplanung wird am Wirken des politischen Hauptquartierkomitees und des Expertengremiums der fünf CIAM-Berater Charles Le Corbusier, Walter Gropius, Lucio Costa, Ernesto Rogers und Sven Markelius skizziert.

Schwarz kann zeigen, dass die UNESCO als Bauherrin den Entwurfs- und Bauprozess initiierte, leitete und finanzierte. Trotz demokratischer Entscheidungsstrukturen in den verschiedenen Gremien trafen aber immer wieder Einzelpersonen und kleine Arbeitsgruppen wegweisende Entscheidungen gegen politische und behördliche Widerstände von Hauptquartierkomitee und Pariser Behörden. Hier sind v. a. UNESCO-Generaldirektor Jaime Torres Bodet und die von ihm eingesetzten CIAM-Berater zu nennen. Mit der Auswahl des Architektentrios (Marcel Breuer, Pier Luigi Nervi, Bernard Zehrfuss) sowie der Einladung berühmter zeitgenössischer Künstler (Pablo Picasso, Juan Miró, Henry Moore, Alexander Calder, Jean Arp, Roberto Matta, Isamu Noguchi) entschied sich die UNESCO gezielt für moderne Kunstformen und Bildsprachen, um einen neuen internationalen Kulturkanon zu etablieren. Ihr politisches Plädoyer für moderne Kunst als Friedenssymbol und Motor internationaler Verständigung spricht auch aus frühen UNESCO-Programmen zu Kunsterziehung und Künstlerförderung, die den Wunsch nach einer Wiederbelebung des Kulturlebens im kriegszerstörten Europa dokumentieren.

Der zweite Teil betrachtet den UNESCO-Hauptsitz im architekturhistorischen Kontext früherer Parlamentsbauten der internationalen Staatengemeinschaft. Dazu werden die Baugeschichten des Völkerbundpalasts in Genf (1927–1936) und des UN-Hauptsitzes in New York (1947–1952) herangezogen. Ein Vergleich der Planungsprozesse, beteiligten Gremien, Baukonzepte, Architektenauswahl und künstlerischen Gestaltung belegt, dass die Bauten in New York und Paris eine Abgrenzung zum Vorgängerbau in Genf darstellten. Mit der Entscheidung für eine moderne Architektur distanzierten sich UN und UNESCO vom Erbe des Völkerbunds und setzten ein sichtbares Zeichen für den Bruch mit der alten Staatenwelt.

Architekturformen und Ausstattung der drei Bauten beleuchtet Schwarz an den Gegensatzpaaren Historismus versus Moderne, Art déco versus Industriedesign und figürlicher Realismus versus moderne Kunstformen. Dabei zeigt sich ein tiefgreifender Wandel von Vorstellungen repräsentativer Kunst in politischen Bauten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die UNESCO erscheint im Vergleich der drei Gebäude »geradezu als Demonstration westlicher Kulturdominanz« (S. 299), da die Auswahl von Künstlern, Formensprache und Material eine westlich geprägte Kulturhierarchie widerspiegelt. Ferner kannten sich fast alle am UNESCO-Bau beteiligten Architekten, Künstler und Berater persönlich aus der Pariser Avantgarde der Zwischenkriegszeit.

Im dritten Teil schildert Schwarz, wie es den CIAM nach ihrer Gründung 1928 als zunächst kleinem Interessenverband von Avantgardisten gelang, ihren Einfluss durch Kontakte zu internationalen Organisationen auf eine überstaatliche Ebene auszweiten. Die Darstellung reicht vom gescheiterten Entwurf Le Corbusiers für den Völkerbundpalast über die CIAM-Beteiligung an UN-Programmen zum Wohnungsbau bis zur Errichtung des UNESCO-Gebäudes, mit dem das Ziel einer für die ganze Welt sichtbaren Realisierung moderner Architektur erreicht wurde.

Somit verbanden sich im prestigeträchtigen UNESCO-Gebäude zwei Anliegen: der Wunsch der CIAM nach einer Überwindung des historischen Akademismus durch moderne Architektur und das Bestreben der UNESCO nach Etablierung eines internationalen Kulturkanons auf Basis neuer kunst- und architekturtheoretischer Konzepte. Das Gebäude war tatsächlich das Werk einer Weltgemeinschaft, aber eben jener der 1950er Jahre. Denn das Bild einer von westlichen Intellektuellen getragenen und aus Europa gelenkten Weltorganisation war schon Ende der 1960er Jahre überholt, nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse in der UNESCO durch den Beitritt zahlreicher Staaten des Ostblocks, Afrikas und Asiens zuungunsten des Westens verlagert hatten. Nur wenige Jahre nach seiner Eröffnung erwies sich das UNESCO-Gebäude als zu klein für eine größer gewordene Welt und wurde um funktionale Anbauten ergänzt.

Katrin Schwarz beschreibt schlüssig, detailreich und in glänzendem Stil eine Architektur der Zukunft, die mittlerweile selbst der Vergangenheit angehört. Doch gerade weil Grundannahmen des UNESCO-Gebäudes dem heutigen Leser überholt vorkommen mögen, drängen sich anhand der Baugeschichte Fragen an die Gegenwart auf: Wie sollte eine Heimstätte für Kulturen, Wissenschaftstraditionen und Erziehungssysteme des 21. Jahrhunderts aussehen? Welcher Standort wäre dafür geeignet? Und lässt sich die Weltgemeinschaft überhaupt in einem Bauwerk abbilden? Mit dem Anstoß zu solchen Fragen liefert das von der Architektur- und Kunstgeschichte bisher wenig beachtete Beispiel einen empirischen Beitrag zur Globalgeschichte politischer Architekturen im 20. Jahrhundert. Von der bislang spärlichen deutschen Historiografie zur Frühgeschichte der UNESCO hebt sich die reich illustrierte Studie in signifikanter Weise ab.

1 Poul Duedahl, A History of UNESCO. Global Actions and Impacts, London 2016; Christopher E. M. Pearson, Designing UNESCO. Art, Architecture and International Politics at Mid-Century, Ashgate 2010; Iris Schröder, Der Beton, die Stadt, die Kunst und die Welt. Der Streit um die Pariser UNESCO-Gebäude, in: Zeithistorische Forschungen 7 (2010), Heft 1, S. 7–29 .

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jens Streckert, Rezension von/compte rendu de: Katrin Schwarz, Bauen für die Weltgemeinschaft. Die CIAM und das UNESCO-Gebäude in Paris, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2016, 418 S. (Reflexe der immateriellen und materiellen Kultur, 2), ISBN 978-3-11040-347-3, EUR 69,95., in: Francia-Recensio 2018/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.1.45930