Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) gehört sicher zu den intellektuell schillerndsten Gestalten des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Die Erforschung seines umfangreichen und komplexen Werks fordert seit Jahrzehnten Experten heraus. Anlässlich des 300. Todesjahrs des Universalgelehrten hat Irena Backus – eine der profiliertesten Leibniz-Forscherinnen aus der protestantischen Theologie – eine Studie vorgelegt, die dem theologisch-religiösen Denken von Leibniz nachgeht. Ihr erklärtes Ziel ist es, das In- und Miteinander philosophischer und theologischer Konzeptionen bei Leibniz zu profilieren. Von dem Versuch, Leibniz’ Denken als ein in sich kohärentes System darzustellen, distanziert sie sich nachdrücklich. Dafür macht Irena Backus auf die verschiedenen politisch geprägten Gesprächskontexte aufmerksam, in denen Leibniz seine Konzeptionen entwarf. Eine durchgängige, allerdings nicht zu Anfang des Buchs formulierte Leitfrage lautet daher: »Did Leibniz really subsume his thought system when necessary to diplomatic interests?« (S. 30). In drei problemgeschichtlichen Teilen geht Irene Backus dieser Frage nach.

Der erste Teil ist der Abendmahlslehre gewidmet (»Eucharist and Substance«, S. 9–54). Hier schlägt die Autorin einen Bogen von den frühen Entwürfen von Leibniz aus seiner Kurmainzer Zeit bis hin zu seinen späten Jahren am Hannoverschen Hof, wobei die Verhandlungen anlässlich der dynastischen Verbindung und politischen Allianz zwischen Brandenburg und Hannover in den Jahren 1697 bis 1699 von besonderem Gewicht sind. Während also in der frühen Zeit der Lutheraner Leibniz sich mit dem katholischen Verständnis der Eucharistie auseinandersetzte, war es in den späteren Jahren das reformierte Verständnis des Abendmahls, das ihn herausforderte. In ihrer vielschichtigen, die Probleme der Interpretation der Texte Leibniz’ deutlich hervorhebenden Rekonstruktion arbeitet Irene Backus Verschiebungen in der Position von Leibniz heraus.

Bleibend entgegengesetzt sind die verschiedenen Konzeptionen von Leibniz dabei der katholischen Transsubstantiationsvorstellung, der er schon früh entgegenhält, dass die Substanz der Elemente Brot und Wein sich nicht ändere, wohl aber deren »reale Akzidentien« wie etwa deren »Dichte« (vgl. S 26). Darin sieht die Irene Backus eine Argumentation bei Leibniz am Werk, die faktisch auf die lutherische Vorstellung der Konsubstantiation Christi mit den Elementen hinausläuft bzw. in ihrer unmittelbaren Nähe zu stehen kommt. Und just diese Argumentationslinie habe Leibniz, unter sich verändernden Bedingungen seiner eigenen Ontologie, auch später verfolgt und ausgebaut. Durch seine Rezeption Calvins gelangte Leibniz nach Irene Backus zu der Ansicht, dass die Wahrnehmung des Leibs Christi durch die Gläubigen die realen Akzidenzien von Brot und Wein in die des Leibes Christi bei gleichbleibender Substanz verwandele (zusammenfassend S. 206f.).

Eine ähnliche Nähe von Leibniz zur lutherischen Lehrtradition diagnostiziert Irene Backus in ihrem zweiten Teil, welcher sich das Problem der Prädestination vornimmt (»Predestination and Necessity«, S. 57–151). In dieser längsten Studie werden noch einmal umfangreicher als im ersten Teil die verschiedenen zeitgenössischen Positionen und gedanklichen Gesprächspartner von Leibniz vorgestellt. Wieder ist die Hannover-Brandenburg Debatte von besonderem Gewicht. Dabei hebt Irene Backus nun jedoch noch hervor, dass Leibniz jedweder Form einer politisch-pragmatischen Toleranz zwischen Lutheranern und Reformierten fern steht, sondern eine in (s)einer Metaphysik gegründete Union beider verfolgt. Nachdrücklich arbeitet die Autorin heraus, wie Leibniz’ Vorstellung einem lutherischen Universalismus in der Prädestinationsfrage nahe steht – Gott hat demnach alle Menschen zur Seligkeit bestimmt. Gleichwohl lässt Gott das »Böse« im Sinn der menschlichen Verweigerung der Befolgung des göttlichen Willens zu, da er mit dessen Hilfe die »beste aller möglichen Welten« aktualisiert bzw. realisiert. Den Verdacht, dass Gott damit selbst zumindest indirekt zum Urheber des »Bösen« gemacht wird, konnte – so die Autorin – Leibniz nicht ganz von sich abwenden (vgl. S. 211).

Der kurze dritte Teil wendet sich der Geschichtstheologie von Leibniz zu (»Leibniz, the Historian of the Sacred«, S. 155–204). Hier stellt die Verfasserin heraus, wie Leibniz auf der Grundlage seiner Vorstellung der »besten aller möglichen Welten« eine beeindruckend optimistische Konzeption der Geschichtsschreibung entwirft. Unvoreingenommene historische Kritik der Quellen auch und gerade mit Bezug auf die biblischen Schriften führt Leibniz zufolge nicht in den historischen Skeptizismus, sondern legt den untergründig wirksamen, den Menschen heilsam und fördernd voranbringenden Prozess frei, durch den Gott die Menschen und die gesamte Welt führt.

Dieser notgedrungen thetische Überblick über die Ausführungen der Autorin kann freilich nicht einmal im Ansatz das beeindruckende Rekonstruktionsniveau andeuten, das die drei problemgeschichtlichen Studien widerspiegeln. Auf immer umsichtige Art und Weise werden von Irene Backus nicht nur die Schichten des Leibnizschen Denkens freigelegt und bislang kaum beachtete oder unbekannte Materialien verarbeitet, sondern auch die Positionen etwa eines Hobbes, Burnet, Calvin, Augustin und vieler anderer mehr charakterisiert. Die theologischen Lehr- und Bekenntnistraditionen kommen ebenfalls in der ihr eigenen Komplexität umfangreich zur Geltung.

Dabei zeigt Irene Backus insgesamt überzeugend auf, dass Leibniz seine Überlegungen den verschiedenen politischen Kontexten, in denen er agierte, eben gerade nicht einfach anpasste, sondern sich an den philosophisch und theologischen Sachfragen auf der Folie seiner Ontologie abarbeitete. Das macht die Darstellung allerdings immer wieder sehr voraussetzungsreich, so dass diese Studien als eine Einleitung in das religiöse Denken von Leibniz wohl nicht empfohlen werden können. Wer jedoch einen systematisch anspruchsvollen Einblick in die Gedankenwelt dieses eigensinnigen, seinen Zeitgenossen der Heterodoxie nicht unverdächtigen Denkers gewinnen will, wird mit diesem Buch eine helle Freude haben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Christopher Voigt-Goy, Rezension von/compte rendu de: Irena Backus, Leibniz. Protestant Theologian, Oxford (Oxford University Press) 2016, 336 p., ISBN 978-0-19-989185-6, GBP 47,99., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48452