Die sogenannte Neue Diplomatiegeschichte befasst sich bekanntlich schwerpunktmäßig u. a. mit den Voraussetzungen, Formen und Folgen der Fixierung (Verschriftlichung), Aufbereitung, Verarbeitung und Anwendung des für die Außenbeziehungen der (hier: spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen) Mächte relevanten Wissens. Der vorliegende, von dem derzeit renommiertesten US-amerikanischen Kenner der einschlägigen italienischen Szenerie betreute Sammelband vertieft diesen Ansatz unter der Perspektive des (Staats-)Sekretärs als bereits zeitgenössisch identifizierten Schlüsselakteurs in diesem Reflexions- und Handlungsbereich. In einem strikten Sinn vergleichende oder entwicklungsgeschichtlich aufeinander aufbauende Analysen bieten seine insgesamt zwölf Fallstudien allerdings nur teilweise.

Was den hohen Wert der Kollektion ausmacht, ist vielmehr die weite chronologische und geographisch-politische Auffächerung ihrer Beiträge, die durchweg von ausgewiesenen Experten und regelmäßig unter Heranziehung auch von Archivquellen verfasst sind. Der unverzichtbare Blick auf die italienischen Anfänge des (außenpolitischen) Sekretärs- und Kanzleiwesens stammt von Isabella Lazzarini. Gattinaras Rolle und Leistung, auch im Hinblick auf die lutherische Reformation überzeugend erfasst, wird von Rebecca Ard Boone dargelegt. Megan K. Williams weist nach, dass Bernhard Cles jedenfalls für das Habsburger Herrschaftskonglomerat erstmals eine Art Kanzlerschaft »by Correspondence« (S. 77–79) entwickelte, die die ständige physische Anwesenheit des Kanzlers überflüssig machte. Rayne Allinson dagegen untersucht die Korrespondenz der elisabethanischen Sekretäre Sir William Cecil und Sir William Maitland einerseits hinsichtlich ihrer (allerdings offenbar nicht sonderlich eingehenden) Reflexionen über das diplomatisch-politische Wissens- und Kommunikationsmanagement, andererseits inhaltlich in Bezug auf die spätere Union mit Schottland.

Ebenfalls ideengeschichtlich-methodische und inhaltliche Einschätzungen und Praktiken arbeitet Erik Thomson für Axel Oxenstierna als Kanzler und Interimsherrscher Schwedens heraus. Am Beispiel Alessandro Scaglias, des savoyardischen Botschafters und späteren niederländischen Exilanten, betont anschließend Toby Osborne die Bedeutung des Aspekts der Persönlichkeit und Familie, der zumal für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht zugunsten institutionell-struktureller Staatsbildung vernachlässigt werden dürfe

Noch stärker inhaltlich diplomatie- und politikgeschichtlich fasst David Parrott seinen Beitrag zur Italienstrategie Richelieus und Mazarins auf. Für den üblicherweise auf West- und Mitteleuropa konzentrierten Frühneuzeithistoriker wissens- wie allgemeinhistorisch besonders interessant dürften die dann folgenden drei Aufsätze sein: Rajeev Kinras Studie zum idealen Wesir des mogulischen Indien, exemplifiziert an Afzal Khan Shirazi († 1639); Colin Mitchells ähnlich ausgerichtete Untersuchung zum Typus des obersten Sekretärs (und Sprachlehrers: munshi) im safawidischen Iran, sowie – noch eher vertraut – Russell E. Martins Analyse der Beschreibung des Moskauer Zarenhochzeits- und Staatszeremoniells, die der nach Schweden geflohene, auf der mittleren Ebene tätig gewesene Kanzleimitarbeiter Grigori Kotoschikhin 1666 verfasste. Die Aussagen, die sie zur personenverbandlich-patrimonialen Tradition bzw. zum Institutionalisierungs- oder Bürokratisierungsgrad der jeweiligen Herrschaftsspitze treffen, lassen sich allerdings wenig systematisieren.

Ebenfalls aus bewährten Federn stammen die beiden letzten Beiträge, nämlich Daniel Riches Betrachtung zur Rolle Eberhard von Danckelmanns in der brandenburgischen Außenpolitik bis zu seinem Sturz 1697 auch wegen Geheimnisverrats und Franz A. J. Szabos entsprechende, aber stärker auf die wissens- und kommunikationsgeschichtliche Zentralperspektive des Sammelbandes ausgerichtete Studie zur Rolle von Wenzel August Kaunitz in der Habsburger Außenpolitik des 18. Jahrhunderts.

Gelegentlich hätten die Ansätze und Interpretationen von einer entschiedeneren Rezeption der allgemeineren politisch-staatlichen informations- und wissensgeschichtlichen Forschung profitieren können, so z. B. der Beitrag zu Frankreich von Jacob Solls »The Information Master« (2009; gemeint ist Jean-Baptiste Colbert). Vielleicht speziell aus einer deutschen Sicht interessant wäre auch eine genauere Ausleuchtung der Frage gewesen, ob die vorgestellten »diplomatic professionals« (S. 10) juristisch ausgebildet waren und welche Folgen diese Ausbildung für ihr Geschäft hatte. Schließlich darf darauf hingewiesen werden, dass mittlerweile auch die erheblichen Konsequenzen des skripto- und typographischen diplomatischen Wissensmanagements für die Entwicklung des Völkerrechts erfolgreich unter die Lupe der Frühneuzeitforschung genommen worden sind1.

1 Vgl. Benjamin Durst, Archive des Völkerrechts. Gedruckte Sammlungen europäischer Mächteverträge in der Frühen Neuzeit, Berlin, Boston 2016 (Colloquia Augustana, 34).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Wolfgang E. J. Weber, Rezension von/compte rendu de: Paul M. Dover (ed.), Secretaries and Statecraft in the Early Modern World, Edinburgh (Edinburgh University Press) 2016, IX–310 p., 1 col. ill., 2 b/w, ISBN 978-1-4744-2844-6, GBP 80,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48457