Der Titel des vorliegenden Bandes weckt Assoziationen an Paul Hazards Klassiker »La Crise de la conscience européenne 1680–1715« (1936) und Jonathan Israel »Radical Enlightenment« (2001), die beide einen fundamentalen Wandel der europäischen Geistesgeschichte – die Anfänge der europäischen Aufklärung – untersuchen. Aber weder Hazard noch Israel werden vom Herausgeber zitiert, wie auch die Problematisierung der »Wende um 1670« unscharf bleibt: »The period around 1670 is frequently associated with substantial change in the realms of mathematics, medicine and natural philosophy«, heißt es einleitend knapp (S. 7).

Freedmans Einleitung (S. 7–73) hat wenig gemein mit einer typischen Einleitung in einen Sammelband. Er entfaltet eine Sammlung von Exzerpten aus zeitgenössischen deutschen Dissertationen und Universitätslehrbüchern, in denen in den 1670er Jahren neue Themen, neue Methoden oder neue Inhalte propagiert werden. Im Anhang ergänzt er in Tabellenform die Struktur der besprochenen Werke, Table A (S. 40), enthält einen knappen Fragenkatalog zu den »changes around 1670«, wobei nicht klar ist, ob diese den Autoren als Richtschnur für die eigenen Beiträge gedient hat bzw. dienen sollte. Entsprechend beschreiben alle Beiträge in der einen oder anderen Weise »changes« im jeweils untersuchten Feld.

Elke Bujok zeigt auf, wie sich die Praxis der Inventarisierung von ethnographischen Objekten in Kunstkammern seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verändert. An Stelle des Staunens und des Wunderns über die fremdartigen Objekte, die die Entdecker von ihren Fahrten nach Europa mitbrachten, tritt die dahin vor allem aus moralischen Gründen als unziemlich kritisierte Neugierde. Man staunt nicht mehr und bewundert diese Objekte, sie werden vielmehr Gegenstand wissenschaftlicher Neugier und als solche verändert sich auch ihre Beschreibung und Katalogisierung.

Detlef Döring plädiert für eine Neubewertung der Rolle der deutschen Universitäten in der Geschichte der Genese universitärer Disziplinen. Diese seien nicht erst Ergebnis der Reformprozesse des 19. Jahrhunderts, sondern haben ihren Ursprung bereits in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg. Überall versuchte man neue Wissenschaften wie Geografie oder Ökonomie als universitäres Fach zu etablieren. Dies geschah dadurch, dass sie in die vier Fakultäten (artes liberales, Jura, Medizin und Theologie) integriert wurden. So lehrte z. B. der Mathematiker Reyher Geografie. Orientalistik etablierte sich als »Beifach«zur Theologie. Die deutschen Universitäten, so Dörings Fazit, waren auch vor den Humboldtschen Reformen Orte der Innovation, und nicht nur der Wissensvermittlung.

Peter Rauscher vergleicht die Bevölkerungspolitik im Habsburgerreich und in Branden-Preußen und führt vor Augen, wie sehr »Wirtschaftspolitik« nach 1648 in erster Linie »Peuplierung« bedeutete. Die Erhöhung der Anzahl der Untertanen galt als Ziel, denn je mehr Untertanen, desto mehr Steuereinnahmen waren zu erwarten, so die Überzeugung in Wien und in Berlin.

Marílla Dos Santos Lopes greift die Überlegungen von Bujok auf und zeigt, wie in den 1670er Jahren das »neue Weltwissen« durch die neuen außereuropäischen Verflechtungen in die europäischen »Weltanschauungen“ integriert wurde und eine „empirisch-klassifizierende Wissenschaft“ entstand.

Die von Samuel Pufendorfs »De iure naturae et gentium libri octo« (1672) ausgehenden Impulse für die deutsche Rechtswissenschaft skizziert Jan Schroeder. Pufendorfs Definition von Naturrecht und positivem Recht prägte die Rechtswissenschaft nachhaltig: Letzteres ist Ausdruck einer Gesetzgebung und kann als solche historisiert werden, das Naturrecht wird Thema der »aus der Vernunft schöpfende[n] Naturrechtswissenschaft« (S. 226).

Behandeln die genannten Beiträge alle ideengeschichtliche Umbrüche und Wandel, so fällt dagegen Anton Schindlings exzellenter Überblick über die Perpetuierung des Reichstags zu einem Immerwährenden Reichstag in den 1670er Jahre aus diesem Muster heraus. Souverän, geradezu vorlesungsartig skizziert Schindling den Prozess der »Juridifizierung der Reichsverfassung« seit 1648 (S. 202). Wesentliche Anstöße hierfür sind in den »negotia remissa« des Westfälischen Friedenskongresses zu suchen, die die Reichsstände und den Kaiser in intensive Debatten verwickelten. Ihre Uneinigkeit und Unfähigkeit eine beständige Wahlkapitulation und eine Reichsdefensionsordnung zu verabschieden sowie die Zeitumstände – die Kriege Ludwigs XIV. – führten schließlich zur Perpetuierung des Reichstags. Profiteur war letztlich der Kaiser, der 1648 noch auf dem Tiefpunkt seiner Macht gestanden hatte, dann aber um 1700 eine nie zuvor erreichte Hegemonie im Reich ausüben konnte, weil es ihm »gelungen war, das zweikonfessionelle Reich auf der Grundlage des Westfälischen Friedens, des Osnabrücker Konfessionsfriedens und des darauf aufbauenden Reichs-Staatsrechts zu integrieren« (S. 203).

Jeder Beitrag ist für sich informativ, lose zusammengehalten werden sie durch den chronologischen Rahmen – doch eine wirkliche Problematisierung, warum diese Phänomene des Wandels ausgerechnet um 1670 einsetzen, dies bleibt der Band schuldig.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Joseph S. Freedman (Hg.), Die Zeit um 1670. Eine Wende in der europäischen Geschichte und Kultur?, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2016, 239 S., 23 b/w Abb. (Wolfenbütteler Forschungen, 142), ISBN 978-3-447-10389-3, EUR 72,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48458