Der Band zu institutionellen Rahmenbedingungen der Ökonomie in Bezug auf Wirtschaftsprivilegien im Europa der Frühen Neuzeit vereint 21 Beiträge in französischer, deutscher und englischer Sprache. Dabei handelt es sich um Fallstudien zu Deutschland, Frankreich, Italien, Brasilien, England und Wales. Die Arbeit geht hervor aus einer im Jahr 2011 in Frankfurt am Main veranstalteten Tagung und einem von Dominique Margairaz koordinierten und von der Agence nationale de la recherche finanzierten (2012–2015) Projekt zu Privilegien im frühneuzeitlichen Europa, das im letzten Beitrag des Bandes kurz skizziert wird.
Unter Wirtschaftsprivileg versteht der Herausgeber Guillaume Garner die temporäre Zuteilung eines Aktionsraums im ökonomischen Bereich für einen individuellen oder kollektiven Akteur durch öffentliche Behörden (S. 4). Laut Garner zeugt die Diversität und Omnipräsenz von Wirtschaftsprivilegien von ihrer fundamentalen Bedeutung für die frühneuzeitliche Wirtschaft. Dabei seien diese Privilegien, entgegen der Meinung der älteren Forschung, nicht als Bremsen von Marktentwicklung zu begreifen. Vielmehr würden sie sich durch eine große Plastizität auszeichnen. Das Wirtschaftsprivileg kann als eine institutionelle Ressource verstanden werden, das von einer Vielzahl von Akteuren genehmigt werden kann, verschiedene Formen annehmen kann und von den ökonomischen Akteuren aus vielerlei Gründen nachgefragt wird.
Das Privileg erlaubte es den ökonomischen Akteuren, mit Rechtsunsicherheiten und Schwankungen des Marktes zurecht zu kommen. Es verlieh ihnen zugleich Freiheit und Protektion ihrer Produkte und Arbeitstechniken. Außerhalb der ökonomischen Sphäre definiert das Privileg die institutionellen Rahmenbedingungen für kollektive Interessen und Formen von Autoregulation. Laut Garner charakterisierte sich die frühneuzeitliche Wirtschaft durch eine starke sozioökonomische, rechtliche und räumliche Segmentierung. Die durch Privilegien erlangten Vorteile erlaubten es nicht nur, Marktpositionen aufzubauen, sondern auch Produktqualität und Reputation zu verteidigen.
Der Band gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil handelt von Privilegien und Obrigkeiten (Beiträge von Heinz Mohnhaupt, Mathieu Marraud, Peter Collin, Patrice Baubeau und Frédéric Moret). Mathieu Marraud zeigt wie die Pariser six corps des marchands im 17. und 18. Jahrhundert ihre Privilegien erlangten, verteidigten und ausbauten und wie schließlich ihr Erfolg bei der Ausdehnung der Privilegien in letzter Konsequenz zu deren Abschaffung im Jahr 1776 führte. Denn, laut Marraud war die Abschaffung der Pariser Korporationen durch die französische Krone weniger einer Liberalisierung des Handels als einem Transfer von Autorität geschuldet. Der Autor versteht das Privileg als einen andauernden Prozess von Eroberung und Akkumulation, als eine Art Publikmachen der Verbindungen zur Krone. Mit dem Argument des Gemeinwohls hätten die Six Corps eine erhebliche Ausdehnung der policeylichen, rechtlichen und steuerlichen Privilegien erreicht. Allerdings hätte der König, seit den 1740er und 1750er Jahren, dieses Argument verstärkt für sich beansprucht. Daher stellt Marraud fest, dass »le privilège occupe ainsi le point de rencontre, et de conflit, entre les dimensions domestiques et publiques d‘un même pouvoir« (S. 90).
Der zweite Teil setzt den Schwerpunkt auf Handlungsstrategien von Akteuren (Beiträge von Aurélien Ruellet, Koji Yamamoto, Christof Jeggle, Ralf Banken, David Plouviez und Stefan Gorißen). Die Interaktionen zwischen Unternehmern und Staat in Bezug auf die Erlangung von Privilegien vor der Glorious Revolution(1688) stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Koji Yamamoto. Als Ausgangspunkt dient die von der Neue Institutionenökonomik vertretene These, wonach die Glorious Revolution den Verfassungsrahmen auf eine Art und Weise geändert hätte, welche dem Willen des Staates zur Verteidigung von Eigentumsrechten in England mehr Glaubwürdigkeit verliehen hätte als das in anderen Teilen Europas der Fall war.
Der Autor fragt nun, ob das Jahr 1688 tatsächlich neue Ansätze für die Genehmigung von Wirtschaftsprivilegien ohne Angriff auf das Privateigentum mit sich brachte. Anhand der Argumente, welche von Bittstellern vorgebracht wurden, zeigt er, wie deren Erfolg zunehmend davon abhing, ob es ihnen gelang ein Projekt vorzulegen, das die Steuerlast nicht erhöhte und den Konsum ankurbelte. Allerdings, so Yamamoto, existierte eine Debatte um die Gefahren von zentralem Steuerwesen bereits seit den 1640er Jahren. Daher hätte die Revolution den Impuls zur Minimisierung von Steuern nicht eingeführt, sondern vielmehr bestätigt und konsolidiert.
Das dritte Teil des Bandes steht unter der Frage, ob es sich bei Privilegien und Wettbewerb/Marktwirtschaft um gegensätzliche Begriffe handelt (Beiträge von Robert Brandt, Jochen Hoock, Andrea Caracausi, Giovanni Favero, Paola Lanaro und Anne Conchon). Der Landtransport von Handelsgütern in Frankreich im 18. Jahrhundert ist das Thema des Beitrages von Anne Conchon. Dabei geht sie der Frage nach, wie unterschiedliche im Transportwesen tätige Akteure den Wert und Nutzen der Privilegien einschätzten. Anne Conchon zeigt, wie das Angebot für Landtransporte durch Privilegien strukturiert wurde, wie die Spediteure (messageries) ihre Privilegien bis 1775 verteidigten und wie sie sich schließlich den geänderten Rahmenbedingungen anpassten. Während das Speditionswesen durch Privilegien und königlicher Monopole strukturiert war, stellte das Kutscherwesen (roulage) eine freie Aktivität dar.
Die Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Akteuren wurde durch die Art der Tätigkeit und Gewicht der Sendungen geleistet. Anne Conchon stellt des Weiteren dar, wie das Speditionswesen, durch die Reformen von Turgot (1775–1776), neu strukturiert wurde und wie es den Spediteuren gelang, ein nichtexklusives Privileg auf die Vermittlung und Organisation von Transporten zu ergattern. Der Beitrag betrachtet die Dynamiken zwischen der marktstrukturierenden Wirkung der Privilegien und der verschiedenen Gruppen von Akteuren in der Organisation des Landtransportwesens, wobei die Autorin stets die Bedeutung und Reichweite der Privilegien aus der Sicht der Akteure im Blick behält.
Im vierten Teil werden Privilegien im Zusammenhang zu territorialen Grenzen behandelt (Beiträge von Vincent Demont, Gérard Le Bouëdec, Tijl Vanneste, Julien Villain sowie von Guillaume Garner, Liliane Hilaire-Pérez, Corinne Maitte, Dominique Margairaz und Isabelle Bretthauer). Julien Villain untersucht die Zollprivilegien und die regionalen Märkte im Handel zwischen Lothringen und Rheinland in den Jahren 1750–1760. Die Herzogtümer Lothringen und Bar wurden nach ihrer definitiven Eingliederung in Frankreich im Jahr 1648 von der Krone als province d’étranger effectif behandelt.
Die Provinz genoss dadurch Handelsfreiheit mit dem Ausland während Produkte aus der Region Zöllen unterlagen, wenn sie außerhalb der Provinz in Frankreich verkauft wurden. Villain fragt danach, wer von dieser Regelung profitierte und welche Akteure sich für die Beibehaltung dieses status quo in den Jahren 1750–1760 einsetzten. In diesen Zeitraum fiel das Verbot der Produktion von Indiennes-Stoffen im Königreich (1759) und auch ein Versuch der Krone, die politischen- und Zollgrenzen einander anzugleichen (1761-62). Eine detaillierte Untersuchung der Akteure, Waren und Preise auf dem regionalen Markt zeigt, dass die großen Händler in Lothringen von den Zollgrenzen (welche bis 1786 Bestand hatten) entscheidend profitierten. Die Händler, welche die Zollgrenzen verteidigten, verteidigten damit die Stabilität ihrer Handelsnetzwerke und einen Handelsraum, welcher, garantiert durch das Privileg, große Händler mit kleineren Einzelhändlern zusammenband. Gleichzeitig ging das Argument der Beibehaltung der Wirtschaftsprivilegien mit dem Argument der Beibehaltung der Privilegien der Provinz einher.
Die zahlreichen Beiträge des Bandes weisen eine große thematische Breite auf und je nach Autor, Zugang und Quellenlage wird hier sehr unterschiedlich über die »Ökonomie des Privilegs« reflektiert. Betrachtet man jedoch jeden dieser Beiträge einzeln, stellt man fest, dass es um gründlich untersuchte und stringent argumentierte Fallstudien handelt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Hanna Sonkarjärvi, Rezension von/compte rendu de: Guillaume Garner (Hg.), Die Ökonomie des Privilegs, Westeuropa 16.–19. Jahrhundert/L’économie du privilège, Europe occidentale XVIe–XIXe siècles, Frankfurt a. M. (Vittorio Klostermann) 2016, 523 S. (Studien zu Policey, Kriminalitätsgeschichte und Konfliktregulierung), ISBN 978-3-465-04219-8, EUR 79,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48459