Dieses Buch ist auf der Grundlage der in den Études germaniques angesiedelten Dissertation von Olivier Baisez entstanden1, der sechs der zwischen 1896 und 1919 erschienenen deutsch-jüdischen Periodika analysiert und kommentiert. Diese sind im Internetarchiv Jüdischer Periodika »Compact Memory« online zugänglich, es handelt sich um: »Die Welt«, »Jüdische Rundschau«, »Palästina«, »Altneuland«, »Der Jude« und »Volk und Land«. Es ist ein profund recherchiertes und dabei lesenswertes Buch zum frühen Zionismus, das die große Lücke in der französischen Forschung auf diesem Gebiet füllt.

Ziel des Autors ist es, mit den Augen und den Methoden eines Germanisten die Konzepte der deutschen Zionisten zur frühen jüdischen Besiedlung Palästinas zu untersuchen. Besonders ist dabei, dass er deren Vorstellungen aus der Zeit heraus erklärt und sie nicht, wie es oft in der Historiografie des Zionismus üblich ist, mit den Augen des 20. und 21. Jahrhunderts beurteilt. Baisez konzentriert sich vor allem auf die Ideen und Konzepte der Akteure, weniger auf deren Umsetzung in die Realität. An dieser Stelle irritiert der Titel der Publikation: »Die Architekten Zions« lässt anderes erwarten. Tatsächlich erscheint weder im Text noch im Index ein einziger Architekt, obwohl wenigstens Alexander Baerwald (1877–1930) in diesem Zusammenhang erwähnenswert wäre, zu dem unter anderem mit Veröffentlichungen von Ines Sonder und Ita Heinze-Greenberg umfangreiche Forschungen zur Verfügung stehen2.

Der Autor ist sich in vielerlei Hinsicht bewusst, dass das von ihm gewählte Thema zwar geistesgeschichtlich relevant, aber auch – vor dem Hintergrund des zunehmenden Antisemitismus besonders in Frankreich und den bisher ungelösten territorialen und politischen Problemen im Vorderen Orient – von außerordentlicher Brisanz ist. Er betont in seiner Einleitung jedoch, dass von seinem Buch weder eine Diskussion über den Zionismus noch über den Antisemitismus zu erwarten sei. Daneben nutzt Baisez die Einleitung, um den Begriff »Zionismus« zu erklären und die einzelnen Periodika zu charakterisieren. Als ihre wichtigsten Verfasser stellt er unter anderem Franz Oppenheimer, Arthur Ruppin, Davis Trietsch, Selig Sokin und Otto Warburg vor. Sie erscheinen als die Experten und ihre Leserinnen und Leser als das »unwissende« Publikum, wobei beide Seiten nach Ansicht des Autors ein gemeinsames Ziel haben: die jüdische Kolonisation Palästinas.

Das Buch ist in drei große inhaltliche Abschnitte unterteilt: »Konzepte«, »Methoden« und »Instrumente«. Insgesamt gibt es zehn Kapitel, die wiederum aus detaillierten Unterkapiteln mit abschließenden Schlussfolgerungen bestehen. Diese sehr übersichtliche Gliederung erlaubt das schnelle Auffinden bestimmter Themen und ermöglicht so auch eine Nutzung als Handbuch.

Konzepte: Baisez kristallisiert die wesentlichen der von den oben genannten Autoren behandelten Themen heraus, die vornehmlich wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Probleme betrafen. Mit seiner Analyse kann er aufzeigen, dass die Verfasser der Artikel durch ihr Studium und ihre berufliche Position in der deutschen Geisteswelt verwurzelt und von ihr beeinflusst waren. Auch wenn die von ihnen beschriebenen Konzepte oft utopisch erschienen, so zeigt sich gleichzeitig, dass die meisten den technischen Fortschritt und die Realisierungschancen ihrer Ideen in ihre Überlegungen einbezogen. Für sie war die Besiedlung Palästinas eine Möglichkeit, Sozialreformen durchzuführen, moderne Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse in Landwirtschaft und Industrie anzuwenden. So sollte auch das Problem der »Ostjuden« gelöst werden, die als zahlenmäßig wichtigste zukünftige Einwanderergruppe angesehen wurden. Die Autoren verstanden die fortschrittliche jüdische Ansiedlung als Teil einer allgemeinen Entwicklung im Orient zugunsten der Region und deren Bewohner. In diesem Zusammenhang erörterten sie auch Fragen der Grenzen, der Bevölkerungsdichte und des Bodenbesitzes.

Methoden: Dieser Abschnitt behandelt die unterschiedlichsten Besiedlungskonzepte. Hierbei griffen die Autoren auf Modelle von Kolonien in Übersee zurück, vor allem aber auch auf Beispiele der deutschen Kolonisation und der inneren Kolonisation Preußens, bei der Deutsche in Gegenden mit vorwiegend polnischer Bevölkerung angesiedelt worden waren. So hatte Lotte Cohn, eine der ersten deutschen Architektinnen überhaupt und die erste, die 1921 nach Palästina emigrierte, 1917 nach ihrem Studium in Ostpreußen gearbeitet; sie konnte ihre Erfahrungen bei der jüdischen Besiedlung Palästinas einbringen3.

Instrumente: Um äußere Einflüsse bei der Finanzierung der Besiedlung Palästinas zu begrenzen, suchten die deutschen Zionisten nach Möglichkeiten, sich von der bis dahin üblichen jüdischen Philanthropie unabhängig zu machen. Daher gründeten sie den Jüdischen Nationalfonds, eine jüdische Bank, entwickelten eine neue Art des Kreditwesens und propagierten Genossenschaften als optimale Siedlungsform. Sie erkannten außerdem in der Entwicklung des Transportwesens und der damit verbundenen Verbesserungen für Besiedlung, Landwirtschaft und Industrie die Möglichkeit, Palästina für jüdische Investoren attraktiv zu machen.

Als Anhang erstellt Baisez schließlich eine chronologische Zeittafel für die Jahre zwischen 1862 und 1920. Er beginnt mit der ersten zionistischen Schrift »Rom und Jerusalem« von Moses Hess4 und endet mit der Festlegung des britischen Mandats über die Zukunft Palästinas. In einer tabellarischen Auflistung stellt Baisez für jedes Jahr die Ereignisse dar, die ihm zufolge relevant für das Thema der jüdischen Kolonisation sind, und stellt ihnen die Geschehnisse im deutschen und internationalen Kontext gegenüber. Auf diese Weise ermöglicht er nicht nur, die Ereignisse in ihrer zeitlichen Abfolge nachzuvollziehen, sondern auch einen Vergleich und eine Einordnung.

Aus seiner didaktischen und detaillierten Art zu schreiben und zu beschreiben wird deutlich, dass sich Baisez nicht nur an ein Fachpublikum wendet sondern auch an Leserinnen und Leser, die sich weder in der deutschen Politik-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte noch in der Geschichte des Zionismus und des Judentums auskennen. Besonders hilfreich dürften die sorgfältige Erklärung von Begriffen und Zusammenhängen sowie die gründlichen, weiterführenden Fußnoten sein. Auf diese Weise erhält Baisez‘ Buch eine unschätzbare Tiefe in der Darstellung relevanter philosophischer, religiöser und historischer Fragen.

Insgesamt ist das Buch – trotz des oft trockenen Stoffes und seiner akademischen Akribie – außerordentlich lebendig geschrieben. Baisez lässt seine Leserinnen und Leser an den Überlegungen und Denkvorgängen der Akteure teilhaben, so dass sie sich leicht in die damalige Zeit und ihre Themen hineinversetzen können. Außerdem ist es immer wieder überraschend festzustellen, wie aktuell und modern das Denken der deutschen Zionisten mit Blick auf heute nach wie vor ungelöste Probleme bleibt. Es ist ein besonderes Verdienst von Olivier Baisez, dies derart nachvollziehbar herauszuarbeiten.

1 Ursprünglich unter dem Titel: Le discours de la méthode. La conception par les sionistes allemands de la colonisation juive en Palestine (1896–1919), Études germaniques, betreut von Daniel Azuélos und Horst Möller (Université de Picardie – Jules Verne/Ludwig-Maximilians-Universität München), Soutenance am 20. November 2012.
2 Ines Sonder, Gartenstädte in Erez Israel. Zionistische Stadtplanungsvisionen von Theodor Herzl bis Richard Kauffmann, Hildesheim, Zürich, New York 2005. Ita Heinze-Greenberg, Europa in Palästina. Die Architekten des zionistischen Projekts 1902–1923, Zürich 2012.
3 Ines Sonder, Lotte Cohn. Baumeisterin des Landes Israel. Eine Biographie, Berlin 2010, S. 33.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Edina Meyer-Maril, Rezension von/compte rendu de: Olivier Baisez, Architectes de Sion. La conception par les sionistes allemands de la colonisation juive en Palestine (1896–1919), Paris (Hermann) 2015, 450 p., ISBN 978-2-7056-9087-8, EUR 38,00., in: Francia-Recensio 2018/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48463