Entscheidendes über das Konzept der vorliegenden Studie erfährt der Leser bzw. die Leserin in deren Nachwort: Hinnerk Bruhns, Forschungsleiter am Pariser Centre national de la recherche scientifique und intimer Kenner der Schriften Max Webers, möchte die angebliche »Undurchlässigkeit der von Weber selbst gezogenen Grenze zwischen wissenschaftlichen und politischen, selbst tagespolitischen Arbeiten« während des Ersten Weltkriegs hinterfragen und betont dagegen die enge Wechselwirkung von Politik und Wissenschaft: Auf Basis seiner Expertise als Soziologe und Nationalökonom habe Weber »die durch den Krieg hervorgerufenen oder beschleunigten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen« analysiert und vor allem den »äußeren und […] inneren Bedingungen für eine dauerhafte Nachkriegsordnung« nachgespürt (S. 199).

Webers Werk, so eine zentrale These, sei durch den Krieg nicht signifikant verändert worden: Ebenso wie schon vor 1914 habe Weber auch im Krieg »weiterhin alle politischen Fragen unter ökonomischen Gesichtspunkten« betrachtet und »alle ökonomischen Fragen unter politischen« (S. 102). Eine Zäsur macht Bruhns auch nicht für die internationale Vernetzung Webers aus, sei diese doch seit jeher auf den deutschsprachigen Raum beschränkt gewesen. Zwar kamen die internationalen Wissenschaftsbeziehungen deutscher Forscher im Krieg »nahezu vollständig zum Erliegen«, auf Webers Werk habe dies aber »keinerlei Auswirkungen« gehabt (S. 134–136).

Auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit der vorhandenen Weber-Forschung verzichtet Bruhns. Stattdessen möchte er durch die intensive Exegese von Briefen, Abhandlungen, Zeitungsartikeln und Reden »Weber und andere Akteure des Geschehens recht oft selbst sprechen« lassen. Bruhns gibt dem »direkten Zeugnis« also »den Vorrang […] vor dem Rückgriff auf die Forschungsliteratur« (S. 200 f.). In der Tat beeindruckt der Autor mit seiner stupenden Kenntnis der Texte Webers sowie seiner Fertigkeit, unterschiedliche Überlieferungen sinnvoll miteinander in Beziehung zu setzen und sie zugleich mit anderen Soziologen und Nationalökonomen der Zeit, etwa Emil Lederer, Robert Michels und Werner Sombart, abzugleichen.

Verweise auf die Weber-Forschung finden sich meist nur dann, wenn sich Bruhns von bestehenden Deutungen abgrenzt. Dass dies mehrfach in einem herablassend-süffisanten Ton geschieht, so gegenüber Steffen Bruendel (S. 39 f.), Jörn Leonhard (S. 123) und Jürgen Kaube (S. 192), ist ein umso unglücklicherer Fehltritt, als Bruhns‘ sonstige Aussparung der Forschung den Neuigkeitswert seiner eigenen Ausführungen mitunter verdunkelt.

Zugleich fällt es nicht schwer, Passagen zu benennen, in denen der Autor bekannte Gegenstände lediglich zusammenfasst (vgl. S. 35–38 zu den »Ideen von 1914«) oder in umfangreichen Exkursen Aspekte ausbreitet, die mit dem eigentlichen Gegenstand nur mittelbar zu tun haben – beispielsweise zur Geschichte des »Vereins für Socialpolitik« und der »Gesellschaft für Soziale Reform« (S. 106–109) sowie zur Kriegspublizistik verschiedener sozial- und volkswirtschaftlicher Zeitschriften, insbesondere des »Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« (S. 112–118). Spätestens wenn Bruhns vermerkt, dass Weber »die Kriegshefte des AfSS nicht selbst als Tribüne« seiner Anschauungen benutzte (S. 119), stellt sich die Frage, weshalb dieser Thematik so viel Raum gewidmet wurde.

Zeitlich fokussiert die Studie auf die Jahre 1916 bis 1918. Die Orientierung des Lesers bzw. der Leserin wird dabei durch den Umstand erschwert, dass Bruhns keine übergreifende Fragestellung formuliert, sondern hofft, die Fragestellung möge sich »aus den sehr unterschiedlichen Perspektiven«, aus denen er das Thema behandelt, gleichsam von selbst »erhell[en]» (S. 201).

Ausgeführt wird dieses optimistische Konzept in drei großen Abschnitten. Im ersten, stark biografisch angelegten Teil portraitiert der Autor Max Weber als einen Mahner zu politischer Besonnenheit, der hellsichtig vor den maßlosen Annexionsfantasien rechtsradikaler Scharfmacher warnte und daher wiederholt »zum Flaumacher gestempelt« (S. 12) wurde. Der Gefahr einer apologetischen Überhöhung Webers entgeht Bruhns, indem er zugleich auf Tendenzen »intellektuell verklausulierter Demagogie« in dessen Schriften verweist – so sprach Weber etwa wiederholt von einem »heiligen Volkskrieg« (S. 16) – und mit spürbarem Befremden konstatiert, dass Weber, trotz seiner oft scharfsinnigen Kritik an der militärischen Führung, der Propaganda der Obersten Heeresleitung (OHL) bisweilen »sehr unkritisch gegenüberstand« (S. 27).

Von der »Notwendigkeit des Krieges« für eine dauerhafte Existenz Deutschlands als Großmacht blieb Weber stets überzeugt, plädierte aber »für eine nüchterne, im besten Sinne interessengeleitete politische Kriegsführung« (S. 34 f.). Entsprechend verwarf er das affektive Pathos der »Ideen von 1914« als »widerwärtige Geschmacksentgleisungen sich wichtig nehmender Literaten« und Ausdruck einer verantwortungslosen »Verachtung der konkreten sachlichen Probleme« (S. 41, 45). Im Hinblick auf die künftige innerdeutsche Friedensordnung forderte Weber »die Beseitigung der hegemonialen großpreußischen Struktur des Reiches« (S. 62) und richtete seine Hoffnungen auf die heimkehrenden Frontsoldaten, von denen er in naiver Verkennung der Wirklichkeit annahm, der Krieg werde sie zu Trägern politischer »Sachlichkeit« formen. Bruhns Kritik an dieser »Selbsttäuschung« Webers und seiner profunden Fehlinterpretation der »Auswirkungen jahrelanger Gewalt auf die Psyche der jungen Generation« (S. 66), wird man hier nur beipflichten können.

Im zweiten Teil fragt Bruhns nach dem Verhältnis zwischen dem Krieg und Webers wissenschaftlichen Arbeiten. Die geläufige Deutung dieser Arbeiten als Ausdruck »wohliger Weltflucht« und »Distanzierung vom Tagesgeschehen« (S. 89, 95) weist Bruhns zurück und betont vielmehr das hohe politische Engagement Webers sowie den dezidiert politik- und sozialwissenschaftlichen Charakter seiner zahlreichen Publikationen seit 1915. Besonders interessieren ihn hierbei Webers »Ansätze einer sozialwissenschaftlichen Problematisierung und Analyse des Weltkriegs« (S. 122 f.). Überhaupt, so konstatiert der Autor ohne diese sozialdarwinistische Facette weiter nachzuverfolgen, seien in Webers historischer Soziologie »Krieg und Gewalt allgegenwärtig«; der Krieg erscheine in ihr als »eine Art Naturereignis der Staatengeschichte« (S. 131).

Im dritten Teil illustriert Bruhns zunächst die desillusionierenden Erfahrungen Webers als Einjährig-Freiwilliger (1883/84) und seine sehr engagierte Tätigkeit als Leiter eines Heidelberger Reservelazaretts in den Jahren 1914/15 (S. 145–155). Den Soldatentod stilisierte Weber in dieser Funktion zum einzigen Tod, der Sinn habe, da er der Tod für und nicht an etwas sei. Die naheliegende Frage, ob Weber »wirklich an das [glaubte], was er da sagte« (S. 158), stellt auch Bruhns, ohne jedoch zu einer eindeutigen Antwort zu kommen. Klar wird indes, dass die Chimäre vom »sinnvollen Tod« ab 1917 in den Hintergrund trat und zunehmend der Empörung gegen das, so Weber 1918, »absolut infame Treiben« (S. 161) der OHL wich.

Weiterhin analysiert Bruhns mit den Begriffen »Ehre« und »Schicksal« zwei zentrale Termini in Webers Kriegsschriften, wobei er dessen Ehrbegriff insofern positiv wertet, als dieser stets eng »mit dem [Begriff] der Verantwortung korrespondiert« habe (S. 167). Zugleich wird aber deutlich, dass Webers Ehrbegriff rassenideologisch überformt war, behauptete er doch wiederholt, dass gegen afrikanische und asiatische Kolonialtruppen kein »ehrenvoller« Kampf möglich sei (S. 162 f., 170).

Zuletzt fragt Bruhns nach der Bedeutung historischer Rückbezüge in Webers Kriegsschriften, in denen die »geschichtliche Bedingtheit Deutschlands, die Frage der Nation und die Verantwortung vor der Geschichte ständige Themen« (S. 183) waren. Der seinerzeit so populären Überhöhung des »Germanentums«, wie überhaupt jeder »Art von Geschichtsromantik«, stand Weber hingegen fern; Bezüge auf die deutsche Geschichte, so lautet hier der zentrale Befund, verfolgte Weber nur dann, wenn diese »die Erkenntnis der [gegenwärtigen] Wirklichkeit stärkte[n]« und dem von ihm eingeforderten »Eintauchen in die spezifisch moderne Problemlage« (S. 184–186) dienlich waren.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Vordermayer, Rezension von/compte rendu de: Hinnerk Bruhns, Max Weber und der Erste Weltkrieg, Tübingen (Mohr Siebeck) 2017, VIII–221 S., ISBN 978-3-16-152542-1, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2018/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48467