Festschriften sind bekanntlich eine heikle Angelegenheit, da sie Gefahr laufen, in ein Potpourri von Beliebigkeiten abzudriften. Es verlangt schon ein gewisses Fingerspitzengefühl, um den schmalen Grat zwischen Würdigung von Persönlichkeit und Werk des Jubilars auf der einen Seite und Gestaltung eines thematisch in sich geschlossenen Bandes auf der anderen Seite nicht zu verfehlen. Doch im vorliegenden Fall mag es nicht nur an Jean El Gammal liegen, dass diese Gratwanderung gelungen ist. Vielmehr scheint das Wirken von Chantal Metzger als Historikerin und Chefredakteurin der Zeitschrift »Guerres mondiales et conflits contemporains«, der hier Anerkennung gezollt wird, die thematischen Hauptlinien bereits vorzuzeichnen, entlang derer sich die Beiträge reihen.
Die übergeordnete Konstante stellen dabei das franco-allemand und mit ihm die Konflikte und Verständigungen, die Abwehrhaltungen und Annäherungen sowie die daraus resultierenden Herausforderungen für die europäische Integration dar. Programmatisch ist der Band, der seinem Titel alle Ehre macht und keine falschen Versprechungen bereithält, damit bestens in der deutsch-französischen, vom internationalen Wissenschaftsverlag Peter Lang betreuten und von Michel Grunewald herausgegebenen Reihe »Convergences« aufgehoben. Auch entspricht er in seiner interdisziplinären Ausrichtung dem Esprit der Reihe. So stammen die insgesamt 21 allesamt auf Französisch verfassten Beiträge zwar mehrheitlich von Historikerinnen und Historikern aus Deutschland, Frankreich, Italien, Russland und Polen, doch finden sich auch – und dies spricht für die weitreichenden, nicht nur internationalen Kooperationen der Jubilarin – Beiträge von Kolleginnen und Kollegen aus der Germanistik, der Geografie und der Romanistik. Ein entsprechendes Autorenverzeichnis mit Kurzinformationen zur institutionellen und wissenschaftlichen Verortung samt einer Werkübersicht der Arbeiten von Chantal Metzger findet sich am Ende des Bandes.
Da es ein Unmögliches scheint, allen Ausführungen gleichermaßen gerecht zu werden, sei der Blick auf jene gelenkt, die dem Ansatz nach der Kulturwissenschaft beziehungsweise der histoire culturelle zugeordnet werden können. Diese Auswahl erklärt sich nicht nur aus den eigenen Interessen und Schwerpunkten der Rezensentin, sondern zu gleichen Teilen aus der besonderen Stellung, die beide Forschungsfelder in Deutschland und Frankreich seit den 1980er Jahren einnehmen.
Im ersten der drei Teile, jenem zu den beiden Weltkriegen, fallen gleich drei Beiträge durch ihren kulturwissenschaftlichen bzw. kulturhistorischen Zuschnitt ins Auge. Zwei von ihnen widmen sich den verschiedenen Formen der kollektiven Erinnerung. Die Studie des polnischen Historikers Tomasz Schramm zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg in der Provinz Posen ist zudem die einzige, die sich mit dem slawischen Kulturraum beschäftigt. Doch leider – das mag der Kürze des Beitrags geschuldet sein, denn Schramm ist ein Kenner seines Fachs – will es ihm nicht recht gelingen, dieses überaus spannende und zugleich komplexe Themenfeld in eine konzise Form zu gießen. Konzepte und Begriffe zum kulturellen Gedächtnis, zu nationalen Zugehörigkeiten und kulturellen Identitäten werden allenfalls angerissen und zum Teil unscharf voneinander getrennt. Auch wird die These, wonach die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg durch die Unabhängigkeit Polens überschattet werde und darüber hinaus kein fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses sei, nur unzureichend entwickelt beziehungsweise dargelegt.
Audrey Roncigli richtet ihrerseits den Blick auf eine nicht weniger bedeutungsvolle Episode in der Kulturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Dabei interessiert sich die Historikerin vordergründig für das Gedenken an den portugiesischen Diplomaten Aristides de Sousa Mendes, der kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs als Generalkonsul nach Bordeaux entsandt worden war, wo er sich in der Folgezeit mit der unerlaubten Ausstellung von schätzungsweise 30.000 Visa für die mehrheitlich verfolgten Juden einsetzte und dafür 1940 vom Dienst suspendiert wurde. Roncigli arbeitet minutiös die diversen Aktivitäten heraus, mit denen Sousa Mendes zunächst gelegentlich, später dann in großem Stil gegen die Erlasse seiner Regierung verstieß. Auf die eingangs formulierte Frage, weshalb seine Verdienste erst zu Beginn der späten 1980er Jahren öffentlich gewürdigt worden seien, nämlich unter anderem mit der posthumen Verleihung der Freiheitsmedaille, kehrt Roncigli jedoch nur sporadisch zurück. Schließlich überlässt sie es weitgehend den Leserinnen und Lesern, die Bezüge zum Salazar-Regime herzustellen und über die seit dem Sturz des sogenannten Estado Novo praktizierte Geschichtspolitik zu reflektieren.
Eine weitere, durch ihren Fragehorizont hervorstechende Arbeit ist jene von Anne-Marie Corbin. So widmet sich die französische Germanistin den Intellektuellenbiografien von Hannah Arendt und Manès Sperber, um deren Sichtweisen auf die Shoah und die Mechanismen totalitärer Herrschaftssysteme miteinander zu vergleichen. Hierbei begnügt sich Corbin nicht nur damit, die verschiedenen Stationen im Leben der beiden jüdischen Intellektuellen aufzuzählen, sondern diese konsequent mit deren politisch-philosophischen Schriften in Beziehung zu setzen und anhand zahlreicher Textbelege zu präsentieren.
Chronologisch schließt der zweite Teil mit Reflexionen zu Deutschland und Frankreich nach 1945 an. Aus den vielen klassischen Themen sticht die kurze Kulturgeschichte der deutschen Küche dabei besonders hervor. Sie stammt vom Herausgeber selbst, dem französischen Historiker Jean El Gammal, der sich auf den Ansatz der géographie gastronomique stützt. Dieser fragt nach den geografischen Ursprüngen, der kulturellen Verankerung sowie der internationalen Reichweite der Gastronomie, um deren gesellschaftliche Bedeutung zu bestimmen und deren Wandel zu dokumentieren.
Den Abschluss der kulturwissenschaftlichen Beiträge des Bandes bildet der Aufsatz von Dorothee Röseberg. Die deutsche Romanistin und Kulturwissenschaftlerin untersucht vor dem Hintergrund des in Frankreich bereits seit den 1990er Jahren einsetzenden Erinnerungsbooms die offiziellen Inszenierungsformen des centenaire de la Première Guerre mondiale. Sie fragt dabei nach dem Verhältnis von national-patriotischen und transnationalen Deutungen des Kriegs und untersucht an konkreten Beispielen Keime einer deutsch-französischen Erinnerungskultur.
Somit präsentiert der Band eine Reihe von lesenswerten Aufsätzen, die – sieht man von den wenigen redaktionellen Schnitzern einmal ab – in ansprechender Form präsentiert werden. Es bleibt zu wünschen, dass sie nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland eine breite Leserschaft finden, und sei es auch nur im Kreise der jeweiligen Fachgemeinschaft.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Marie-Therese Mäder, Rezension von/compte rendu de: Jean El Gammal (dir.), La France, l’Allemagne, l’Europe. Mélanges en l’honneur de Chantal Metzger, Bern, Berlin, Bruxelles et al. (Peter Lang) 2017, 357 p., 6 tabl., 2 fig. en n/b (Convergences, 89), ISBN 978-2-8076-0196-3, CHF 59,00., in: Francia-Recensio 2018/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48472