Noblesse oblige. Aus dem sozialen Stand ergeben sich nicht nur gesellschaftliche Verpflichtungen, sondern auch politische Möglichkeiten. Diese gingen beim europäischen Hochadel über das normale Maß hinaus. Aufgrund seiner internationalen Verbindungen bietet sich gerade diese Gruppe für eine historische Untersuchung an, die die außenpolitischen Aktivitäten adliger Akteure in den Blick nimmt. Als Transnationale Diplomatiegeschichte könnte dieser Ansatz die historische Forschung zur Geschichte der Internationalen Beziehungen bereichern.
2015 legte Karina Urbach eine entsprechende Studie vor, die ein Schlaglicht auf die »Geheimdiplomatie« in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts warf. Dass das zunächst auf Englisch erschienene Buch über »Go-Betweens for Hitler« – vom irreführenden Titel über die ausufernden Zitate bis zu dem das Geheime überbetonenden Ansatz – seine Schwächen hat, ist auch in Deutschland vermerkt worden1. Bis im Herbst 2016 die deutsche Übersetzung der Pionierstudie erschien, drängte im Frühjahr desselben Jahres Hubertus Büschel mit einer Untersuchung zu Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha auf den Markt2.
Der im niederländischen Groningen lehrende Historiker – bekannt für seine kulturgeschichtliche Studie zum Kaiserreich und für seine Darstellung der deutschen Entwicklungspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – kündigte an, am Beispiel Carl Eduards eine »transnationale Kulturgeschichte der Diplomatie des Dritten Reiches« vorzulegen. Nachdem der Hochschullehrer die biografischen Bemühungen des ersten Biografen des Herzogs, des »Coburger Laienhistorikers« Harald Sandner3, diskreditiert und die einschlägigen Werke zu adligen Netzwerken in einer Endnote versteckt hatte, konnte Büschel Neuland betreten, wobei er »erstmals« das Hausarchiv der von Sachsen-Coburg und Gotha konsultiert und die erste »wissenschaftliche« Biografie Carl Eduards vorgelegt habe.
Die so übergangenen Autoren ließen das jedoch nicht auf sich sitzen. Karina Urbach listete in einer Besprechung des Buchs für das Rezensionsjournal »sehepunkte« nicht nur die Fehler, sondern auch die Übernahmen durch Büschel auf4. In die sich anschließende Kontroverse zwischen Urbach und Büschel5 schaltete sich auch Sandner ein6. Dem Schlagabtausch über die Frage, wer wann was zuerst gesehen beziehungsweise wer was wann von wem wie übernommen hat, ist nicht viel hinzuzufügen, außer der Erkenntnis, dass von Neuerscheinungen Betroffene diese nicht besprechen sollten.
Insgesamt hat Karina Urbach die »transnationale Verflechtungsgeschichte« vorgelegt, die Hubertus Büschel angekündigt hat. Sie hat die breitere Quellenbasis und die weitere Perspektive. Er beschränkt sich zwar auf Carl Eduard, ordnet diesen aber stärker in den historischen Kontext und als »Täter der zweiten Reihe« auch in einen stark normativen Forschungszweig ein. Mit dieser Einordung ist eine Vorverurteilung verbunden, die dem Biografen ganz offensichtlich die Hand geführt hat. So bringt Büschel Carl Eduards Polenreise im Oktober 1940 mit der Aktion Reinhard in Verbindung, die bekanntlich eineinhalb Jahre später begann. Dass der Herzog 1935 Reinhard Heydrich empfangen hatte, ist dem Autor ein weiterer Grund, dass Carl Eduard die Vorbereitungen zur »Lösung der Judenfrage« mitbekommen haben musste ...
Die vor- und zurückspringende Komposition Büschels ist so typisch wie der Duktus des Titels, der den »Herzog von Coburg« und nicht Konstantin Freiherr von Neurath oder Joachim von Ribbentrop zu »Hitlers adligem Diplomat« macht. Dass der Autor Carl Eduard schon 1932 die »Gleichschaltung« des »Nationalen Klubs« im »Sinne des Nationalsozialismus« betreiben lässt, obwohl der mit diesem Begriff bezeichnete Prozess erst nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten beziehungsweise nach der Reichstagswahl im März 1933 einsetzte, scheint aber nicht nur der Be- beziehungsweise Verurteilung des Protagonisten geschuldet zu sein.
Auch die »Prozesse«, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor der Coburger Spruchkammer gegen Carl Eduard begannen und vor der »Berufungskammer München, Außensenat Nürnberg, mit der Einstufung als Mitläufer und Minderbelasteter endeten«, werfen ein bezeichnendes Licht auf die Vertrautheit Büschels mit diesen Begriffen und Verfahren. Üblicherweise wurden die vom »Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus« Betroffenen einem Spruchkammerverfahren unterworfen, das gegebenenfalls durch mehrere Instanzen lief, und mit der »Einstufung« in eine der fünf vorgegebenen Gruppen zum Abschluss kam. Das Procedere scheint selbst Rezensenten des Büschel-Buches nicht bekannt, die sich mit der Vergangenheit des Auswärtigen Amtes beschäftigt und 2010 als Co-Autor eine einschlägige Publikation vorgelegt haben.
Trotz der Monita sind Büschels Lebensbeschreibung Carl Eduards und vor allem Urbachs Diplomatiegeschichte wichtige Beiträge zu einer Transnationalen Diplomatiegeschichte der internationalen Politik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der ebenso vernetzte (katholische) Klerus und die multinationalen Unternehmen und ihr Management könnten als weitere Akteure in eine solche Analyse der Außenpolitik einbezogen werden.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Claus W. Schäfer, Rezension von/compte rendu de: Karina Urbach, Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht, Stuttgart (Konrad Theiss Verlag) 2016, 464 S., ISBN 978-3-8062-3383-4, EUR 29,95., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48529