Der vorliegende Sammelband vergleicht in transnationaler Perspektive die Umstände und Auswirkungen der während des Zweiten Weltkriegs von Wehrmacht und SS als Vergeltungsmaßnahmen bezeichneten Gewaltverbrechen an der Zivilbevölkerung.

Um den Leserinnen und Lesern einen Einblick in die rechtlichen Rahmenbedingungen zu geben, führt zunächst Gerd Hankel in die völkerrechtlichen Grundlagen der Kriegsführung ein und legt die verschiedenen Legitimationsmuster von Vergeltung in Kriegszeiten dar. Der zentrale Pfeiler dieser Legitimation exzessiver Gewalt an der Zivilbevölkerung bestand darin, dass das Völkerrecht kein Verbot von Repressalien beinhaltete, wodurch eine sich drehende Spirale der Gewalt und Gegengewalt in Bewegung kam. Besonders markant zeigte sich dies am Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1941, der die sowjetische Zivilbevölkerung völlig rechtlos machte, indem er im dortigen Kriegsgebiet die Kriegsgerichtsbarkeit außer Kraft setzte. Auf diese Weise konnten sowohl die Wehrmacht als auch SS, Sicherheitsdienst und Polizeieinheiten nach eigenem Gutdünken Gegner oder solche, die man dafür hielt, ermorden. Der damit geschaffene rechtsfreie Raum weitete sich im Verlauf des Kriegs auf alle von den Deutschen besetzten Gebiete im Westen und Süden Europas aus.

Im Anschluss beleuchtet Habbo Knoch die Dynamik genozidaler Gewalt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Vergeltungsmaßnahmen entscheidend dazu beitrugen, die Entgrenzung der Gewalt gegen Zivilisten und Kriegsgegner zum Zweck der Herstellung einer neuen Ordnung als sinnstiftend einzuordnen.

Rechtsfreie Räume, die Enthebung von jeder Form individueller Verantwortung für das eigene Handeln und die Überwindung von Empathie durch Härte gegenüber den »Feinden« machten schließlich den Weg für Gewaltexzesse frei. Wie sich die Schaffung rechtsfreier Räume und die Legitimation des eigenen gewalttätigen Handelns gegenüber Zivilisten auswirkten, zeigen die folgenden 13 Beiträge in chronologischer Ordnung anhand der Geschehnisse in Polen, Tschechien, Jugoslawien, Weißrussland, der Ukraine, Griechenland, Frankreich und den Benelux-Staaten.

Den Anfang macht die Untersuchung von Daniel Brewing, der das erste harte Aufeinandertreffen von SS-Verbänden und gut organisierten polnischen Partisanengruppen in verschiedenen Dörfern im Distrikt Radom im Frühjahr 1940 untersucht. Indem der Höhere SS- und Polizeiführer Ost, Friedrich-Wilhelm Krüger, Partisanen und Partisaninnen mit der Zivilbevölkerung gleichsetzte, wurde diese prinzipiell als Teil der Partisanenbewegung angesehen, weshalb beide Gruppen unterschiedslos mit allen Mitteln bekämpft wurden. Damit einher ging die Ermordung aller wehrfähigen Männer eines Ortes, was aus deutscher Sicht nicht nur eine Beseitigung der Gegner, sondern zugleich auch ein Mittel der Drohung war, um die Bevölkerung gefügig zu machen. Diese erste Bekämpfung von Partisanengruppen durch SS-Verbände wurde prägend für das gesamte weitere Vorgehen gegen jede Form des Widerstands gegenüber der Besatzungsmacht, selbst wenn es sich im Distrikt Radom nur um ein lokal begrenztes Vorgehen handelte.

Daran anschließend untersucht Stefan Klemp die »Vergeltungsaktion« im tschechischen Lidice am 10. Juni 1942. Während Massaker an der Zivilbevölkerung in der Regel heimlich ausgeführt wurden, suchte man im Fall von Lidice durch Film- und Bilddokumente gezielt die Öffentlichkeit: Schließlich war Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts und Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Opfer eines Attentats geworden. Stefan Klemp zeichnet in seiner Untersuchung sehr detailliert nach, wie die NS-Führungselite gemeinsam mit den das Massaker ausführenden Einheiten der SS und der Ordnungspolizei ihr menschenverachtendes Vorgehen rechtfertigte und gegenüber der Öffentlichkeit als legitime Vergeltung ausgab.

Neben den SS- und Polizeieinheiten fand sich auch in hohen Kommandostellen der Wehrmacht in den eroberten Gebieten die Bereitschaft, rücksichtslos gegen tatsächlichen oder vermeintlichen Widerstand vorzugehen, wie die Besetzung Jugoslawiens durch deutsche Truppen im April 1941 zeigt. Walter Manoschek beschreibt sehr eindringlich, wie die deutsche Seite in den serbischen Ortschaften Pančevo und Kragujevac auf Massenerschießungen als inszeniertes Schauspiel und blinde Vergeltung zurückgriff. Im Falle von Kragujevac fielen 2300 männliche Bewohner der deutschen Tötungsmaschinerie zum Opfer.

In Pančevo wurden auf bloßen Verdacht hin 36 Bewohner des Ortes von Standgerichten zum Tode verurteilt und sofort gehängt. Der Autor greift bei seiner Darstellung auf Akten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg zurück. Damit gelingt eine gute Rekonstruktion der Geschehnisse, jedoch offenbaren diese Akten auch das Versagen der bundesdeutschen Justiz bei der Aufklärung solcher Mordaktionen, die in den 1970iger Jahren die Verfahren einfach einstellte.

Die Situation in Weißrussland untersucht Hannes Heer. Er unterstreicht dabei die enge Verquickung zwischen einem Divisionskommandeur – hier Gustav von Mauchenheim gen. Bechtolsheim für die 707. Infanterie-Division – und SS-Einsatzgruppen bei der Durchführung von Gewaltverbrechen an der Zivilbevölkerung zum »Schutz« der eigenen Truppen. Hinzu kam die Beteiligung an den Massenexekutionen jüdischer Menschen im Einsatzbereich der Division. Auch in diesem Fall schufen die militärischen und politischen Parameter im Rahmen erwünschter Handlungsstrukturen die Legitimation und Rechtsfreiheit für Mordaktionen. Wie die Untersuchung von Heer zeigt, konnte jede Wehrmachtseinheit an der Front oder im rückwärtigen Heeresgebiet Teil der Verbrechensmaschinerie werden.

Dies veranschaulicht ebenfalls der Beitrag von Lars Hellwinkel: Auch Einheiten der Kriegsmarine konnten bei entsprechender militärischer Gemengelage Tötungen an der Zivilbevölkerung verüben. Dies geschah in der Bretagne im August 1944 in den Gemeinden Gouesnou und Penguerec. In diesem Fall hatte der sog. Sperrle-Erlass vom 3. Februar 1944 in Frankreich den entsprechenden rechtsfreien Raum zur Partisanenbekämpfung geschaffen. Hellwinkel analysiert erstmals auf solider Quellenbasis die Beteiligung von Einheiten der Kriegsmarine bei Mordaktionen an der französischen Zivilbevölkerung.

Der Beitrag von Herwig Baum beleuchtet die komplexe Situation der Partisanenbekämpfung in der Ukraine. Denn dort kam es nicht nur zum Aufeinandertreffen von Partisanen mit den deutschen Besatzern, sondern auch mit Einheiten der rumänischen Besatzungsmacht. Während die deutschen Besatzer auf exzessive Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung setzten, um durch präventiven Terror aufkommende Widerstandaktivitäten zu unterdrücken, waren die rumänischen Besatzer bei der Partisanenbekämpfung zielorientierter und unterschieden zwischen Partisanen und Zivilbevölkerung. Nur im Falle von Odessa verbanden sie eine Widerstandsbekämpfung mit einem Judenpogrom.

Dass sich die Partisanenbekämpfung in Griechenland ebenfalls nicht von den Methoden an der Ostfront unterschied, ergibt die Untersuchung von Stratos N. Dordanas. Je weniger es dem Wehrmachtsbefehlshaber in Griechenland gelang, die griechischen Partisanengruppen zu zerschlagen, desto mehr entwickelten sich die »Sühnemaßnahmen« zu reinen Mordaktionen, denen auch die Zivilbevölkerung zum Opfer fiel, ohne dass versucht wurde, zwischen ihr und dem bewaffneten Widerstand zu unterscheiden.

Einen weiteren Themenschwerpunkt bilden Artikel zur Situation in Westeuropa, in denen Deportationen von Zivilisten und Zivilistinnen als Mittel der Repressions- und Vergeltungspolitik im Vordergrund stehen. Zunächst erläutert Christine Eckel die Situation in Frankreich. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Deportationen von Zivilisten und Zivilistinnen in deutsche Konzentrationslager – entweder als Geiseln oder Mitglieder des Widerstands – ein tragendes Element der deutschen Repressionspolitik waren. Anders als Patrice Arnaud1 sieht sie in der Einsetzung eines Höheren SS- und Polizeiführers in Frankreich 1942 keinen Wendepunkt in der Vergeltungspolitik der deutschen Besatzer. Ferner geht sie in ihrem Beitrag sehr sachkundig auf die verschiedenen Kategorien der déporté(e)s ein, die in der Nachkriegszeit und bis in die jüngste Zeit in Konkurrenz zueinander standen. Die Politisierung der unterschiedlichen Gruppen Deportierter hat deren große Heterogenität und die unterschiedlichen Umstände der Verhaftungen in den Hintergrund treten lassen, was von der Autorin ebenfalls herausgearbeitet wird.

Die Untersuchungen von Katharina Hertz-Eichenrode und Christel Trouvé beleuchten Vergeltungsmaßnahmen in Frankreich, Belgien und den Niederlanden im Juni 1944. Besonders hervorzuheben ist dabei die »Sühnemaßnahme« in Murat in der Auvergne, die bisher trotz einer offiziellen Berichterstattung in der Zeitschrift »Die Wehrmacht« im Schatten der in der Öffentlichkeit within bekannten Massaker in Tulle und Oradour-sur-Glane stand. Beide Autorinnen widmen sich dabei vor allem der Frage, wie die Angehörigen über mehrere Generationen hinweg mit dem traumatischen Verlust von Familienmitgliedern durch Tötung und Deportation umgingen, und mit welchen Tabus diese Geschehnisse noch heute behaftet sind.

Dass brutale Deportationen und Massaker – anders als von der deutschen Propaganda dargestellt – zumeist keine militärisch-operative Grundlage hatten, wird anhand der Untersuchung von Georg Erdelbrock zur Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto im August 1944 einmal mehr deutlich. Ziel war nicht der Schutz der Truppe sondern die ideologisch motivierte Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Warschaus durch Mord oder Deportation.

Den Abschluss des Bandes bildet der Aufsatz von Georg Hoffmann zur Lynchjustiz an alliierten Flugzeugbesatzungen, der ein bisher nur wenig beachtetes Thema bearbeitet. Auch hier zeigt sich, dass die Schaffung rechtsfreier Räume gemeinsam mit propagandistischer Indoktrinierung zu einem Zivilisationsbruch bei der Behandlung des Kriegsgegners führte, der Mord und Menschenverachtung legitimierte.

An allen hier beschriebenen Kriegsschauplätzen verbargen sich hinter deutschen Vergeltungsmaßnahmen schlussendlich kaltblütiger Mord und willkürliche Deportation, die keiner operativen militärischen Logik folgten. Propaganda gepaart mit der gezielten Schaffung rechtsfreier Räume ließen die schlimmsten Eigenschaften der Menschen an die Oberfläche treten. Dies hat dieser Sammelband sehr eindrucksvoll über europäische Ländergrenzen und Truppengattungen hinweg herausgearbeitet. Das Ergebnis ist umso erschreckender, als keineswegs alle Mordaktionen im Verborgenen stattfanden, sondern wie etwa im Fall von Lidice und Murat die Öffentlichkeit – wenn auch propagandistisch verbrämt – informiert wurde. Als einziges kleines Manko bleibt bei dieser Publikation ein fehlender Beitrag zur Situation in Italien, wo es nach dem Waffenstillstand mit den Alliierten im September 1943 ebenfalls zu blinden Vergeltungsaktionen kam[1]. [1] Carlo Gentile, Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg. Italien 1943–1945. Paderborn 2012 (Krieg in der Geschichte KriG, 65); Kerstin von Lingen, Deutsche Militär- und Besatzungsjustiz in Italien 1943 bis 1945, in: Claudia Bade, Lars Skowronski, Michael Viebig (Hg.) NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2015, S. 133–153.

1 Patrice Arnaud, Qui dirigeait la police allemande en France sous l’Occupation?, in: ders, Fabien Théofilakis (Hg.), Gestapo et polices allemandes, Paris 2017, S. 19–52.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Corinna von List, Rezension von/compte rendu de: Oliver von Wrochem (Hg.), Repressalien und Terror. »Vergeltungsaktionen« im deutsch besetzten Europa 1939–1945, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2017, 271 S., 13 Abb., ISBN 978-3-506-78721-7, EUR 24,90., in: Francia-Recensio 2018/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48532