In seiner Dissertation untersucht Florian Schönfuß Bewältigungsstrategien und Anpassungsleistungen rheinischer Adelsfamilien in Zeiten revolutionärer Umbrüche, die ihre politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Positionen existenziell bedrohten. Er konzentriert sich dabei auf die Militärkarrieren, denn es galt, diese unter wechselnden Herrschaften erfolgreich fortzuführen und so »oben« zu bleiben. Der Autor thematisiert ein wichtiges Desiderat, weil zu adligen Offizieren für die Sattelzeit kaum neuere Studien vorliegen. Dies erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Krieg und Kampf die ureigenste Domäne des Adels waren. Sie beeinflussten adlige Lebenswelten erheblich, stärkten Selbstverständnis und -bewusstsein, entschieden über Aufstiegschancen und Karriereverläufe.

Im Fokus, der auf einem hervorragenden Quellenfundus beruhenden Arbeit, steht die Familie der Freiherren von Loë, um sie besser einordnen zu können, werden vergleichend die Freiherren von Mirbach-Harff, die Herwarth von Bittenfeld, die Freiherren von Hompesch zu Bollheim sowie die Chevaliers de la Valette St. George herangezogen. Kriterien für die Auswahl der Familien waren unterschiedliche Adelsqualitäten, Grundbesitz im Rheinland und militärisches Engagement über drei Generationen hinweg. Das Militär blieb während des gesamten Untersuchungszeitraums der traditionelle Handlungs- und Erfahrungsraum des Adels.

Letztendlich entschieden über die Karrieren die guten beziehungsweise schlechten Beziehungen zu den jeweiligen Landesherren. Für das Ancien Regime wird deutlich, dass sich die Adligen keineswegs auf den Militärdienst beschränkten, sondern ein flexibles, austauschbares Ämterpfründesystem schufen. Kombiniert wurden diplomatische Dienste, Ordensdienst und Kirchenpfründe mit der gutsherrlichen Verwaltung. Die Familie bildete den wichtigsten Referenzrahmen, wobei Netzwerke und Patronage offen zu Tage treten.

Auffallend ist die starke Frankreichorientierung von 1770 bis 1815. Man diente bevorzugt dem frankreichnahen Kurpfalzbayern und weniger Preußen oder Österreich. Die Revolutions- und die folgenden Kabinettskriege sowie die französischen Verwaltungsreformen zwangen den rheinischen Adel zu radikalen Neuorientierungen, welche die ausgewählten Familien grosso modo sehr gut meisterten. Dabei halfen ihnen als Ressourcen rasche Informationsbeschaffung, geschickte Selbstdarstellung, Kompromissfähigkeit, Verhandlungsgeschick und wiederum die Pflege alter und der Aufbau neuer Netzwerke. Deutlich wird aber auch, dass die Fronten und Positionierungen quer durch die rheinischen Adelsfamilien verliefen.

Aufmüpfige junge Adlige nutzten die Umbruchsituationen, um sich von rigiden Familienoberhäuptern zu lösen. Bemerkenswert sind die steilen Karrieren unter Nutzung standesinterner Netzwerke, die die Brüder Hompesch in britischen Diensten gegen den Willen des Vaters machten. Aber auch die napoleonischen Armeen boten hervorragende Karrieremöglichkeiten für Rheinländer, forderten aber auch einen hohen Blutzoll von ihren Offizieren. Beförderungen nach dem Prinzip der Anciennität, Ämterkauf und Kompaniewirtschaft gehörten allerdings der Vergangenheit an. Darüber hinaus trugen rheinische Adlige jenseits des Militärs bereitwillig zu reichsaristokratischen Notablenpolitik Napoleons bei. So vertrat etwa Graf Edmund Gerhard Loë-Imstenradt das Rur-Departement im Pariser Senat. Er und andere rheinische Adlige wurden von Napoleon für ihre Verdienste mit dem Titel »Comte d’Empire« ausgezeichnet.

Schönfuß zeigt anhand von erstmals geöffneten privaten Familiennachlässen, wie sich der Adel als professionelle militärische Funktionselite präsentierte. Aufschlussreich sind die hier präsentierten Ergebnisse bezüglich Vorbereitung und Verlauf, Spielräumen und Scheidewegen rheinischer Militärlaufbahnen. Dienstherrenwechsel und staatenübergreifende Mobilität waren besonders ausgeprägt während des Ancien Regimes, lassen sich aber auch für die französische Zeit vielfach nachweisen. Erfolgreich Dienst im napoleonischen Heer geleistet zu haben, stellte auch nach 1815 anscheinend kein Karrierehindernis dar, musste aber, um neue Loyalitäten zu Preußen aufbauen zu können, »erklärt« werden.

In Memoiren und Briefen finden sich zahlreiche Passagen, die diesbezüglich das eigene Handeln und Verhalten gegenüber der nachfolgenden Generation rechtfertigten, galt es doch die Dienste im Heer des »Feindes« zu begründen. Immer wieder erinnerten die Offiziere an familiäre Zwangslagen, und vor allem übten sie sich in der Kunst des Weglassens, um den Dienst im napoleonischen Militär in vorteilhafterem Licht erscheinen zu lassen.

Alles in allem erwies sich für Karrieren nach 1815 die Aneignung des napoleonischen Feldherrenglanzes sogar als ähnlich hilfreich wie Familienherkunft und Netzwerke. Wie in den Egodokumenten weiterer europäischer Adelsgruppen finden sich hier topoihafte Stilisierungen von tapferen, ritterlichen Kampfhandlungen. Diese Selbstzeugnisse spiegeln zeitgenössische Diskurse und reflektieren Auseinandersetzungen mit adligen Normen und Ehrvorstellungen. Vor allem aber dienten sie der Legitimation adelig-militärischer Tugenden und Verhaltenskodizes für nachfolgende Generationen und hatten eine enorme Bedeutung für Familientraditionen und Memorialkultur.

Nach 1815 enttäuschte der preußische König die Hoffnungen auf die Restitution verlorener Standesrechte und Besitztümer. Dann erstaunt es insgesamt weniger, dass Edmund von Loë und Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, ein weiterer von Napoleon ausgezeichneter Notabel, sich für die Beibehaltung des französischen Rechtssystems einsetzten, die bald als rheinische Institutionen verteidigt wurden.

Mit seiner mikrogeschichtlichen Studie zu fünf rheinischen Adelsfamilien, die durchaus transnationale und transfergeschichtliche Dimensionen beinhaltet, nicht nur weil sich die Adligen souverän durch das alte Europa und die neue Welt bewegten, überzeugt Florian Schönfuß völlig. Sprachlich ausgezeichnet (der eine oder andere Satz hätte kürzer sein dürfen) zeigt er, wie die untersuchten Familien es schafften, auch in Krisenzeiten »oben« zu bleiben. Geholfen haben ihnen in erster Linie die familiären Netzwerke, Besitz, sehr gute Ausbildungen und ein immer noch unangefochtenes Prestige, das sie als Meister der Sichtbarkeit (Heinz Reif) in Szene zu setzen wussten. Hier liegt ein beachtliches Standardwerk zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der europäischen Adelsgeschichte vor, das weit mehr bietet als neue Ergebnisse zu Militärkarrieren. Das Wort Befreiungskriege (S. 54f.) sollte jedoch besser in Anführungszeichen gesetzt werden: Wovon sollten die Rheinländer denn 1814 »befreit« werden?

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gabriele B. Clemens, Rezension von/compte rendu de: Florian Schönfuß, Mars im hohen Haus. Zum Verhältnis von Familienpolitik und Militärkarriere beim rheinischen Adel 1770–1830, Göttingen (V&R unipress) 2017, 478 S. (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, 22), 5 Stammtaf., ISBN 978-3-8471-0575-6, EUR 65,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48534