Simon Surreaux hat sich in seiner von Lucien Bély betreuten, 2013 publizierten Dissertation intensiv mit den Marschällen Frankreichs als sozialer Elite im 18. Jahrhundert beschäftigt sowie mehrere Aufsätze zu dieser Gruppe von 80 Personen publiziert. Wer nun in dieser Folgepublikation auf 176 Seiten nebst wissenschaftlichem Apparat eine konzise Gesamtdarstellung zu diesem Thema erwartet, wird vielleicht enttäuscht. Dazu mag beitragen, dass Titel, Klappentext und Coverbild keinen direkten Hinweis auf das eigentliche Thema des Bandes geben. Es handelt sich um ein Essay über das Verhältnis und die Einstellung dieser Personengruppe zum Tod und zum Sterben. Das Buch basiert auf zwei Kapiteln der Dissertation, welche Surreaux zu einer eigenständigen Publikation ausgebaut hat. Dort wurde der Untersuchungsgegenstand noch deutlich präziser als »Les maréchaux de France devant la mort et la religion« zusammengefasst1.
Surreaux widmet sich nicht den militärischen Karrieren, sondern verwurzelt seine Protagonisten stärker in ihrer aristokratischen Lebenswelt und verweist darauf, dass die Marschälle Frankreichs repräsentativ für den französischen (Hoch-)adel sind (S. 7). Im Mittelpunkt der Analyse stehen die Testamente und Nachlassinventare der Marschälle; hinzu kommen die wichtigsten zeitgenössischen Memoiren, Journale und Tagebücher. Im großen Maßstab wurde die serielle Auswertung von Testamenten zuletzt um 1970 von Michel Vovelle und Pierre Chaunu im Rahmen einer Mentalitätsgeschichte von Sterben, Tod und Frömmigkeit betrieben2. Entsprechend setzt Surreaux seine Ergebnisse wiederholt in Relation zu deren Arbeiten sowie zum 1935 erschienenen, klassischen Werk Paul Hazards »La Crise de la conscience européenne« (S. 9, 33–35, 93f., 115, 130, 174–176). Zentral ist dabei für Surreaux die Unterscheidung zwischen dem »Menschen des Grand Siècle« und dem »Menschen der Aufklärung«.
Das Werk gliedert sich in elf Kapitel nebst Einleitung und Fazit sowie einen Anhang mit drei Tabellen. Surreaux betont einführend, dass die Marschallswürde – es handelte sich nicht um einen Rang – überwiegend an ältere Generäle verliehen wurde, die am Ende ihrer Karriere standen. Anschließend behandelt er in einem Kapitel zum »Spektakel des Todes« die Trauerfeierlichkeiten als öffentliche Zeremonie, die nicht allein für die Marschälle spezifisch war, sondern für den Hofadel generell. Bei den Grabdenkmälern dagegen wurde die Marschallswürde stärker in den Vordergrund gestellt und war ein Distinktionsmittel gegenüber dem übrigen Adel. Allerdings ist die Zahl der einbezogenen Grabdenkmäler so gering, dass hieraus kaum belastbare Aussagen geschlossen werden können (S. 44, 48). In den Kapiteln drei bis vier untersucht Surreaux, inwiefern die Generäle ihre Marschallswürde im Tod betonten und was sie taten, um ihr Andenken zu formen und zu verewigen. Anschließend daran gibt Surreaux einen Überblick über natürliche Todesursachen, Krankheiten und Gebrechen sowie die mentale Einstellung zum unvermeidlichen Ende des irdischen Seins. Anhand der Testamente analysiert er in den Kapiteln sechs und sieben, inwiefern sich die Marschälle auf den Tod vorbereiteten, und geht hier auf einen Mentalitätenwandel vom 17. zum 18. Jahrhundert (S. 93) sowie Bescheidenheitstopoi in Bezug auf die Ausrichtung des Begräbnisses ein.
Danach erst behandelt Surreaux genauer Abfassung und Form der Testamente und sieht auch hier einen Mentalitätenwandel, da die Testamente vom Glaubens- zum notariellen Akt geworden seien (S. 115). Es folgt das Kapitel zu Religion und Glaube, dem im Hinblick auf das Fazit eine besonders wichtige Rolle zukommt. Zeitgenössischen Ermittlungen über die Sitten der Marschälle schreibt Surreaux nur eine geringe Aussagekraft zu (S. 123). Seine Thesen basieren in erster Linie auf der Rolle religiöser Alltagsobjekte (u. a. Gemälde) sowie einer Untersuchung zum Anteil religiöser und theologischer Literatur in den 13 überlieferten Bibliothekskatalogen.
Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen Chaunus ist relativ oberflächlich, denn anhand der ausgewerteten Quellen lassen sich nur vorsichtig Schlüsse ziehen (S. 124, 126). Die Inventarlisten geben beispielsweise keinerlei Aufschluss über die qualitative Nutzung der Objekte und darüber, welche Motive für den Ankauf entscheidend waren. Die Anzahl religiöser Objekte in einem Nachlass ist ebenso gut als Hinweis auf die finanziellen Möglichkeiten eines Marschalls interpretierbar.
Ob allein anhand dieser Quellen eindeutig auf eine eher innerliche Religiosität der Marschälle in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geschlossen werden kann ist fraglich. Hierfür hätte es der Auswertung weiterer Quellen zur Religiosität dieser Personengruppe bedurft. Im nächsten Kapitel »Sein Erbe und seine Familie erhalten« (S. 131–137) führt Surreaux Belegstellen für den Wunsch, die Kohäsion von Familienverband und Erbe zu sichern, auf. Generell gilt, dass der Autor in sein Buch zahlreiche längere Zitate eingepflegt hat, die in diesem Kapitel sogar mehr als die Hälfte des Textes ausmachen.
Das letzte Kapitel ist den Domestiken der Marschälle gewidmet und stellt insofern einen Bruch dar, als dass die Perspektive nun stärker auf der Auswirkung des Todes der Marschälle auf diese Personengruppe liegt. Zuvor wird einführend auf die Berufsfelder der Domestiken, ihre Anzahl im Haushalt, ihren Anteil an der Bevölkerung und ihre Entlohnung eingegangen. Hier entfernt sich die Arbeit vom Kernthema (S. 140–146). Andererseits zeugen die teilweise stattlichen Geldbeträge, die an Domestiken vermacht wurden, vom symbiotischen Verhältnis von Dienstboten und Herrschaften (S. 171). Im Fazit konstatiert Surreaux für das 18. Jahrhundert einen Mentalitätenwandel von demonstrativer barocker hin zu innerlicher, weniger omnipräsenter Frömmigkeit – der Marschälle im Detail und der Gesellschaft des Ancien Régime insgesamt – als Form der Dechristianisierung.
Im Text finden sich einige kleinere Ungenauigkeiten und Fehler: So wird der Sieg Georgs II. von Großbritannien bei Dettingen 1743 Friedrich II. von Preußen zugeschrieben (S. 92). An anderer Stelle schreibt Surreaux auf Basis des Journals des Duc de Luynes (S. 83f.), dass Moritz von Sachsen an den Folgen seiner »Exzesse« starb. Dieses Gerücht wurde in verschiedenen Versionen mit variierender Mätressenzahl kolportiert, aber ein Blick in die Biografie von Jean-Pierre Bois zeigt schnell, dass der Chevalier de Saxe weniger galant an einer Fieberkrankheit starb3. Bisweilen etwas repetitiv ist der Hinweis, dass im 18. Jahrhundert die Marschälle Frankreichs in der Regel nicht im Kampf starben (S. 11–25, 88).
Vergleicht man die Kapitel in der Dissertation mit dieser neuen Publikation fällt ins Auge, dass Surreaux viele Passagen wörtlich übernommen und neugegliedert hat und den Raum nutzt, um ausgiebig aus den Quellen zu zitieren. Die Neugliederung der Sinnabschnitte ist nicht immer evident (S. 11–25, 77–87). Problematisch ist dabei besonders, dass Analyse und Interpretation bedingt durch den Quellenschwerpunkt auf Testamenten und Nachlassinventaren teilweise die nötige Tiefe fehlt. Es wird nicht problematisiert, dass eine serielle Auswertung bei 80 Marschällen, von denen 53 Testamente überliefert und 13 Bibliotheksbestände bekannt, sind nur begrenzt aussagekräftig ist (S. 106, 127).
Die Lektüre ist aber insofern sehr gewinnbringend, als sie zeigt, dass Offiziere des 18. Jahrhunderts vor allem als Teil der Adelsgesellschaft verstanden werden müssen und die Identität als Militär nur ein biografischer Teilaspekt war, der in verschiedenen Situationen ein unterschiedliches Gewicht besaß. Surreauxs Essay setzt somit einen Kontrapunkt zur obrigkeitlich-militärischen Perspektive auf die französische Generalität im Zeitalter der Aufklärung.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Leonard Dorn, Rezension von/compte rendu de: Simon Surreaux, Servir le roi. Vie et mort des maréchaux de France au XVIIIe siècle, Paris (Vendémiaire) 2017, 221 p. (Chroniques), ISBN 978-2-36358-284-3, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48536