Der Untertitel dieser umfangreichen, detaillierten und sehr akribisch gearbeiteten Untersuchung verweist auf das zentrale Forschungsanliegen des Autors, der sich – völlig zu Recht – als »historian of disgrace« (S. 343) bezeichnet. Bei seinen Forschungen ging es ihm im Wesentlichen darum, das vielschichtige Problem der »königlichen Ungnade« für Frankreich zur Zeit der Herrschaft der Bourbonen, also in der »longue durée«, zu analysieren. Konkret bedeutete das für Swann, die immense Zahl von Fällen zu untersuchen, bei denen Angehörige des französischen Adels, Minister, hochgestellte Amtsträger (officiers), Bischöfe, andere Kleriker, Parlamente und andere Körperschaften sich die Ungnade des Königs oder seiner leitenden Minister zugezogen hatten und die aus diesem Grund sanktioniert worden sind. In chronologischer Hinsicht erstreckten sich die Untersuchungen des exzellenten Kenners nicht nur der behandelten Materie, sondern auch der französischen Geschichte des Ancien Régime von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn der revolutionären Ereignisse um 1789.

Die Untersuchung setzt ein mit den sog. »Majestätsakten« Heinrichs III. im Jahre 1588 gegen die Guise und des jungen Ludwigs XIII. gegen den einflussreichen Favoriten seiner Mutter, Marias von Medici, also gegen Concino Concini, im Jahre 1617, bei denen die Betroffenen getötet wurden, ohne daß sie zuvor in einem Gerichtsverfahren für schuldig befunden und zur Höchststrafe verurteilt worden waren. Bei diesem summarischen Vorgehen rekurrierte man auf den Grundsatz des französischen Gewohnheitsrechts, demzufolge der König als Inhaber der Souveränität und Quelle des Rechts im Falle des Staatsnotstandes (nécessité d’urgence) anzuordnen berechtigt ist, gegen diejenigen, die sich eines schweren Majestätsverbrechens schuldig gemacht haben, summarisch vorzugehen und diese töten zu lassen. Den Ausführungen zu diesen Majestätsakten folgt die Analyse ähnlich gelagerter Fälle, wobei der Autor dem Vorgehen Ludwigs XIV. (1643–1715) gegen den Oberintendanten Nicolas Fouquet (1515–1680) breiten Raum widmet.

Zu Recht stellt Swann fest, dass unter dem Regiment des Sonnenkönigs insofern Veränderungen zu beobachten sind, dass in jedem Fall gegen die eines Majestätsverbrechens Beschuldigten Gerichtsverfahren durchgeführt wurden, die indessen Sondergerichten übertragen wurden. Unter Ludwig XIV. kam es also nicht mehr zu Tötungsakten, ohne dass zuvor eine Verurteilung durch ein Gericht erfolgt war. Außerdem konstatiert der Autor einen Wandel im Verhalten des französischen Adels insofern, dass dieser sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum noch zu Aktionen offener Rebellion gegen den König hinreißen ließ. Dazu dürften, so argumentiert der Autor, die leidvollen Erfahrungen der Bürgerkriege der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der Fronde (1648–1653) und vor allem das entschlossene Vorgehen Richelieus, des Prinzipalministers Ludwigs XIII., gegen Akte offener Rebellion maßgeblich beigetragen haben. Dies bedeutet freilich nicht, dass es unter Ludwig XIV. keine Adelsopposition bzw. keine oppositionellen Reaktionen der Parlamente mehr gegeben hat; derartige Aktionen blieben aber – von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. die Konspiration des »chevalier de Rohan«, 1674) – unterhalb der Schwelle offener, gewalttätiger Rebellion.

Unter Ludwig XIV. nahm – wie Swann nachweisen konnte – der Rekurs auf die berüchtigten lettres de cachet gegen diejenigen zu, die sich – aus welchen Gründen auch immer – die Ungnade des Königs zugezogen hatten. Geradezu inflationiert wurden die »lettres de cachet« aber unter den Nachfolgern des Sonnenkönigs, also unter dem Regenten Philipp von Orléans (1715–1723), unter Ludwig XV. (1715–1774) und unter Ludwig XVI. (1774–1789/92). In diesem Zusammenhang thematisiert der Autor auch die sich häufenden Konflikte zwischen der Krone und den Parlamenten (z. B. das Vorgehen des Kanzlers Maupeou gegen die Parlamente im Jahre 1771), die verschiedenen Ministerentlassungen, Aktionen der Krone gegen Hoffaktionen, gegen hochgestellte Militärs unter Ludwig XV. und Ludwig XVI., worauf hier nicht näher einzugehen ist. Den entsprechenden Vorgängen widmet Swann sehr bereiten Raum (S. 137–454), was insofern nicht überrascht, als er sich in seinen bisherigen Forschungen und Publikationen mit diesem Zeitraum der französischen Geschichte besonders intensiv befasst hat.

Neu, sehr aufschlussreich und weiterführend sind die vom Autor präsentierten Forschungsergebnisse im Hinblick auf folgende vielschichtige Fragenkomplexe: Welche Ursachen und Motive lagen den Fällen königlicher Ungnade zugrunde? Welche Entscheidungsprozesse liefen bei den Königen und den sie jeweils beratenden Ministern im Zusammenhang mit der Exilierung von in Ungnade gefallenen Personen und im Kontext mit dem Vorgehen unter Rekurs auf »lettres de cachet« ab? Welche mentalitätsmäßigen Vorgänge und Entwicklungen lassen sich bei den Akteuren beobachten? Wie reagierten die von derartigen Verfahren betroffenen Personen? Was bedeutete das Exil für diese Personen, für deren Familien, für deren Reputation sowie für deren materielle Verhältnisse? Wie reagierte man in der Öffentlichkeit auf die Inflationierung der lettres de cachet? Welche Konsequenzen hatten die in der Öffentlichkeit geführten diesbezüglichen Debatten für das Ansehen der Krone, für deren Agieren, für die Exilierten und deren personelles Umfeld sowie für das politische Denken generell? Wann und aus welchen Gründen schlug in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der politischen Debatte das Pendel insofern um, als man im Rekurs der Akteure auf das Instrument der lettres de cachet nicht mehr die Wahrnehmung souveräner, dem König quasi von Gott gegebener Rechte sah, sondern mehr und mehr despotische Akte gegen die jedem einzelnen naturrechtlich zustehende Freiheit und damit letztlich Akte eines royalen Despotismus.

Der Fachmann mag die eine oder andere Schlussfolgerung von Swann als diskutabel empfinden, aber zweifellos ist ihm mit dieser kenntnisreichen und sorgfältig recherchierten Arbeit ein großer Wurf gelungen. Sie bietet nicht nur eine Fülle neuer Erkenntnisse und vertiefter Einsichten im Hinblick auf die politischen Entwicklungen und Veränderungen im Bereich königlicher Ungnade unter den Bourbonen, sondern auch hinsichtlich der Spezifika und der Transformationsprozesse in der politischen Kultur des Ancien Régime. »The aim of this book was twofold, namely to examine the development and consolidation of a distinct form of the politics of disgrace in Bourbon France and to use that phenomenon as a means of invastigating the nature and transformation of Old Regime political culture« (S. 457).

Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 473–501) dokumentiert, dass die Untersuchungen des Autors auf einer stupenden Materialbasis beruhen. Zu bedauern ist indessen, dass Swann die einschlägige deutsche Forschung nicht berücksichtigt – es sei denn, sie hat in französisch- oder englischsprachigen Publikationen bereits ihren Niederschlag gefunden. Mit dieser kleinen Ausstellung soll jedoch der wissenschaftliche Wert seines Buches nicht gemindert werden. Ein detailliertes Personenregister und ein spezifiziertes Inhaltsverzeichnis erleichtern dem Benutzer den Zugang zu den ihn besonders interessierenden Fragen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Malettke Klaus, Rezension von/compte rendu de: Julian Swann, Exile, Imprisonment, or Death. The Politics of Disgrace in Bourbon France, 1610–1789, Oxford (Oxford University Press) 2017, XXIV–522 p., 18 b/w ill., ISBN 978-0-19-878869-0, GBP 85,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48537