Das Trauma des »système Law«, wie die französischen Zeitgenossen das Projekt des Schotten John Law of Lauriston nannten, liegt nicht nur in den Erfahrungen des Bankrotts, die die Spekulationsblase von 1720 provozierte, sondern vielmehr im Unvermögen der Zeitgenossen dieses System, das keinen Regeln zu folgen schien, zu verstehen. Die brennende Frage der Zeit war deshalb: Konnte der Begründer dieses anscheinend regellosen Systems selbst dessen Funktionsmechanismen durchschauen; in anderen Worten, war er verantwortlich für seine Folgen, oder war auch er Opfer der eigenen Vision? Es war gerade diese Kontingenzerfahrung, die die Zeitgenossen beschäftige, und entsprechend spottete etwa ein zeitgenössisches chanson singend über jenen Gewinn, der kein Know-How erforderte, »gagnons sans savoir comment«, und lieh damit dem von der Literaturwissenschaftlerin Florence Magnot-Ogilvy herausgegebenen Sammelband den klangvollen Titel.
Nicht zuletzt liegt in dieser Deutungsunsicherheit auch die Ursache für die sehr unterschiedlich ausfallenden Beurteilungen des Systems und seines Begründers, der nach dem Ableben des Sonnenkönigs versprochen hatte, die in erdrückende Höhen gestiegenen französischen Staatschulden zu tilgen: Seine compagnie solle die Schulden des Staates im Tausch gegen Monopolrechte übernehmen, die neue Banque royale durch den Verkauf von Aktienanteilen die Schulden in zirkulierendes Geld umwandeln. Nicht nur für die europäischen Zeitgenossen war Law schon vor dem Scheitern des Systems eine ambivalente Figur, die mal als Geldteufel, mal als Genie gedeutet wurde. Auch heute wirken diese Bilder nach. Es ist deshalb mehr als notwendig, und dieser Aufgabe haben sich die Autor*innen des vorliegenden Bandes angenommen, viele dieser Interpretationsangebote ihrerseits zu historisieren.
Es geht der Herausgeberin also nicht darum, John Law und seine finanzökonomischen Ideen auf seine Innovationskraft hin zu beurteilen. Vielmehr soll Laws System als Produktionsmaschine von Ideen und Überzeugungen, aber auch von Bildern, Texten und Debatten in den Blick genommen werden. Der Band fasst damit die Kontingenz- und Krisenerfahrung der 1720er als Scharniermoment für die Moderne, das neue epistemische Bausteine bietet: »Moment de crise, Carrefour de conceptions de la modernité, le système de Law, son ascension et sa chute, activent ou réactivent en 1720 des enjeux et des débats essentiels dans la manière de comprendre alors le monde, de concevoir la prospérité ou les relations sociales« (S. 12).
Während der Aufarbeitung der englischen und niederländischen frühneuzeitlichen Spekulationserfahrungen ein reges Forschungsinteresse bescheinigt werden kann, ist der Mississippi-Blase bisher vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Namentlich die Arbeiten von Paul Harsin, Edgar Faure, Antoine E. Murphy, Jerôme Jambu und Jean-Michel Rey, oder die Veröffentlichung des »Great Mirror of Folly« sind erfreuliche Ausnahmen (S. 12f.). Der vorliegende Band, der literarische, kunsthistorische, ökonomische und ideengeschichtlicher Interpretamente vermittelt, leistet damit einen weiteren und längst überfälligen Beitrag.
Der erste Teil (»Avant la chute: le contrôle des images«) fokussiert John Laws Versuch, sein Bild im espace public zu positionieren: Die Kunsthistorikerin Valentine Toutain-Quittelier untersucht auf Grundlage zeitgenössischer Beschreibungen das Bildprogramm des heute nicht mehr erhaltenen Dekors der Banque de Law auf seine finanzpolitischen Ideen. In einem weiteren Beitrag widmet sie sich den wenigen zeitgenössischen Porträtdarstellungen des Finanzexperten sowie den späteren, stilisierten, unhistorischen Kopien.
Linda Borean nimmt dagegen Law als Kunstsammler in den Blick und fokussiert das Ensemble der Bilder, die Law mit ins Exil nahm und das er dort erweiterte. Die Herausgeberin beleuchtet dagegen in der Tradition Foucaults sprachlich narrativierte Bilder und interpretiert die Metaphern »alchemischer Prozess«, »Krankheit« und »Hausbau« als zeitgenössische Mittel im Deutungskampf der Ereignisse zwischen 1716 uns 1720.
Wie der erste Teil so verbindet auch der zweite (»La banqueroute et la guerre des mots: parler du Système en 1720«) foucaultianische Diskursanalyse mit der von Jürgen Habermas inspirierten Frage nach der Rolle des Système Law für die Herausbildung eines Öffentlichkeitsraumes: Jean Sgard zeigt mit seiner Analyse semi-offizieller und klandestiner Zeitungen, dass 1720 nicht nur Katastrophenjahr war, sondern Zeitungen ihre Beruhigungs-und Informationsfunktion weiter wahrnehmen und sogar noch stärken konnten. Henri Duranton stellt mit seiner Analyse (klandestiner) chansons und Pamphlete ferner heraus, dass deren simplifizierenden Texte weniger das System zu ergründen suchten, als vielmehr Unbehagen und Unzufriedenheit kondensierten und so der öffentlichen Meinung eine Stimme verleihen konnten.
Arnaud Orain und Laurent Thézé untersuchen dagegen, wie diskursive Mittel von verschiedenen Diskursgruppen übernommen, reinterpretiert und adaptiert wurden. Sie verdeutlichten, wie etwa die alchemische Metapher, die bald zur Kritik des Systems herangezogen wurde, zunächst von Laws Befürworten instrumentalisiert worden war. Céline Lamy untersucht ebenfalls den Austausch von Argumenten, indem sie regierungsfreundliche Einträge in den Periodika in den Blick nimmt, insbesondere die »Lettres« des Abbé Terraison, die im wichtigsten Regierungsorgan »Mercure de France« veröffentlicht wurden und die Einwände der Kritiker antizipierten.
Den dritten Teil (»De près, de loin: le Système au télescope«), der den Blick auf das Système Law mit der Perspektive aus der Ferne und in die Ferne verbindet, leitet der Beitrag Joyce Goggins ein, die das zeitgenössische niederländische Populärtheater daraufhin untersucht, wie es kollektive Ängste verarbeitete. Sie verdeutlicht dabei die Beziehung zwischen Moralisierung des Systems und seiner Rezeption. Stefano Condorelli zeigt ferner, dass das System Law bereits seit 1715 eines der vorrangigen Themen in europäischen Journalen und Zeitungen war, deren Kritik dabei der Fluktuation der Ereignisse in Frankreich und den dortigen Debatten folgte. Gestärkt durch die Distanz der Beobachtung lösten vor allem zwei Momente Misstrauen aus, namentlich als am 21. Mai 1720 ein königlicher Erlass den Wert der billets halbierte; sowie die Ereignisse des 17. Juli, an dem mehrere Personen während eines Massenauflaufes in der rue Vivienne (Börse) zu Tode kamen. Jennifer Tsien zeigt dagegen, wie der Blick nach Louisiana als Projektionsfläche für Machtkritik diente: Gemäß einem zeitgenössischen Gerücht war der Koch Quoniam vom französischen Regenten Philippe d’Orléans aufgrund dessen angeblicher Affaire mit der Ehefrau des Kochs unrechtmäßig nach Louisiana verbannt worden. Louisiana fungierte in dieser Interpreation als derjenige Ort, der eine neue Perspektive auf das heimische System bot.
Eve Rosenhaft fokussiert gleich in doppelter Hinsicht den Blick aus der Ferne, wenn sie diejenigen Interpretationsangebote des Systems analysiert, die in den deutschen Reichsgebieten zirkulierten, wo die Zeitgenossen nicht in gleicher Weise in Laws Spekulationsgeschäft involviert waren wie Franzosen, Engländer oder Niederländer. Rosenhaft interpretiert die pädagogischen Unterweisungen der deutschen Zeitschriften und Enzyklopädien schließlich als Versuch einer Kosmopolitisierung der deutschen Imaginationswelt.
Den Blick auf die Historiografie und damit der zeitlichen Distanz bietet der vierte Teil (»Le bruit et le silence: les dilemmes de la parole rétrospective«). Catherine Labio untersucht die in Bezug auf das Système Law verbalisierten Hyperbolisierungen des 19. und 20. Jahrhunderts, deren Simplifizierungen sie durch die Schwierigkeit der Zeitgenossen erklärt, die Ereignisse von 1720 zu verstehen, und deren gescheiterten Sinn- und Ordnungszuschreibungen demnach mit einer Nostalgie für einen verlorenen Traum von (ökonomischer) Freiheit einhergingen. In ihrem begriffsgeschichtlich geprägten Beitrag zur Banque générale stellt Dominique Ancelet-Netter dar, dass deren Name durch die Ereignisse der 1720er derart in Misskredit geraten war, dass der spätere Finanzminister Turgot sie noch im Jahre 1776 folgenreich in Caisse d’escompte umbenannte.
Marc Hersant widmet sich den Deutungen in den Memoiren des Duc de Saint-Simon, der das Chaos der 1720er Jahre als Folge einer universellen Deregulierung darstellte und mit seiner Interpretation des Siegeszuges der Irrationalität eine conte noir erzählte. Gilles Jacoud interessiert sich dagegen für den »anderen Saint-Simon«, den Grafen Claude-Henri de Rouvroy de Saint-Simon (* 1760), und für dessen Schüler, die sogenannten »Saint-Simoniens«, in deren Auffassung Law die Möglichkeiten der Geldzirkulation grundlegend überschätzte. Antoine E. Murphy sellt dar, dass für den ersten économiste monétariste, Geld nicht nur Signifikat des Preises, sondern direkt an der Güterproduktion beteiligt war, womit dieser Geld und Handel direkt miteinander in Beziehung setzte.
Jean-Michel Rey bespricht in seiner «Ontologie des Kredits« schließlich die Bedeutung des »Trauma Law« für den modernen imaginaire du credit und arbeitet heraus wie sich dieses Trauma vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Finanzumstrukturierungen der 1790er und den Assignaten in der Wahrnehmung der Philosophen des 19. Jahrhunderts noch verstärkte.
Die Beiträge machen deutlich, dass nicht nur die vom Système Law verursachten Verluste, sondern auch die Gewinne das Potential hatten, das soziale Gefüge des Königreiches zu unterwandern und so ein Gefühl des Kontrollverlusts provozierten. Entsprechend hebt die Herausgeberin hervor, dass den Lesarten unterschiedlicher Couleur angesichts eines neuartigen Systems, das nicht nur eine neue Vision der Ökonomie, des Eigentums und des Tausches verordnete, sondern auch eine neue Sprache sowie neue Modalitäten einer »croyance nouvelle« hervorbrachte, eine »angoisse devant l’incrompréhension« (Angst vor dem Unverständnis) gemeinsam war (S. 332).
Damit erscheinen die Kontingenzerfahrungen der 1720er Jahre gewissermaßen als Geburtswehen des modernen Kapitalismus, die dem Système Law gleichermaßen eine herausragende Bedeutung im Werdungsprozess der Moderne bescheinigen. 1720 wird damit einerseits in das Metanarrativ der Moderne eingebettet, stellt gleichzeitig aber auch seine Besonderheit dar. Ohne dies zu explizieren, folgt »Gagnons sans savoir comment« damit auch Michel Foucaults Analyse des Liberalismus, der dem Soziologen zufolge die Individuen derart mit Gefahren konfrontiere, dass er diese in einen Zustand ständiger Angst versetzte. Damit bietet der Band, ohne dies dezidiert zu reflektieren, nicht nur eine Historisierung der »Représentations du Système Law«, sondern auch eine moderne (möglicherweise düster überschätzte) Geschichte der Angst und der zahlreichen Versuche, durch Heuristik und Narrativierung, das die Moderne konstituierende Trauma zu verarbeiten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Christine Zabel, Rezension von/compte rendu de: Florence Magnot-Ogilvy (dir.), »Gagnons sans savoir comment«. Représentations du système de Law du XVIIIe siècle à nos jours, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2017, 384 p., nombr. ill. en coul. Et n/b (Interférences), ISBN 978-2-7535-5214-2, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2018/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.2.48978