Der Sammelband ist das Ergebnis einer Tagung, die im September 2014 am Institut catholique d’études supérieures in La Roche-sur-Yon (dép. Vendée) in Erinnerung an die Schlacht von Bouvines 1214 stattfand. Dieser Sieg Philipps II. August über den englischen König Johann Ohneland und seinen welfischen Neffen, Kaiser Otto IV., gehört zum eisernen Bestand des Geschichtswissens eines jeden französischen Schulkindes, ähnlich der Krönung Karls des Großen im Jahr 800 und der Revolution von 1789.
Tatsächlich bekräftigte diese gewonnene Schlacht die territoriale Expansion der französischen Krondomäne der vergangenen zehn Jahre über die Normandie, Anjou, Maine und einen Teil des Poitou, bannte für ein Jahrhundert die anglo-angevinische Bedrohung und machte den kapetingischen König zum mächtigsten Herrscher Europas. Dessen Regierungszeit bildet eine wichtige Etappe auf dem langen Weg zur Entstehung der französischen Nation. Da die Jahrzehnte um die Wende zum 13. Jahrhundert zu den am intensivsten erforschten Phasen der französischen Geschichte zählen, war es die nicht einfache Aufgabe der Referenten, Bilanz der historischen Erkenntnis zu ziehen und neue Aspekte vorzuschlagen.
Yves Sassier (»L’héritage paternel. Bilan négatif, mitigé, positif?«, S. 13–26) stellt einen Vergleich mit der Regierungszeit des Vaters, Ludwigs VII., an, der trotz der folgenreichen Annullierung der Ehe mit Eleonore von Aquitanien nicht wenige Erfolge vorzuweisen hat, nämlich die Einbindung des rivalisierenden Geschlechtes der Blois-Champagne, die Zähmung der aufstrebenden Kommunen und die Vorbereitung der Expansion gegen Süden sowie die wachsende Bedeutung des gelehrten Rechtes. – Die Beziehungen Philipps II. August zu den Plantagenet-Rivalen waren komplex, was sich auch an den zahlreichen persönlichen Treffen mit Heinrich II. und dessen Söhnen Heinrich (dem Jüngeren), Richard Löwenherz, Gottfried von der Bretagne und Johann Ohneland ablesen lässt.
Martin Aurell analysiert diese Beziehungen der Prinzen, die etwa derselben Generation angehörten, unter anthropologischem Blickwinkel (»Philippe Auguste et les Plantagenêt«, S. 27–69). Das Verhältnis der amicitia wurde auch in Lehnsbindungen konkret, wobei der rituelle Kniefall vor dem König das eindeutige Verhältnis von Über- und Unterordnung symbolisch sichtbar machte.
Olivier Hanne, der durch mehrere Arbeiten zum französischen Experten für Papst Innocenz III. geworden ist, verfolgt dessen Beziehungen zum König mit Hilfe der nun fast kompletten österreichischen Edition der Kanzleiregister (»La papauté face à Philippe Auguste, à travers les registres des lettres pontificales«, S. 71–90). Belastet waren sie während des gesamten Pontifikats durch die schon knapp nach der Heirat mit der dänischen Prinzessin Ingeborg angestrebte Annullierung der Ehe, die der willfährige französische Episkopat gewährte, die aber Innocenz III. nie akzeptieren wollte. Mit selbstschädigender Konsequenz ergriff er immer die Partei der verstoßenen Ehefrau. Gleichwohl hegte er, wohl aus Reminiszenz zur Studienzeit in Paris, Sympathien für Frankreich und sah über manche unkanonische Einmischung des Königs in Kirchenangelegenheiten – Bischofswahlen, Aneignung von Regalien – hinweg. Dass der König auch den Aufruf zum Albigenserkreuzzug nicht befolgte, tat dieser Nachsicht keinen Abbruch, und es ist bezeichnend, dass die hochpolitischen Dekretalen »Per venerabilem« (1202) und »Novit ille« (1204) französische Hintergründe hatten. Mit seinen Bemühungen, Frieden zwischen Philipp und Johann Ohneland zu stiften, hatte der Conti-Papst freilich keinen Erfolg.
Die großen militärischen Erfolge von 1204 (Eroberung der Normandie) und von 1214 sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Philipp nur kurze, örtlich begrenzte Kriege führte. (Xavier Hélary, »Les ressources militaires de Philippe Auguste«, S. 91–100) Sein zahlenmäßig kleines Heer setzte sich aus vasallitischen Rittern seines Gefolges zusammen, nur vereinzelt stießen Leute der großen Kronvasallen und der Bischöfe der königlichen Domäne hinzu. Mittelfristig vorteilhaft wirkte sich die Verfeinerung der Bürokratie aus, die listenmäßig die zum Kriegsdienst Verpflichteten erfasste und die die Finanzen für Soldzahlungen zur Verfügung stellte.
Eine Detailfrage behandelt Luc Guéraud (»Administrer le Poitou au temps de Philippe Auguste. Le sénéchal en Poitou, XIIe–XIIIe siècles«, S. 101–116). Der Adel dieses Gebietes ließ sich durch den königlichen Beamten nicht in dem Maße zähmen, wie dies vielleicht beabsichtigt war.
Elisabeth Carpentier und Georges Plon werten ihre vor etwa zehn Jahren vorgelegte Neuedition der Biografie des Königs durch Rigord, Mönch in Saint-Denis, aus und konzentrieren sich in ihrem Beitrag (»Relecture de Rigord«, S. 117–128) auf die Prologe und die Widmungsbriefe. Philipp erhält höchst lobende Epitheta – christianissimus, augustus – die vom Fortsetzer der Lebensbeschreibung, Wilhelm Brito, etwas abgewandelt werden. Aber die Historiografie hinterließ bleibende Spuren, denn der Beiname »Augustus«, den Rigord wohl aus den »Etymologiae« des Isidor von Sevilla bezog,ist bis zum heutigen Tag fixiert.
Catalina Girbea rückt das Bild eines Herrschers zurecht, der angeblich der höfischen Literatur verständnislos gegenüber gestanden sei (»Culture littéraire à la cour de Philippe Auguste«, S. 129–144). Auch in seiner Umgebung, und besonders in seiner Verwandtschaft aus der Champagne und aus Flandern, wurde die Literatur gepflegt, die nach der Rückkehr vom Kreuzzug eine mehr religiöse Einfärbung erhielt.
Aber wichtiger war zweifellos die pragmatische Schriftlichkeit, die in der zunehmenden Bürokratie der königlichen Zentralverwaltung vom römischen und vom kanonischen Recht forciert wurde. Olivier Descamps untersucht in seinem Artikel (»L’essor des droits savants à l’époque de Philippe Auguste«, S. 145–168, meines Erachtens der gehaltvollste der zehn Beiträge) diese Juridifizierung, der das gelehrte Recht kräftige und unumkehrbare Impulse gab. Die Universität Orléans orientierte sich mehr am römischen Recht, in Paris wurde neben der Theologie und Philosophie auch das kanonische Recht gelehrt.
Thierry Dutour untersucht das Ideal des prud’homme, der nach Joinville auch Gegenstand der Reflexion des Königs gewesen sei (»L’engagement civique et l’idéal de la prudhommie [XIIIe–XIVe siècles]«, S. 169–194). Der abschließende Beitrag, vom Philosophen Jean-Marc Joubert beigesteuert, ist auf den Begriff des Wollens hin orientiert. – Erfreulicherweise schließt ein Namenregister den Sammelband, der sich ein hohes Ziel setzte. Einzelne Aspekte der Regierungszeit Phlipps II. August sind nun tatsächlich besser ausgeleuchtet, aber vieles ist anderweitig schon gesagt worden.
Obwohl so manche der älteren und alten Arbeiten zwangsläufig herangezogen werden, machen unsere französischen Kollegen zumeist einen weiten Bogen um die deutschsprachige ältere und rezente Literatur. Nur ein einziges Mal findet man das vierbändige Werk von Alexander Cartellieri über Philipp II. August (1899–1922) in einer Fußnote beiläufig zitiert, obgleich seine 1800 Seiten die genaueste ereignisgeschichtliche Darstellung bieten (und dem Mitarbeiter an der österreichischen Edition der »Register Innocenz’ III.« stößt es sauer auf, dass mit Ausnahme von Olivier Hanne an nicht wenigen Stellen immer noch der mangelhafte Abdruck von Migne zitiert wird).
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Werner Maleczek, Rezension von/compte rendu de: Martin Aurell, Yves Sassier (dir.), Autour de Philippe Auguste, Paris (Classiques Garnier) 2017, 220 p. (Rencontres, 285. Histoire, 2), ISBN 978-2-406-06738-2, EUR 32,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51741