Da der Rezensent bereits im letzten Jahr eine Dissertation besprochen hat, die aus einer Edition von Bern von (der) Reichenaus Traktat über die Nigromantie mit Übersetzung und Kommentar besteht, war er verblüfft, als ihn ein Jahr später eine Besprechungsanfrage fast identischer Art erreichte. Anders, als zunächst vermutet, handelte es sich jedoch nicht um einen Irrtum. Vielmehr verhält es sich so, dass zwei Promovenden zur gleichen Zeit unabhängig voneinander am selben Thema gearbeitet haben.

Zeitlich die Nase vorn hatte Benedikt Marxreiter. Er promovierte im Sommersemester 2016 bei der Mittelalterhistorikerin Martina Hartmann an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und konnte noch im selben Jahr seine Dissertation in der Reihe »Studien und Texte« der MGH publizieren. Ein Semester später hat Niels Becker an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg seine Dissertationsschrift eingereicht, die von dem Mittellateiner Tino Licht betreut wurde.

Ein Vergleich der beiden Vorworte erbringt keine Indizien dafür, dass Marxreiter und Becker im Laufe ihrer Arbeit von den parallelen Bemühungen des jeweils anderen erfahren haben. Etwas merkwürdig wäre dies aber nicht zuletzt insofern, als schon vor Jahren eine Edition von »De nigromantia« seitens Helmut Zähs zu erwarten war. Dieter Blume hat in seiner 2008 vorgelegten Monografie über den Reichenauer Abt Bern, der dem Bodenseekloster von 1008 bis 1048 vorstand, in zwei Fußnoten auf dieses Vorhaben aufmerksam gemacht, was Marxreiter und Becker sehr wohl rezipiert haben. Ersterer hat denn auch zu Zäh Kontakt aufgenommen, der daraufhin sein Editionsprojekt an ihn abtrat. Becker scheint sich jedoch nicht um eine entsprechende Klärung bemüht zu haben und konstatiert im Forschungsüberblick seines Buches lapidar, Zähs Edition sei nicht zustande gekommen (S. 30).

Dass eine vollständige Überlieferung der Auftragsarbeit Berns zum Problem der Dämonenexistenz und Horoskopgläubigkeit aus christlicher Sicht existiert, weiß die Fachwelt erst seit einem entsprechenden Hinweis von Arno Duch im Jahre 1934, der jedoch nicht offenbarte, wo sich die einzige bekannte Abschrift des fraglichen Traktats findet, nämlich in dem um 1512 entstandenen Codex Harley 3668 in der British Library zu London, der ursprünglich Teil der Peutingerschen Humanistenbibliothek in Augsburg war. Erst Klaus Graf (in Beckers Forschungsüberblick nicht erwähnt) und besagter Helmut Zäh haben dieses Rätsel – unabhängig voneinander – in diesem Jahrhundert endlich lösen können. Die Magdeburger Centuriatoren publizierten bereits im Jahre 1567 Fragmente von Berns Nigromantie-Schrift, griffen dabei allerdings auf eine andere, heute nicht mehr nachzuweisende Vorlage zurück.

Im Wesentlichen auf der Grundlage der beiden Überlieferungen aus dem 16. Jahrhundert sind daher Marxreiters und Beckers Editionen mit Übertragungen ins Deutsche im Paralleldruck (hier S. 88–163) entstanden. Abweichungen im Wortlaut der lateinischen Texte sind minimal, was für die Zuverlässigkeit der von den Autoren geleisteten editorischen Arbeit spricht. Dargeboten werden jeweils auch die zu dem Traktat gehörenden Widmungsbriefe an Erzbischof Poppo von Trier bzw. an einen gewissen Meginfred (von Becker charakterisiert als »auswärtige[r] Freund Berns […], der einer Klostergemeinschaft angehörte« und kein Abt war [S. 240]). Hier nun ergibt sich durch unterschiedliche Kommasetzungen an einer Stelle eine schwerwiegende inhaltliche Diskrepanz: Bern erwähnte Poppo gegenüber Irrlehrer, die vor einigen Jahren in Italia wie Unkraut pullulasse, in regno Karoli ad sui perniciem emersisse sicque ad Luthoringiam venientes (S. 90). Diesen Herrscher Karolus identifiziert Becker mit dem in den 990er Jahren gestorbenen Herzog Karl von Niederlothringen (S. 91, vgl. S. 221). Bei Marxreiter steht das Komma indes nach Karoli, weshalb er annimmt, es seien die Kaiser Karl der Kahle oder Karl der Dicke in ihrer Eigenschaft als Herrscher über Reichsitalien gemeint (S. 60 bei Marxreiter), was jedoch sehr fraglich erscheint.

Niels Becker hat, über sein eigentliches Vorhaben hinausgehend, auch drei bislang gleichfalls noch nicht zum Druck beförderte Predigten Berns ediert und übersetzt (S. 166–193). Darin geht es um Jesus Christus als Opferlamm (»de pascha«), die drei »Magier« aus dem Morgenland (»in epiphania Domini«) und den Gründonnerstag als Tag der Sündenvergebung sowie biblische Beispiele für wahre Bußhaftigkeit (»in caena Domini«). Die Motivation für diese »Zugabe« bleibt explizit im Dunkeln, zumal Beckers Kommentar sie unberücksichtigt gelassen hat. Inhaltlich weisen diese sermones jedoch Anknüpfungspunkte zum Traktat des Abtes auf.

Die Neuerscheinung setzt ein mit Darlegungen über Berns Leben und Werk und zur diesbezüglichen Forschung. Bei dieser Gelegenheit wird unter anderem auf einige Handschriften mit Textzeugen hauptsächlich der musiktheoretischen Schriften des Benediktiners aufmerksam gemacht, die in dem entsprechenden Verzeichnis Dieter Blumes fehlen (S. 23–25). Es folgen Informationen über die der Edition zugrunde liegenden Überlieferungen mitsamt einer vergleichenden paläografischen Untersuchung mehrerer Harleiani Peutingerscher Provenienz unter Beigabe von Fotos. Anders, als bislang angenommen, wurde der »Codex 3668« nicht von einer einzigen Hand verfasst (S. 31/33, Anm. 97). Für Konrad Peutinger dürfte nicht zuletzt der astrologische Teil von »De nigromantia« interessant gewesen sein. Aufmerksam könnte er auf diese Abhandlung in einer Reichenauer Handschrift, die damals als Leihgabe im Augsburger Kloster St. Ulrich und St. Afra zugänglich war, durch den mit ihm befreundeten dortigen Konventualen, Humanisten und Astrologen bzw. Astronomen Veit Bild geworden sein (S. 40–45).

Vor der Darlegung der Editionskritierien widmet sich der Verfasser in drei kurzen Kapiteln der Datierung, dem Werktitel und dem Inhalt der Schrift über die schwarze Magie, den er auch in Form einer Tabelle präsentiert (S. 65–81). Auf die Edition (S. 88–193) folgt ein Kommentar (S. 195–348), der beinahe so umfangreich ist wie der gesamte Band von Marxreiter und aus Sicht des Rezensenten keine Wünsche offen lässt. 59 Seiten davon beziehen sich allein auf die beiden Widmungsbriefe. Zwei Anhänge, die Bibliografie sowie Indices der erwähnten Handschriften, Drucke, Orte, Personen und Sachen beschließen das Buch.

Alles in allem hinterlässt es einen hervorragenden Eindruck. Außer einem einzigen missglückten Satz (S. 15, Anm. 17), einmal »wünschst« statt »wünscht« (S. 123) und zwei irreführenden Kopfzeilen (S. 341, 343) gibt es daran, abgesehen von dem erwähnten kleinen Defizit des Forschungsüberblicks, so gut wie nichts zu kritisieren. Auch der anders angelegte Kommentar Marxreiters zu »De nigromantia« in Form eines Vergleichs mit sonstigen dämonologischen Texten aus der Epoche ist verdienstvoll. Somit ist Berns Schrift zum Themenkomplex der Dämonenkünste und Dämonenverehrung, der Buße und Vergebung für Anhänger der Magie sowie der Nichtigkeit der Nativitätsstellerei nun bestens zugänglich und aufgearbeitet.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gerd Mentgen, Rezension von/compte rendu de: Niels Becker, Bern von der Reichenau: »De nigromantia seu divinatione daemonum contemnenda« sowie drei Predigten (»de pascha«, »in epiphania Domini«, »in caena Domini«). Edition, Übersetzung, Kommentar, Heidelberg (Universitätsverlag Winter) 2017, 419 S., 1 Abb. (Editiones Heidelbergenses, 36), ISBN 978-3-8253-6838-8, EUR 60,00. , in: Francia-Recensio 2018/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51748