Die Reflexion über das Verhältnis von Mittelalter und Moderne stellt zwar keine ganz neue Thematik dar, aber man darf man sich beim zu besprechenden Band zunächst getrost den begleitenden Worten von Terry Jones (Monty Python) anschließen: »It’s a feast of literature and medievalism. I hope you enjoy it.« Wenn der Genuss in der Folge doch nicht ganz uneingeschränkt ist, so liegt dies keineswegs an der Qualität der versammelten Beiträge. Vielmehr wird man schlicht bedauern, dass just Terry Jones, der im Juni 2013 auf der Tagung an der Universität von St. Andrews vortrug, aus der dieser Seamus Heaney gewidmete Band hervorging, seinen Beitrag nicht zum Druck brachte.

Darüber hinaus führen, wie nicht anders zu erwarten, mehrere der Texte klar vor, wie »das Mittelalter« im 19. und 20. Jahrhundert für verschiedene und oft erschreckende Dinge missbraucht wurde – und weiterhin wird. Entsprechend geht es hier auch nicht nur um Formen und Figuren des »Mediävalismus«, dessen Vielgestaltigkeit Bildhauer und Jones in ihrer Einleitung prägnant skizzieren (S. 1–24) und zu dessen Erforschung der Band beitragen möchte1. Zumindest fällt es nicht leicht, den politischen Einsatz des Vorwurfs, »mittelalterlich« zu sein oder »mittelalterliche Praktiken« anzuwenden, unter dieser Rubrik zu fassen. Diese Praxis macht ja vorrangig Sprache zur Waffe und bedeutet weniger die produktive Aneignung spezifischer Motive, in welcher Form auch immer (S. 9–15); mit Patrick Geary könnte man von »toxischem Mediävalismus« sprechen (S. 13). Daneben existieren aber auch unterschiedliche Varianten der Flucht in angeblich mittelalterliche Phantasiewelten, die jüngst immens populär erscheinen (S. 15–18).

Die folgenden, durchgängig anregenden, fundierten und facettenreichen fünfzehn Beiträge sind in drei Abteilungen geordnet: »Medievalism in politics and histories«, »Practising medievalism« und »Medievalism in literature and culture«. Dabei enthält Teil 2 neben Beiträgen von Kulturschaffenden, die mittelalterliches Material verarbeiten, ebenfalls wissenschaftlich-analytische Texte.

Insgesamt wirkt für Historikerinnen und Historiker Teil 1 sicher am vertrautesten, da es hier vorrangig um die Rezeption und Nutzung von Mittelalterverweisen in politischen Zusammenhängen geht: Bruce Holsingers kritische Untersuchung der Rezeption, die einer Episode aus dem »Landnámabók« in der Debatte um den anthropogenen Klimawandel zuteil wurde (S. 27–44), bildet hier einen geradezu furiosen Auftakt: Kurz vor dem Jahr 1000 sei Thorkel Farserk von Grönland aus eine Meile auf eine Insel geschwommen, um ein Schaf zu besorgen, so die Erzählung, die damit ein Detail zum Narrativ des hochmittelalterlichen Wärmeoptimums beitrug. Bald wurden die »Rohdaten« der Anekdote mit wissenschaftlich-numerischen Methoden verarbeitet und man schloss, dass das Wasser damals mindestens vier Grad (Celsius) wärmer gewesen sein müsse als heute. Diese verkürzte, die Grundsätze der Quellenkritik sträflich vernachlässigende Lesart spielte damit den Leugnern des anthropogenen Klimawandels in die Hände und verschaffte der Welt Thorkel Farserks sogar mehrere Auftritte in den Debatten des US-Senats, als republikanische Abgeordnete mit ihr die Vorzüge einer globalen Klimaerwärmung zu illustrieren suchten (S. 40–43). Wer einen Beleg für die aktuelle Relevanz des qualifizierten Umgangs mit »dem Mittelalter« und mittelalterlichen Quellen sucht, wird bei Holsinger fündig!

Nachdenklich stimmen auch die weiteren Beiträge der ersten Sektion: Auf den Spuren Cú Chulainns, des Symbols der »Roten Hand« sowie des Fegefeuers von St. Patrick analysieren Eamon Byers, Stephen Kelly und Kath Stevenson die nordirische Geschichts- und Gedächtniskultur (S. 45–72), von der mittelalterlichen Überlieferung über die instrumentalisierenden Rückgriffe der jüngeren Vergangenheit bis zu den heute noch zu sehenden murals in Belfast. Überzeugend verdeutlichen sie dabei die Formbarkeit historischer Verweise und Deutungen, deren Konsequenzen gerade im gewählten Kontext äußerst dramatisch sind. Zugleich wirkt die Beobachtung, dass sich parteilich-polarisierende Deutungen gegenüber integrativen Lesarten offensichtlich gerne durchsetzen, doch recht niederschmetternd (S. 66f.).

Diesem Ton schließt sich Patrick Gearys Beitrag zur identitätsbildenden Kraft und Wirkung historischen Arbeitens und nationaler Geschichten vom 19. bis 21. Jahrhundert nahtlos an (S. 73–86): In einem breiten Panorama, das vom portugiesischen Historiker Alexandre Herculano über die großen Klassiker der französischen, englischen und deutschen Historiografie des 19. Jahrhunderts bis zu Pierre Nora führt, illustriert Geary den Weg von den »nationalen Romanen«, die wahre Bestseller sein konnten, ohne deswegen aus dem historischen Diskurs herauszufallen, zu einer immer stärkeren »Verwissenschaftlichung« des historischen Schreibens. Romanhaft-literarische Qualitäten galten bald als Schwäche historischer Werke, nicht als Stärke, und die wissenschaftliche Produktion fokussierte zunehmend auf Fragen der Politik- und Verfassungsgeschichte. Die resultierende »Neutralisierung« des engeren geschichtswissenschaftlichen Diskurses wird aber mit der Entfernung von einem breiteren Lesepublikum erkauft – ein Dilemma, das sich einem klaren Fazit entzieht, sodass Gearys Beitrag konsequent in einer Frage mündet: Worin nämlich das Vermächtnis der aktuellen Geschichtswissenschaft an die Zukunft bestehen möge (S. 86)?

Hier wird die Spannung spürbar, die zwischen komplex-differenzierender Analyse einerseits und der Vermittlung andererseits existiert, wobei letztere die Erwartungen und Bedürfnisse des Publikums nicht außer Acht lassen kann. Für ein spezielles Publikum untersucht Andrew Lynch diesen Komplex, nämlich anhand englischer Geschichtsbücher (des 18. und 19. Jahrhunderts) für Kinder (S. 87–101): »How best to engage the child’s attention« (S. 92) – offensichtlich waren klar fokussierte, anekdotisch präsentierte Vignetten rund um Krieg, Kirche und Herrschaft ein erprobtes und erfolgreiches Mittel. Ganz gleich, wie die ideologische Ausrichtung der Autoren im Detail orientiert war, so Lynchs Resümee, stets wurde Kindern Geschichte als gleichermaßen feststehend wie unumstößlich präsentiert (S. 101). Vielleicht muss man hier also auch eine Wurzel späterer Fanatismen verorten, in der Erziehung zum Glauben an die eine historische Wahrheit?

Angesichts der praktischen Raumvorgaben, aber auch in Anbetracht der eingeschränkten Qualifikation des Rezensenten sei es erlaubt, die weiteren Abschnitte dieses anregenden Bandes hier etwas summarischer aufzugreifen: Nach Teil 1 verlagert sich der Fokus und bezieht insbesondere künstlerische Rezeptions- und Inspirationsphänomene mit ein – zum Teil auch dezidiert aus der Innensicht des Kunstschaffens, etwa in Felicitas Hoppes Reflexionen über ihre Iwein-Verarbeitung (S. 105–118; der Text erschien bereits 2010 in deutscher Fassung).

Damit rückt das befruchtende Potenzial mittelalterlicher Stoffe, Motive und Kunstformen in den Blick, die entweder als Quelle der Weiterentwicklung befragt werden (Graham Coatman, »Is Medieval Music the New Avant-Garde«, S. 134–151), oder auf Resonanzen mit modernen Phänomenen hin. So führen James Robinsons Gedanken über »Heiligenkulte und Berühmtheit« (S. 119–133) von der Ausstellung »Treasures of Heaven« im British Museum über die Kleider Marilyn Monroes bis zu Prinzessin Diana (und berühren ganz nebenbei auch die drei »J«s: Jim Morrison, James Dean und Jesus Christus). Dass man dabei nicht immer ganz klar festmachen kann, ob die modernen Phänomene die mittelalterlichen erklären sollen oder andersherum, ist letztlich Programm: Es geht um gegenseitige Erhellung, die nicht nur über den rationalisierend-verbalisierenden Diskurs der strengen Wissenschaft zu leisten ist.

Etwas aus dem Rahmen fällt anschließend Fani Gargovas Beitrag (S. 152–167), der am Beispiel der Archäologen und Kunsthistoriker Bogdan Filov, Josef Strzygowski und Thomas Whittemore vor allem unterstreicht, dass die Digitalisierung der Bestände osteuropäischer Archive es ermöglicht, Kooperationen und Kontakte nachzuvollziehen, die wissenschaftlich und institutionell von großer Tragweite waren.

Die oben angesprochene Spannung zwischen wissenschaftlicher Perspektivierung und künstlerisch-produktiver Verarbeitung charakterisiert auch die Mehrzahl der weiteren Beiträge: Chris Jones nähert sich als Spezialist der angelsächsischen Literatur dem Werk Seamus Heaneys (mit Fokus auf dessen Beowulf-Übertragung) (S. 168–185) und bietet dabei quasi nebenbei eine wichtige strukturelle Begründung für das jüngst wieder erstarkende Interesse an mittelalterlicher Literatur: »medieval poetry is more readily available for remediation in the twenty-first century than other poetries of the print era because it is already more ductile, relatively speaking, than print poetry« (S. 173).

Auf performativ-künstlerischen Mediävalismus in nachgerade klassischer Form fokussieren Tommaso di Carpegna Falconieri und Lily Yawn, die sich den Wurzeln der Calendimaggio-Feiern in Assisi in der Zeit des Faschismus widmen sowie der Rezeption und Konstruktion eines lebensfroh-anarchischen Mittelalters in Pier Paolo Pasolinis »Trilogie des Lebens« mit der Verfilmung des »Decamerone«, der »Canterbury Tales« und »1001 Nacht« (S. 186–215).

Elizabeth Robinson stellt heraus, wie die Gänseblümchen (daisies) in Wordsworths Gedichten erst im Spiegel von Chaucers Werk angemessen zu verstehen sind (S. 219–238), Conor McCarthy analysiert Ciaran Carsons Übertragungen von Dantes »Inferno« und des irischen »Táin« (S. 239–253), in denen Carson mit teils gelehrten, teils nordirisch-regionalen Einsprengseln spielt und damit zugleich den Werken eine oszillierende Zwischenstellung in Raum und Zeit verleiht.

Nicht unähnlich darf man wohl die Effekte der Motivübertragung einschätzen, der Carolyn Dinshaw am Beispiel der »Grünen Männer« oder Blattmasken nachspürt (S. 276–304). Als Abbreviaturen der »Andersartigkeit« treten sie in US-amerikanischen Werken der Literatur (der Beitrag analysiert u. a. das Werk Randolph Stows), des Films oder auch der Architektur auf und können dabei unter anderem zu Ikonen einer »queeren« Kultur werden.

Klang mit Pasolini das Medium des Films bereits an, so legen die Beiträge von Bettina Bildhauer (S. 254–275) und Roland Betancourt (S. 305–338) hier nochmals einen klaren Fokus: Bildhauer stellt – zum Teil auf der Basis detaillierter Einstellungsvergleiche – die Bedeutung des Nibelungenstoffs in seiner Wagner’schen Variante, mehr aber noch in der Filmfassung Fritz Langs, für mehrere Werke Tarantinos heraus. Vor allem in »Inglorious Basterds« sind unmittelbare Übernahmen von Fritz Lang zu beobachten, mit denen der in der Nazi-Zeit angesiedelte Plot eine weitere Deutungsebene gewinnt: moderne Gewalt wird mit dem sonst stereotyp gebrauchten Etikett des »Mittelalterlichen« versehen und fordert den Betrachter damit zu vertiefter Reflexion über klare Zuordnungen auf (S. 275).

Roland Betancourt schließlich konturiert »das Byzantinische« als das unbekannt-dekadent Andere, das gleichermaßen als verfügbare Referenz wie als unergründliche Chiffre erscheint. Am Beispiel der Verfilmung von Tennessee Williams »Suddenly, Last Summer« von 1959, einzelner Dekor-Elemente des Rockefeller-Center, des Platten-Covers von Billy Idols Album »Charmed Life« (1990) sowie Lady Gagas Musikvideo »Judas« (2011) führt Betancourt einzelne Motivübernahmen vor, die »das Byzantinische« als verfügbare, aber letztlich unvertraute Größe herausstellen, die zur Vermittlung unauflöslicher Spannungen eingesetzt wird – eine Figur des »queering«.

Wie ist nun der inhaltliche Ertrag dieses stellenweise reich (auch farbig) illustrierten und mit einem hilfreichen Register abgerundeten Werks einzuschätzen? Einige der hier nur knapp resümierten Einsichten sind sicherlich nicht grundsätzlich neu – dies betrifft insbesondere den politischen Ge- und Missbrauch »des Mittelalters«. Allerdings bieten die Beiträge reichhaltiges Material, das die existierenden Studien auf höchst willkommene Weise ergänzt.

Insbesondere Holsingers Darstellung der modernen Karriere Thorkel Farserks fordert eindrucksvoll dazu auf, die politischen Implikationen der Einmischung (wie des Schweigens) professioneller Mediävistinnen und Mediävisten äußerst ernst zu nehmen. Daneben besticht zudem das Konzept des Bands, die Rezeption des Mittelalters nicht nur wissenschaftlich anzugehen, sondern auch die Produzentenseite zu Wort kommen zu lassen. Schließlich ist der konsequente Fokus sämtlicher Beiträge auf die übergreifende Frage nach der Präsenz »des Mittelalters« in der modernen Welt zu unterstreichen, der dem Band bei aller Verschiedenheit der Zugänge und Beispielfälle eine große Kohärenz verleiht.

Wenn abschließend auf zwei Aspekte hingewiesen sei, die man bei der Lektüre vermissen mag, so ist das folglich weniger als Kritik an der vorliegenden Sammlung zu bewerten, sondern vielmehr als Beleg für deren anregende Wirkung und die Fruchtbarkeit des hier markierten Terrains: Zum einen fällt bei der Lektüre der starke Akzent auf Rezeptionsphänomene in Europa und den Vereinigten Staaten auf, der angesichts der Befundlage verständlich ist. Allerdings werden damit Phänomene ausgeblendet, welche die Frage nach der Attraktivität »mittelalterlicher« Motive und Stoffe in kolonialen und postkolonialen Kontexten besonders interessant machen: Denn es regt doch zum Nachdenken an, wenn die Geschichte Karls des Großen (in epischer Form) ausgerechnet in Brasilien lange Zeit zu den beliebtesten Lesestoffen zählte oder noch heute im indischen Kerala als »Karalman Charitham« in mehrtägigen Theateraufführungen präsentiert wird2 . Und warum greift man im Korea des frühen 20. Jahrhunderts im »Aeguk puin chŏn« ausgerechnet die Figur der Jeanne d’Arc (als »Yagan«) auf, um eine patriotische Ideologie der nationalen Unabhängigkeit zu propagieren3?

Der Hinweis auf die globale Weitung des Blicks führt unmittelbar zu einer zweiten Frage: Mehrfach erscheint »das Mittelalter« als prominenteste aller Inspirationsquellen. Tatsächlich fällt eine Quantifizierung der Bedeutung aber wohl nicht leicht, denn bei allem Erfolg bestimmter TV-Serien, auf die einzelne Titel im Band anspielen, speist sich etwa die aktuelle Populärkultur wohl doch auch aus anderen Quellen. Natürlich sind in »Star Wars« wie in »Batman« Versatzstücke mittelalterlicher Motive auszumachen, die von Details bis hin zu zentralen Zügen des Plots reichen. Zugleich aber lassen sich hier auch andere Inspirationsquellen identifizieren, die »orientalisierende« Elemente ebenso hereintragen wie »antikisierende«. Entsprechend dürfte in der vergleichenden Einschätzung eine Herausforderung für zukünftige Untersuchungen auf dem Feld des Mediävalismus liegen – und der vorliegende Band lädt auf vorzügliche Weise dazu ein, sich auf diesen Weg zu begeben!

1 Nur zwei Titel seien erwähnt: Tommaso di Carpegna Falconieri, Medioevo militante. La politica di oggi alle prese con barbari e crociati, Turin 2011 (Passaggi Einaudi); sowie Elizabeth Emery, Richard Utz (Hg.), Medievalism. Key Critical Terms, Woodbridge 2014 (Medievalism, 6).
2 Knappe Belege in: Klaus Oschema, The Once and Future European? Karl der Große als europäische Gründerfigur in Mittelalter und Gegenwart, in: Andrea Schindler (Hg.), Alte Helden – Neue Zeiten. Die Formierung europäischer Identitäten im Spiegel der Rezeption des Mittelalters, Würzburg 2017 (Rezeptionskulturen in Literatur- und Mediengeschichte, 7), S. 39–67, hier S. 53, 58.
3 Ich verdanke diesen Hinweis Frau Verena Scholz BA (Bochum); siehe Verena Scholz, Jeanne d’Arc in Korea. Zur Rezeption des europäischen Mittelalters in »Das Leben der patriotischen Frau« (Aeguk puin chŏn, 1907), Bochum, unpubl. BA-Arbeit, 2017.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Oschema Klaus, Rezension von/compte rendu de: Bettina Bildhauer, Chris Jones (ed.), The Middle Ages in the Modern World. Twenty-first Century Perspectives, Oxford (Oxford University Press) 2017, XX–346 p., 73 b/w, 20 col. fig. (Proceedings of the British Academy, 208), ISBN 978-0-19-726614-4, GBP 90,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51749