Der von Andrew Brown und Jan Dumolyn publizierte Band beginnt mit einer Einführung der beiden Herausgeber zu Konzepten und historiografiegeschichtlichen Problemen. Es folgen zwölf Artikel. Das Buch ist nicht in thematische Sektionen eingeteilt. Seine Autoren sind überwiegend an neuseeländischen Universitäten (Massey, Auckland, Canterbury) und in Australien (Monash) tätig. Hinzu kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden. In ihrer Einführung problematisieren Andrew Brown und Jan Dumolyn zunächst den Begriff der Stadtkultur. Sie diskutieren u. a. Stichworte wie »Civic Religion«/»religion civique«/»Bürgerreligion/Zivilreligion« – und die schwierige Abgrenzung von Stadt- und Adelskultur.

Zu den in mehreren Artikeln erörterten Leitfragen gehört, inwieweit es berechtigt ist, für das Mittelalter überhaupt von einer spezifischen Stadtkultur zu sprechen. Der historiografische Überblick ist weit gespannt (von Pionieren der diesbezüglichen Forschung wie Weber, Simmel und Pirenne und deren Rezeption bis hin zu aktuellen Arbeiten). Entsprechendes gilt für den geografischen Rahmen des Bandes. Behandelt werden: London (in mehreren Beiträgen), Brügge, Antwerpen (und weitere altniederländische Städte), Rouen, Florenz, Venedig, Palermo, Sens (im Vergleich zu Paris) und das China-Bild europäischer Reisender. Wie die beiden Herausgeber zutreffend feststellen, wäre es lohnend, in Zukunft auch kleinere Städte sowie deutsche und iberische Beispiele einzubeziehen (S. 23). Der Vergleich mit Mittel- und Osteuropa wäre ebenfalls erhellend.

Claire Judde de Larivière geht anhand von Venedig auf die Raumvorstellungen seiner mittelalterlichen Bewohner ein. Sie untersucht, wie sich deren »mental map« in topografischer Namensgebung und in Zeugenaussagen vor Gerichten und Schiedsrichtern widerspiegelte. Ihrer Ansicht nach waren Raumvorstellungen entscheidend durch die soziale Schichtzugehörigkeit determiniert. Sie stellt fest, dass in Reisebeschreibungen besonders prominente Orte, wie der Canal Grande oder der Markusplatz, in ihren Quellen deshalb keine bedeutende Rolle spielten.

Mark Amsler untersucht die Beziehungen zwischen Raum, Text und Gedächtnis im spätmittelalterlichen London. Er stützt sich dabei vor allem auf Gedichte Chaucers, darunter Troilus and Criseyde. Amsler überprüft, ob die theoretischen Modelle von Michel de Certeau und Henri Lefebvre zur »concept city« und der Produktion des Raumes hier sinnvoll angewandt werden können. Weitere Themen sind die Verarbeitung des Troja-Mythos durch Chaucer (z. B. London als »neues Troja«) und die Spuren, die zeitgenössische Unruhen, wie der Aufstand von 1381, in dessen Werk hinterließen.

Peter Howard wendet sich der Predigt im Florenz der Renaissance zu. Er stellt die These auf, Predigten hätten besonders dann eine erhebliche Bedeutung für die Gläubigen und deren Einstellungen gehabt, wenn der Prediger ein Einheimischer gewesen sei, der sich an die Erwartungen seines Publikums angepasst und damit eine gemeinsame Identität gestärkt habe. Der unter dem Blickwinkel der Alltagsgeschichte sehr interessante Aufsatz von Barbara Rouse setzt sich mit Verhaltensmaßstäben im spätmittelalterlichen London, Ordnungsstörungen und Nachbarschaftskonflikten auseinander (z. B. ordnungswidriges Müllabladen und Verschmutzung von Straßen, störende Baumaßnahmen).

Auf der Grundlage der sog. »Assize of Buildings and Nuisance, 1301–1431« und des »Liber Albus« (Sammlung städtischer Verordnungen, 15. Jh.) untersucht sie Fallbeispiele und Nachbarschaftskonflikte. Wegen der beengten Wohnverhältnisse in der Stadt sieht sie in solchen Konflikten ein Charakteristikum der Stadtkultur.

Der ebenfalls sehr interessante Artikel von E. Amanda McVitty beschäftigt sich mit politischer Opposition und Verratsprozessen in London während der Herrschaft der Lancaster-Dynastie. Dabei spielte das Bill Casting als Veröffentlichungsweg der Kritik eine wichtige Rolle. Es gab enge Verbindungen der Verfasser zum Milieu der Justiz und ihrer Schreiber (besonders in Westminster und Kings’ Bench), die sowohl in der Form der Bills als auch in deren Sprachwahl und Vokabular deutlich werden. Ihre Urheber verfügten demnach über Zugang zu Experten des Common Law mit Erfahrung in der Abfassung von Petitionen.

Lindsay Diggelmann vergleicht London, Rouen und Palermo, die sie als »normannische« Städte im weiten Sinn anspricht (11.–12. Jh.). In diesem Zusammenhang betont sie die Funktion dieser Städte als Herrschaftszentrum und spürt der Rolle der großen Menge bzw. von Mobs nach. Sie setzt ihre Quellen zu Beschreibungen Galberts von Brügge in Beziehung und betont den Anspruch Londons, an politischen Entscheidungen beteiligt zu werden.

Roger Nicholson beschäftigt sich, unter Rückgriff auf Chroniken, mit der Topologie von Verrat im spätmittelalterlichen London. In diesem Zusammenhang analysiert er die Zeremonien und Wege der Bestrafung und ihre räumliche Verortung in der Stadt.

Chris Jones behandelt die Verbindung zwischen städtischer Welt und politischen Ideen im spätkapetingischen Frankreich. Im Vordergrund steht der Vergleich der königsnahen Geschichtsschreibung in Paris/Saint-Denis mit der Chronistik von Sens, die durch lokalen kirchlichen Einfluss gekennzeichnet war. Nach Ansicht des Autors kann man im zuletzt genannten Fall durchaus von einer städtischen Chronistik sprechen, obwohl es sich bei der Chronik Geoffroi de Courlons um das Werk eines Klerikers handelt, das nicht der üblicherweise verwendeten, eng gefassten Definition entspricht.

Constant J. Mews widmet sich der Thematik des christlich-jüdischen intellektuellen Austauschs in England und Frankreich, der vor allem im städtischen Raum stattgefunden habe. Wegen der stärker gefährdeten Stellung der Juden in Frankreich sei der Austausch in England reger gewesen. Er kam besonders in den Bemühungen zum Ausdruck, Hebräisch zu lernen. Diese Kenntnisse und der Kontakt zu Juden sollten für eine bessere Bibelauslegung und fundiertere Widerlegungen jüdischer Deutungen nutzbar gemacht werden.

Johan Oostermann stellt die kurze Blütezeit des Buchdrucks in Brügge (1475–1484) vor. Er erklärt dessen Bedeutungsverlust u. a. mit der starken Konzentration der dortigen Drucker auf die Nachfrage der gesellschaftlichen Elite und des Hofes. Luxusdrucke hätten zu sehr in Konkurrenz zu der weiterhin praktizierten Produktion von aufwändigen Handschriften gestanden. Unter Maximilian I. sei es zudem aus politischen Gründen zu Konflikten und Abwanderung gekommen. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen die Drucker William Caxton, Jan Brito und Colard Mansion sowie ihre Beziehungen zum Werk des bedeutenden Dichters Anthonis de Roovere.

Katrien Lichtert setzt sich mit Flusslandschaften und -häfen als Motiv der Antwerpener Landschaftsmalerei in der Zeit von ca. 1490 bis 1530 auseinander. Zunächst fanden sich derartige Darstellungen nur als imaginäre Landschaften oder »Weltlandschaften« im Hintergrund. Eine wichtige Rolle für die Aufwertung solcher Motive und ihre Entwicklung zum eigenständigen Genre spielten Maler wie Joachim Patinir (ca. 1480/1485–1524) und Quinten Massijs (1456–1530). Dieser Aufschwung hing auch damit zusammen, dass ausländische Fernhandelskaufleute wichtige Kunden waren. Flüsse und Häfen unterstrichen zudem die Identität von Antwerpen als Handelsstadt.

Der letzte Aufsatz des Buches von Kim M. Philipps beschäftigt sich mit der Darstellung chinesischer Städte in europäischen Reiseberichten (ca. 1298–ca. 1440). Diese Städte erschienen ihren Betrachtern durchweg als positiv, bewunderungswürdig und, im Vergleich zu ihren einheimischen Städten, enorm groß. Nach heutigen Schätzungen soll Quinsai/Hangzhou tatsächlich zur Zeit Marco Polos ca. 1,6 Millionen Einwohner gehabt haben (S. 205). Negative Aspekte, wie die auch dort vorhandene Armut, wurden ausgeblendet.

Alles in allem bietet das Buch eine Reihe sehr interessanter Aufsätze zu unterschiedlichen Aspekten städtischer Kultur. Gerade durch die Themenvielfalt wird eine der Ausgangsthesen der Herausgeber plausibel belegt: Es gab keine homogene Stadtkultur als solche. Auch in jeder einzelnen Stadt existierten unterschiedliche kulturelle Einflüsse. Dies gilt ganz besonders für große Fernhandels- und Hafenstädte (in denen zahlreiche Kulturen aufeinandertrafen), für Metropolen mit überregionalem Einzugsbereich und für Residenzen oder Bischofsstädte, die durch Hofgesellschaft und Klerus geprägt wurden. »Stadtkulturen statt Stadtkultur«, so könnte man diesen Befund zusammenfassen. Der Band trägt überdies dazu bei, die Arbeiten neuseeländisch-australischer Wissenschaftler in Europa bekannter zu machen – auch das ist sehr verdienstvoll.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Andrew Brown, Jan Dumolyn (ed.), Medieval Urban Culture, Turnhout (Brepols) 2017, VI–213 p., 10 b/w ill. (Studies in European Urban History [1100–1800], 43), ISBN 978-2-503-57742-5, EUR 81,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51753