Es ist höchst erfreulich, dass dieser einst ein gewisses Aufsehen erregende Avignoneser Prozess nach umfänglichen Vorarbeiten des Herausgebers, die immerhin fast ein halbes Jahrhundert zurückreichen, doch noch zu einer angemessenen Publikation geführt hat. Dafür sei dem Verfasser vorab ausdrücklich gedankt.

Der vorliegende Band gliedert sich in zwei Teile. In einer knapp 50 Seiten langen, gleichwohl konzisen Einleitung informiert Alexander Patschovsky über den Prozess, seine Beteiligten, den Ort und Zeitpunkt des Verfahrens, über seine Vorgeschichte und den Verlauf des Prozesses. Weiter unterzieht er die Akten, die Prozessmaterie sowie das Ziel des Prozesses einer genaueren Untersuchung, geht sodann auf die Prozessführung ein und beschäftigt sich – zumindest punktuell – mit der Außenwirkung des Prozesses.

Im zweiten Teil schließt sich auf den nachfolgenden 75 Seiten die eigentliche Edition an. Der Textwiedergabe liegen acht von Patschovsky sorgfältig beschriebene Handschriften zugrunde (S. 26–37), die sich sowohl quantitativ unterscheiden als auch qualitativ deutlich voneinander abheben. Hier ist dem Autor ein einzelner Verschreibfehler unterlaufen: Die Bulle über die Union mit den Armeniern auf dem Konzil von Ferrara-Florenz stammt natürlich von Eugen IV. (nicht: III.; vgl. S. 35 Z. 3). Die Entscheidung, wenn möglich die heutige Wolfenbütteler Handschrift Cod. 1006 Helmst. als Grundlage der Edition zu nehmen, wird ausführlich begründet (S. 44), ebenso aber auch, weshalb darüber hinaus den unterschiedlichen Lesarten breiter Raum eingeräumt wird. Für den mit der Materie weniger Vertrauten ist zudem eine tabellarische Zusammenstellung, wie die einzelnen Prozessakten sich auf die verschiedenen Handschriften verteilen, beigefügt (S. 45).

Wie vom Autor und der Buchreihe nicht anders zu erwarten war, ist die Edition sorgfältig gemacht, was indes – wie ausdrücklich zu betonen ist – keineswegs selbstverständlich ist. Fehler sind dem Rezensenten keine aufgefallen. Die Kommentierung der Edition ist eher knapp gehalten, aber für das Verständnis ausreichend. Insbesondere die Aufschlüsselung der im Martyrologium zum parvus libellus enthaltenen, auf dem Scheiterhaufen verbrannten 116 Franziskanerspiritualen nach Namen und Herkunft sowie dem Ort der Hinrichtung (S. 64–72 Anm. 58–134) lässt die weite Verbreitung dieser als häretisch angesehenen und verfolgten Personengruppe deutlich erkennen. Indirekt gibt diese Liste insofern auch einen Hinweis darauf, warum die Kurie die Notwendigkeit eines Eingreifens gesehen hat.

Vervollständigt wird die Publikation durch ein umfangreiches Namen- und Sachregister (S. 127–136).

Dieser Prozess gegen die beiden Franziskanerspiritualen von 1354 war etwas Außergewöhnliches, denn »einen förmlichen Ketzerprozeß hat die Kurie vor Etablierung der Römischen Inquisition […] 1542 in der Regel vermieden« (S. 1). Für diese Prozesse waren im Normalfall die delegierten Ketzerrichter, die inquisitores haereticae pravitatis, zuständig, denen bestimmte Regionen zugewiesen waren. So stellt sich natürlich die Frage, weshalb die Kurie diesen Prozess an den päpstlichen Hof zog. Was mag sie zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen veranlasst haben? Das allein macht schon neugierig. Ein Präzedenzfall, aber aus welchem Grund? Immerhin wurde einer der ranghöchsten Kardinäle, der Zisterzienser Guillaume Court, mit der Führung des Prozesses von Papst Innocenz VI. betraut. Gleichwohl handelte es sich, wie Patschovsky allein schon anhand der Schauplätze des Verfahrens glaubhaft machen kann, um keinen Schauprozess, der gewiss »anders inszeniert worden wäre« (S. 4, 22).

Fakt ist, dass die Kurie das Verfahren an sich gezogen hat, bevor dieses in Carcassonne definitiv zum Abschluss gebracht worden war (S. 20). Vielleicht hoffte man an der Kurie auf ein anderes Ende, als es sich offenbar in Carcassonne abzeichnete. Soweit sich Rückschlüsse aus dem Prozessmaterial ziehen lassen, darf man jedenfalls davon ausgehen, dass wir es »mit einem politischen Ketzerprozeß, geführt in durchaus frommer Absicht« (S. 21), zu tun hatten. »Er zielte«, wie Patschovsky betont, »auf Rekonziliation, nicht auf Vernichtung« (ibid.). Ähnlich jedoch wie beim späteren Prozess gegen Jan Hus in Konstanz (1415) unterlag die Kurie einer Fehleinschätzung des Verhaltens der Angeklagten. Die beiden Fransiskanerspiritualen waren nicht bereit abzuschwören und wurden schließlich als hartnäckige Häretiker, in einem Fall auch als rückfällig gewordener Ketzer verbrannt. »Das Prozeßziel wurde [damit] verfehlt« (S. 21). Wie in der Causa Hus waren allerdings die beiden Italiener sich der Problematik und der spezifischen Fallstricke eines Ketzerprozesses nicht voll bewusst, wodurch sie ihre eigene Position in dem Verfahren schon vorab entscheidend geschwächt hatten.

Der Ausgang des Prozesses hatte Folgen, die weit über den Einzelfall hinausreichten. Die Kirchenspitze verstärkte ihre Bemühungen um ein konsequenteres Vorgehen gegen die den radikalen Armutsgedanken vertretenden Franziskanerspiritualen, vor allem in Italien, wo sie mit dem in Süditalien um politischen Einfluss kämpfenden Grafen Ludwig von Durazzo einen mächtigen Förderer besaßen. Dass der Prozess gegen die beiden der Häresie Angeklagten im Übrigen nicht ohne Echo geblieben ist, belegt nicht zuletzt die weite Verbreitung der Prozessakten. Auch dass in einem damaligen Bestseller, den »Offenbarungen« (relevaciones) der hl. Birgitta von Schweden, dezidiert zu dem Prozess Stellung bezogen wurde, lässt erkennen, wie viel Staub dieser Vorgang seinerzeit aufgewirbelt haben muss.

Allein dies zeigt aber auch, wie wichtig eine brauchbare Edition des Verfahrens und dessen Einordnung ist. Dass sich mit Patschovsky ein Fachmann gefunden hat, der diese Aufgabe mit Bravour erledigte, sei zuletzt noch einmal betont.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Ansgar Frenken, Rezension von/compte rendu de: Alexander Patschovsky, Ein kurialer Ketzerprozeß in Avignon (1354). Die Verurteilung der Franziskanerspiritualen Giovanni di Castiglione und Francesco d’Arquata, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2018, XVIII–136 S., 1 Tab. (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, 64), ISBN 978-3-447-10968-0, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51772