Die kurialen Briefsammlungen des 13. Jahrhunderts führten lange ein Dornröschendasein und waren ein Forschungsgebiet für detailversessene, der Rhetorik hingegebene Gelehrte. Dies hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt und kritische Editionen, lange als Ding der Unmöglichkeit betrachtet, kommen in Greifweite. Die älteste der großen Sammlungen wird mit dem Namen des Kardinals Thomas von Capua verbunden. Aus der adeligen Familie de Ebulo stammend, gelangte er gleichzeitig als Kanoniker an die Kirche von Neapel und an die Kurie Innocenz’ III. Obgleich 1214 oder 1215 zum Erzbischof von Neapel gewählt, blieb er in der Umgebung des Papstes und avancierte als Notar zum Leiter der Kanzlei, und im Frühjahr 1216 folgte die Kreation zum Kardinal.

Nach dem Tod des Papstes einige Monate später verlor er die Oberleitung der Kanzlei, war aber auch unter Honorius III. in mehreren prominenten Funktionen an der Kurie beschäftigt, als Kardinalpönitentiar und im Gerichtswesen. Dies setzte sich unter Gregor IX. fort, wobei Thomas mehrfach als Legat im staufischen Königreich Sizilien fungierte. Im August 1239 ist er, mitten im aufbrechenden heftigen Kampf der Universalgewalten, gestorben. Aus seiner administrativen Tätigkeit ging eine Formularsammlung der Pönitentiarie hervor, daneben verfasste er Hymnen, Sequenzen und Antiphonen zu Ehren der Muttergottes und des hl. Franziskus.

Seinen Nachruhm begründeten jedoch zwei Werke, die in den Bereich der Ars dictaminis, der Briefstillehre, fallen, nämlich eine lehrbuchartige Ars dictandi und eine umfangreiche Briefsammlung, deren ursprüngliche Redaktion auf ihn zurückzuführen ist. Der handschriftlichen Überlieferung dieser Werke ist die vorliegende Publikation gewidmet, und aufs engste hängt sie mit ihrer Forschungsgeschichte zusammen. Emmy Heller, eine Schülerin von Karl Hampe, bemühte sich seit ihrer Dissertation in den 1920er Jahren und bis zu ihrem Tod 1956 um eine kritische Edition, kam aber nicht über Partielles hinaus. Ihren Nachlass nahm Hans Martin Schaller zum Anlass für tiefgreifende Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte, die 1965 in seine Habilitationsschrift mündeten, in der er die Thesen Hellers verwarf.

Jüngst schwenkte die Erkenntnis wieder um und man sieht Heller viel positiver. Schaller gelangte nicht zur kritischen Edition, aber er hinterließ umfangreiche Materialien, die die Grundlage für das vorliegende Handschriftenverzeichnis liefern. In der Einleitung charakterisieren die Herausgeber die beiden Werke, die vielfach gemeinsam überliefert sind. Die Ars scheint Thomas im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in der kurialen Verwaltung verfasst zu haben und sie war wohl auf die stilistische Schulung von angehenden Kurialen ausgerichtet. Die Briefsammlung wurde wahrscheinlich an der päpstlichen Kurie zusammengestellt, vielleicht auch in deren näherem Umkreis.

Eine Primärtradition, die auch als »ungegliederte Sammlungen« bezeichnet werden kann, ist in einigen wenigen Handschriften überliefert und hat ihren Ursprung wohl bei Thomas selbst, aber abschließende Sicherheit über die Rolle des Kardinals bei der Entstehung besteht nicht. Auch sie wurde wahrscheinlich als Schulwerk zur Ausbildung des kurialen Personals eingesetzt. Etwa drei Jahrzehnte nach dem Tod des Kardinals erfuhr die Briefsammlung eine durchgreifende Überarbeitung und Erweiterung, die wegen der thematischen Gliederung den Namen »Zehnbücherredaktion« erhielt und über 620 Briefe umfasst. Sie entstand während der Sedisvakanz nach Clemens’ IV. Tod 1268 bis 1271, und wurde parallel mit den Sammlungen des Richard von Pofi und des Pseudo-Marinus von Eboli kompiliert, vielleicht unter Mitwirkung des Kardinals Giordano Pironti. Bekannt sind heute 74 handschriftliche Textzeugen. Bis ins 15. Jahrhundert wurde sie lebhaft in vielen Teilen Europas rezipiert

Nach dem Tod Hans Martin Schallers im Jahr 2005 legten die MGH das Editionsvorhaben in die Hände von Matthias Thumser. Als erstes Ergebnis veröffentlichte er aus den nachgelassenen Unterlagen Emmy Hellers zusammen mit Jakob Frohmann eine Online-Edition, die erstmals den vollständigen Text der Briefsammlung enthält.

Das hier angezeigte Handschriftenverzeichnis versteht sich als weiterer Schritt auf dem Weg zur kritischen Edition, in deren Zentrum die Primärtradition der »ungegliederten Sammlungen« stehen soll. Das Handschriftenverzeichnis, das in engem Zusammenhang mit Schallers »Handschriftenverzeichnis der Briefsammlung des Petrus de Vinea« (MGH. Hilfsmittel 18, 2002) steht, hält sich an dieses Vorbild, ist also kein Handschriftenkatalog üblicher Prägung, aber es liefert auch Ergänzungen, besonders im Hinblick auf die kodikologische Erschließung und auf die Forschungsliteratur.

Und etwa die Hälfte der 88 Beschreibungen gehen auf neuerliche Autopsie in vielen europäischen Bibliotheken zurück. Entstanden ist dabei ein Arbeitsinstrument, das der Erforschung der kurialen Briefsammlungen, und nicht nur dieser, zur Verfügung gestellt wird. Die Beschreibungen selbst folgen der alphabetischen Ordnung der Bibliotheksorte. Es verwundert nicht, dass die meisten Handschriften in der Pariser Bibliothèque Nationale de France (18) liegen, gefolgt von der Vatikanischen Bibliothek (8). Die Hoffnung ist wohl begründet, dass nach dieser Vorarbeit die kritische Edition der Sammlung des Thomas von Capua in nicht allzu ferner Zukunft erscheinen wird.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Werner Maleczek, Rezension von/compte rendu de: Kristina Stöbener, Matthias Thumser, Hans Martin Schaller (Hg.), Handschriftenverzeichnis zur Briefsammlung des Thomas von Capua. Auf Grundlage der Vorarbeiten von Hans Martin Schaller bearbeitet von Kristina Stöbener und Matthias Thumser, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2017, LXVI–214 S. (Monumenta Germaniae Historica. Hilfsmittel, 30), ISBN 978-3-447-10680-1, EUR 48,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51780