Nachdem 2006 Christian Schmidtmanns Dissertationsschrift1 erschienen war, sei eigentlich das meiste über katholische Studierende im Westdeutschland der langen 1960er Jahre gesagt gewesen – so die gängige Annahme in der (kirchen-)geschichtlichen Community. Rund elf Jahre später, fast passgenau zum 50-jährigen Jubiläum von »1968«, ist mit der Studie des Kölner Historikers Benedikt Hampel nun eine Untersuchung erschienen, die den Analysegegenstand einerseits stärker fokussiert, andererseits weitet. Hampels bei Harm Klueting eingereichte Dissertationsschrift rekurriert auf die Institution der Studentengemeinde in der Bundesrepublik und der DDR. Herausgekommen ist ein stattliches Buch von 488 Seiten, das, wie es der Titel suggeriert, nach einem möglichen durch die Studentenbewegung ausgelösten Umbruch in den katholischen Hochschulgemeinden West- und Ostdeutschlands fragt. Die Studierendenbewegung der 1960er Jahre benutzt der Verfasser dabei – höchst voraussetzungsreich – als Chiffre für die Ideen der »Neuen Linken« (S. 15).

Bei der Lektüre von Hampels Studie beeindrucken zunächst die Unmengen an Archivmaterial, die der Autor ausgewertet hat: Nicht weniger als 23 Quellenbestände von der Bautzener bis zur Würzburger Studentengemeinde fanden neben Zeitzeugengesprächen Eingang in seine Darstellung. Diese Quellenfülle scheint jedoch sowohl Segen als auch Crux zugleich zu sein. Nicht nur, dass allein aufgrund der großen Materialmenge die analytische Auswertung der Archivalien fast notgedrungen an der Oberfläche verbleiben muss. Hampel hat es sich darüber hinaus noch zum Ziel gesetzt, nach der Einleitung in längeren Hinführungen zu seiner Quellenanalyse Daten, Ereignisse und Fakten der 1960er Jahre im geteilten Deutschland zu rekapitulieren (Kapitel II), die Studentenbewegung und ihre Ideen vorzustellen (Kapitel III) und schließlich einen Überblick über das Zweite Vatikanische Konzil mitsamt seiner Vorgeschichte – und zwar unter Rückgriff auf den Modernismus des 19. Jahrhunderts – zu geben (Kapitel IV). Dies alles aus theologie-, kultur- und sozialgeschichtlicher Perspektive zu verfolgen, ist ohne Frage äußerst verdienstvoll. Vielleicht, so der Leseeindruck des Rezensenten, wäre hier aber bei allem Verständnis für eine notwendige zeithistorische Kontextualisierung weniger mehr gewesen.

Denn die Kernthese von Hampel, unterbreitet in Kapitel V und VI, erweist sich in der Tat als diskussionswürdig, weshalb sie mehr Raum verdient hätte. Als Berührungspunkte zwischen der Studierendenbewegung und der (nach-)konziliaren katholischen Kirche macht der Verfasser – unter Rückgriff auf Überlegungen des Historikers Simon Kießling2 – den Begriff des Subjekts aus (S. 165). Hampel kennzeichnet die Subjektivierung als typisch für eine Moderne, die sich gegen Institutionen wendet, die den Einzelnen einschränken oder ihm Vorgaben machen. Erst aus dem Ausgang aus allen institutionellen Bindungen seien die Forderungen nach Selbstbestimmung und -organisation zu erklären, die genauso von Rudi Dutschke im säkularen Raum wie beispielsweise von Frankfurter Studierenden im sakralen Raum erhoben wurden.

Zu fragen wäre jedoch, ob der Autor im weiteren Voranschreiten seiner Untersuchung nicht Kategorienfehler begeht, wenn er den Subjekt-Begriff der 1968er-Bewegung etwa in der Theologie Karl Rahners wiederzuerkennen glaubt, nur weil diese als »Theologie des Subjekts« gilt (S. 165). Wenn die katholische Dogmatik diskutiert, ob in der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanums (»Lumen gentium«) die Heiligkeit der Kirche »subjektiviert« wird (S. 166), so liegt damit zweifelsohne ein anderer Subjektbegriff vor als in den institutionskritischen Forderungen der Studentenbewegung nach Selbstermächtigung. Auf diese unterschiedlichen Bedeutungsebenen, die mit der Vokabel des Subjekts verknüpft sein können, geht Hampel im gesamten Kapitel VI.2, dem Herzstück seiner Untersuchung, nicht ein.

Es ist überschrieben mit »Zur Situation der Gemeinden in den sechziger Jahren« und umfasst nahezu 200 Seiten, also fast die Hälfte der gesamten Studie. Hier kommen die reichlich gesammelten Quellen zum Tragen. Konstatiert wird innerhalb der Studierendengemeinden eine sich durch die Einigkeit in politischen Fragen aufeinander zubewegende Ökumene und eine Auseinandersetzung mit dem (Neo-)Marxismus, der in westdeutschen Studentengemeinden zunehmend vom Gegner zum »Vorbild« wurde (S. 204), während es in ostdeutschen Studierendengemeinden eher um die Verbesserung der konkreten Lebenssituation in einem sozialistischen Staat ging (S. 218).

Auch hier wäre aber zu fragen, ob aus Veranstaltungen von Hochschulgemeinden mit Titeln wie »Christentum und Sozialismus« eins zu eins auf deren neomarxistische Einstellung geschlossen und damit ein direkter Ideenimport aus der gesamtgesellschaftlichen Studentenbewegung diagnostiziert werden kann? Differenzierter, weil weniger auf Schlagworte denn auf dahinter verborgene Semantiken und Konzepte ausgerichtet, analysiert der Verfasser andere Themen wie neue, zunehmend politisierte liturgische Verständnisse, den Wandel der priesterlichen Autorität oder das Selbstverständnis von Studentengemeinden, das von dem einer Avantgarde bis zur »Kritischen Gemeinde« reichen konnte. Größere Unterschiede zwischen BRD und DDR können dabei allerdings nicht ausgemacht werden.

Im Ergebnis kann Benedikt Hampel schließlich den Gedanken von Christian Schmidtmann zustimmen: Für viele katholische Studierende, ob in Aachen oder in Zwickau, wurden in den 1960er Jahren das »Fremde« zum »Eigenen« (S. 378). Dies geschah durch bewusste wie unbewusste Beschäftigung mit den Ideen der Studentenbewegung, welche ein zeittypisches Streben nach Emanzipation in subjektiver Weltsicht nach sich zog (S. 381 f.).

Nach der Lektüre dieses Buchs bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Benedikt Hampel ist zum einen hohe Anerkennung wegen der Vielzahl der besuchten Archive und der damit verbundenen Mühen der Auswertung zu zollen, zum anderen hinterlässt seine Dissertation an einigen Stellen Fragezeichen. Oftmals werden Vokabeln und Begriffe der gesamtgesellschaftlich ausgerichteten Studentenbewegung vom Autor innerhalb theologischer Kontexte identifiziert und daraus zu voreilig Rückschlüsse gezogen. Gerade jüngere Arbeiten zeigen uns aber, dass man durch eine schematische Vorgehensweise der Vielgestaltigkeit von »1968« kaum gerecht wird3. Wenn uns das 50jährige Jubiläum der Chiffre »68« eines lehrt, dann dass die Heterogenität und die Graustufen dieser Bewegung ernstgenommen werden müssen. Dies gilt auch für den katholischen Raum. Wer in jenem Jahr auf dem Essener Katholikentag gegen die Pillen-Enzyklika »Humanae Vitae« demonstrierte, musste noch lange kein basisdemokratisches Gemeindeverständnis haben oder Marxist sein.

1 Vgl. Christian Schmidtmann, Katholische Studierende 1945–1973. Ein Beitrag zur Kultur- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B, 102), Paderborn 2006.
2 Simon Kießling, Die antiautoritäre Revolte der 68er. Postindustrielle Konsumgesellschaft und säkulare Religionsgeschichte der Moderne, Köln u.a. 2006.
3 Vgl. Christina von Hodenberg, Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München 2018.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Florian Bock, Rezension von/compte rendu de: Benedikt Hampel, Geist des Konzils oder Geist von 1968? Katholische Studentengemeinden im geteilten Deutschland der 1960er Jahre, Berlin (LIT-Verlag) 2017, 488 S. (Historia profana et ecclesiastica. Geschichte und Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Moderne, 20), ISBN 978-3-643-13702-9, EUR 59,90., in: Francia-Recensio 2018/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51866