Der im Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes erschienene Sammelband basiert auf einer Ringvorlesung, die sich im Wintersemester 2015/16 aus wechselnden fachlichen Perspektiven und kritischer Distanz mit der „Frankreichstrategie“ des Saarlandes auseinandersetzte. Diese soll das Saarland innerhalb von drei Dekaden, d. h. bis 2043, zu einem »multilingualen Raum deutsch-französischer Prägung« machen. Angesichts des großen, teils einseitigen medialen und politischen Echos zur Ausrufung der Frankreichstrategie, liefern die hier versammelten Beiträge willkommene und notwendige Einordnungen, kritische Analysen sowie konstruktive Denkanstöße für die Zukunft. Um es vorwegzunehmen: Den Herausgebenden ist nicht nur zur Themensetzung und zur Auswahl der Beiträge zu gratulieren; auch ist die Veranstaltungsreihe mit dem daraus resultierenden Buch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich Human- und Sozialwissenschaften aktuellen politischen Themen stellen und sich sichtbar und qualifiziert zu öffentlichen Debatten äußern können.

Auf ein Grußwort der damaligen Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer, und den einleitenden Beitrag der Herausgebenden folgen 13 Aufsätze (zwölf in deutscher, einer in französischer Sprache), die stimmig in vier Hauptthemen gruppiert sind. Den Abschnitt »Geschichte und Politik« eröffnet Henrik Uterwedde, der die Frankreichstrategie in den Gesamtkontext der deutsch-französischen Zusammenarbeit stellt und dabei sowohl Chancen als auch offenkundige Grenzen der Gestaltbarkeit aufzeigt. Dietmar Hüser illustriert in seiner historischen Betrachtung die Entwicklungspfade der »Saar-Politik« im deutsch-französischen Grenzraum. Ebenfalls aus historischer Perspektive widmen sich Corine Defrance und Ulrich Pfeil den deutsch-französischen Beziehungen nach 1945. Reiner Marcowitz erläutert sodann, wie die lothringische Seite (Politik wie Medien) auf die Frankreichstrategie des Saarlandes reagiert hat und ihrerseits über die Notwendigkeit und Chancen einer »Stratégie Allemagne« diskutiert.

Der Abschnitt »Umsetzung – Perspektiven aus Wissenschaft und Politik« beschäftigt sich sehr konkret mit den Voraussetzungen, Potenzialen aber auch Fehlstellen der aktuellen Frankreichpolitik. So zeigt Claudia Polzin-Haumann sehr eindrücklich, dass es zwar beiderseits der Grenzen wichtige Ansätze in der Bildungspolitik (inkl. einschlägiger Kooperationsvorhaben) gibt, dass es in den proklamierten Strategien darüber hinaus aber gelingen müsse, integrierende Ansätze auszubauen, zu verstetigen und institutionell abzusichern (z. B. in der gemeinsamen Ausbildung von Lehrkräften oder in der Entwicklung einer Fremdsprachendidaktik für Grenzregionen). Romana Weiershausen verweist auf die besondere Rolle der in Saarbrücken gelehrten und beforschten frankophonen Germanistik, deren Einzigartigkeit auf den französisch-saarländischen Gründungskontext der Universität des Saarlandes zurückgeht.

Den Herausforderungen der Mehrsprachigkeit bzw. des Spracherwerbs gehen Albert Raasch, Wilfried Schmidt und Peter Tischer nach, indem sie am Beispiel zweier bedeutender Institutionen der Erwachsenenbildung auf deren bisherige Praktiken, Konzepte und Entwicklungspotenziale eingehen. Auch Patricia Oster-Stierle betont, dass neben der Frühförderung des Spracherwerbs in Kindergärten und Grundschulen auch den weiterführenden Bildungsträgern – und hier insbesondere der im Saarland ausgeprägten grenzüberschreitenden Hochschulkooperation – eine zentrale Rolle in der Vermittlung interkultureller Kompetenz zukommt.

Dies spiegelt auch der Beitrag von Wolfgang Meyer über die Perspektiven des grenzüberschreitenden Ausbildungs- und Arbeitsmarkts wider, der den Abschnitt »Die Großregion – Arbeit und Ausbildung, Gesundheitswesen, Medien« einleitet. Ines Funk unterstreicht die Besonderheiten des sprachsensiblen Gesundheitssektors und hebt die Bedeutung grenzüberschreitender Patientenmobilität (v. a. in der ambulanten Versorgung) hervor. Christoph Vatter beschäftigt sich mit der Frage der medialen Resonanz der Frankreichstrategie sowohl hinsichtlich ihrer Außenwirkung (regional branding) als auch der mit dem Marketing einhergehenden Binnenrezeption und der möglichen Entstehung spezifischer mindsets in der Bevölkerung. Ferner diskutiert Vatter die Potenziale für die regionalen Medien, sich ihrerseits über ein stärker frankreichbezogenes Profil in der Medienlandschaft zu positionieren.

Der abschließende Teil »Zum internationalen Kontext – Einordnung und Ausblick« versteht sich nicht als Synthese sondern vielmehr als komplementäre Einordnung. Hans-Jürgen Lüsebrink leistet dies unter Bezugnahme auf die übergeordneten interkulturellen Herausforderungen der deutsch-französischen Beziehungen. In mehrfacher Hinsicht bereichernd ist auch der Beitrag von Sylvère Mbondobari, der zeigt, wie der jüngere Wandel in Frankreichs Afrikapolitik sowohl zu einer Europäisierung der Beziehungen zum frankophonen Afrika als auch zu einer Annäherung seitens der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geführt hat. Auch diese internationale Dimension sollte Teil einer Frankreichstrategie sein.

Trotz der zu unterstellenden fachlichen Voreingenommenheit der Herausgebenden und einzelner Beitragender – weshalb sollten eine Fachrichtung Romanistik und ein Frankreichzentrum gegen eine Frankreichstrategie sein? – gelingt dem Sammelband die überaus facettenreiche und konstruktiv-kritische Kommentierung einer zugegeben ambitionierten politischen Vision. Dass der Band zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Frankreichstrategie des Saarlandes wichtige Impulse liefern kann, steht außer Frage. Es bleibt zu hoffen, dass den politisch Verantwortlichen die Entschlossenheit und das nötige Durchhaltevermögen vergönnt sind, nicht nur den feuilles de route zu folgen, sondern diese auch sukzessive anzupassen und zu erweitern. Ob dieser Weg beschritten wird, könnte eine Zwischenbilanz in fünf bis zehn Jahren zeigen, etwa im Rahmen einer ähnlich inspirierenden Ringvorlesung am selben Ort.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Christian Schulz, Rezension von/compte rendu de: Hans-Jürgen Lüsebrink, Claudia Polzin-Haumann, Christoph Vatter (Hg.), »Alles Frankreich oder was?« – Die saarländische Frankreichstrategie im europäischen Kontext/»La France à toutes les sauces?« – La ›Stratégie France‹ de la Sarre dans le contexte européen. Interdisziplinäre Zugänge und kritische Perspektiven/Approches interdisciplinaires et perspectives critiques, Bielefeld (transcript) 2017, 367 S. (Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes, 15 [2015/2016]), ISBN 978-3-8376-3755-7, EUR 35,99., in: Francia-Recensio 2018/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51870