Auch in den letzten Jahrzehnten hat unter Historikerinnern und Historikern sowie Politologinnen und Politologen das Interesse am Leben und Wirken des Grafen Alfred von Schlieffen nicht nachgelassen. Seit den 1950er Jahren und der wegweisenden Studie Gerhard Ritters zum Schlieffenplan wird das strategische Denken des Grafen eher kritisch beurteilt. Es scheint ein breiter Konsens zu bestehen, dass der Schlieffenplan1 zum Scheitern verurteilt war. Das einseitig Militärische im Schlieffenschen Gedankengut wurde früh moniert. Doch seine überoptimistische, technokratische und immer offensive Strategie diente auch dem preußischen Konservatismus und der Militärbürokratie, wie es in den Arbeiten von Stig Förster oder Jack Snyder überzeugend dargelegt wurde2.

Eigentlich schien es zuletzt nur noch um den Nachweis zu gehen, ob der Schlieffenplan eine handlungsmächtige Realität besaß. Der amerikanische Historiker Terence Zuber hatte in den letzten Jahren für einigen Diskussionsstoff gesorgt, indem er die strategische Wirksamkeit des Schlieffenplans für die Planung des Ersten Weltkriegs in Zweifel stellte3. Kurioserweise findet der Leser bzw. die Leserin keine Stellungnahme zu diesen Diskussionen in Pantenius’ überaus umfangreicher Biografie.

Wer also zu den neuesten wissenschaftlichen Kontroversen grundlegend Neues erwartet, wird von diesem Buch etwas enttäuscht sein. Wilhelm Pantenius’ Werk ist weniger eine problemorientierte Studie, sondern der Versuch, das Leben des Grafen so komplett wie möglich darzustellen, was ihm auf über 1000 Seiten auch überwiegend gelingt. Der Autor ist Facharzt für Medizin und steht der Graf-Schlieffen-Gesellschaft vor. Er macht aus seiner Sympathie für den Grafen kein Hehl und widmet dieses Buch dem »Andenken des preußisch-deutschen Generalstabs«. Seine Darstellung umfasst alle Lebensstationen des Grafen und ist auf umfangreiche Archivrecherchen gegründet, die nicht immer zitiert werden.

Die interessierte Leserschaft wird einiges über das Leben des Grafen erfahren, beispielsweise über die pietistische Musterschule der Herrnhuter Brüdergemeinde im sächsischen Niesky, sein Elternhaus, seinen Bruder Theodor, seine Frau Anna und seine Vorlieben, seine Erfahrungen in Berlin gemischt mit Revolutionsfurcht und weiteren berufliche Stationen bis hin zum steilen Aufstieg zum Generalstabschef.

Immer wieder hebt der Autor dabei hervor, dass Schlieffen introvertiert, sachlich und manchmal gar sarkastisch seinen Mitmenschen gegenüberstand. Zugleich betont der Autor seine Zuverlässigkeit, seine hohe Intelligenz und sein »patriotisches Wirken«. Schlieffen wird als jemand dargestellt, der sein Leben ganz im Sinne des Weberschen »Protestantischen Ethos« der Arbeit gewidmet habe. Dieses Arbeitsethos wurde durch den frühen Tod seiner Frau verstärkt. Schlieffen verlangte auch von seinen Untergebenen volle Hingabe an ihre Aufgaben, was ihm nicht nur Freunde einbrachte.

Immer wieder hebt der Autor dabei hervor, dass Schlieffen introvertiert, sachlich und manchmal gar sarkastisch seinen Mitmenschen gegenüberstand. Zugleich betont der Autor seine Zuverlässigkeit, seine hohe Intelligenz und sein »patriotisches Wirken«. Schlieffen wird als jemand dargestellt, der sein Leben ganz im Sinne des Weberschen »Protestantischen Ethos« der Arbeit gewidmet habe. Dieses Arbeitsethos wurde durch den frühen Tod seiner Frau verstärkt. Schlieffen verlangte auch von seinen Untergebenen volle Hingabe an ihre Aufgaben, was ihm nicht nur Freunde einbrachte.

Viele Passagen des Buchs sind unterhaltsam, wie zum Beispiel die Schilderung der Rivalitäten Schlieffens mit seinem Vorgänger als Chef des Großen Generalstabs, Generalfeldmarschall Alfred von Waldersee, an dem der Autor kein gutes Haar lässt. Schlieffen war in den Augen des Kaisers, kein Politisierer mit persönlichen Ambitionen wie der ehrgeizige Waldersee, sondern präsentierte sich als General-Diener, als einer der obersten Beamten des Reiches. So hat letztlich vielleicht gerade die pedantische, wenig einnehmende Art Schlieffens seine Karriere befördert. In den Augen des Kaisers war er für das Amt des Generalstabschefs jedenfalls der Richtige, denn er verkörperte die alte preußische Beamtenpflicht mit Schwere und Würde.

Wilhelm H. Pantenius hat sein empirisches Material in der Einleitung akribisch beschrieben und gibt der künftigen Schlieffenforschung viele nützliche Hinweise. Insgesamt kann man dem Autor ein sehr kenntnisreiches und lesbares Buch über den Grafen bescheinigen, das auch für Fachhistoriker und Fachhistorikerinnen sehr nützlich ist.

Manches Diskutable ist allerdings auch in dieser umfangreichen Biografie kaum zu übersehen. Wilhelm H. Pantenius distanziert sich nur selten vom Grafen und versteckt seine patriotische Perspektive kaum. An dieser Parteilichkeit leidet dann auch Manches in der Diskussion. So etwa möchte er Schlieffen von Fehlwahrnehmungen, paranoiden Zügen, zweifelhaften Einschätzungen und Entscheidungen freisprechen. Um dieses zu tun, konstruiert er zum Beispiel entgegen dem Stand der historischen Forschung eine gegen Deutschland gerichtete Politik der Einkreisung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und sieht dabei den französischen Außenminister Théophile Delcassé als deren Urheber an. Die deutsche Großmannssucht, Flottenpolitik und »Schneidigkeit«, die die Entente cordiale erst ermöglichten, wird kaum hervorgehoben und wohl gar nicht bedacht.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Autor kaum Fußnoten und Literaturhinweise bemüht, um seine bisweilen polemischen Thesen zu untermauern. Auch zum strategischen Denken Schlieffens ist Vieles im Buch diskussionswürdig. So etwa wird Schlieffen als Clausewitz-Bewunderer und gar Weiterentwickler von dessen Denken dargestellt, obwohl das Axiom der Vernichtungsschlacht eine sehr einseitige Auslegung dieser Tradition darstellt. Das Clausewitzsche Primat der Politik wird einfach beiseite geschoben. Auch die ständige Verteidigung des Grafen und seines Angriffsplanes wirken gekünstelt und sind nicht immer auf dem Niveau einer unbefangenen wissenschaftlichen Diskussion. Man mag auch bedauern, das der Autor kaum kritisch hinterfragt, wie das rein technisch-handwerkliche Denken schließlich den preußischen Generalstab zunehmend prägte und das Verhängnis des Ersten Weltkriegs ermöglichte.

Insgesamt ist die Biografie trotz der Länge sehr lesbar, unterhaltsam und enthält wissenswerte Informationen. Sie gibt den Lesern und Leserinnen einen lebhaften Eindruck vom Leben Alfred von Schlieffens. Wilhelm H. Pantenius’ Arbeit hätte noch an Wert gewonnen, wenn sie sich mehr mit der wissenschaftlichen Diskussion befasst und weniger versucht hätte, den Grafen schönzuschreiben.

1 Gerhard Ritter, Alfred Graf von Schlieffen. Kritik eines Mythos. Mit erstmaliger Veröffentlichung der Texte u. 6 Kartenskizzen, München 1956.
2 Vgl. u.a. Stig Förster, Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Statusquo-Sicherung und Aggression 1890–1913, Stuttgart 1985 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte, 118). Jack Snyder, The Ideology of the Offensive. Military Decision Making and the Disasters of 1914, Ithaca, NY 1984.
3 Terence Zuber, Inventing the Schlieffen Plan, Oxford 2003; ders., The Real German War Plan, 1904–14, Gloucestershire 2011.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Lindemann, Rezension von/compte rendu de: Wilhelm H. Pantenius, Alfred Graf von Schlieffen. Stratege zwischen Befreiungskriegen und Stahlgewittern, Leipzig (Eudora-Verlag) 2016, 1054 S., 225 Abb., ISBN 978-3-938533-57-4, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2018/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51873