Guillaume Payen legt die erste große Heidegger-Biografie vor, welche die methodischen Instrumente und Kenntnisse der Geschichtswissenschaft eng mit dem philosophischen Werk vernetzt und zugleich umgekehrt dessen philosophischen Gehalt in die historische Analyse bis in Details hinein einbringt.

In der Heidegger-Forschung steht die Philosophie vielfach weitgehend oder isoliert im Mittelpunkt. Der wissenschaftlichen Legitimität einer solchen methodischen Verkürzung setzt Payen überzeugend ein Ende. In Deutschland hat umgekehrt der Historiker Hugo Ott die bisher bedeutendsten Beiträge vorgelegt, doch legte er den Schwerpunkt auf den geschichtswissenschaftlichen Ansatz und ergänzt sich also mit Payen.

Der Autor argumentiert scharf und scharfsinnig, aber sein Anliegen ist gerade nicht denunziatorisch, sondern seine Methode versachlicht im Gegenteil die internationale Debatte. Er geht Wertorientierungen, Brüchen und Kontinuitäten in Heideggers Leben und Denken in breit gefächerter Kontextualisierung mit den hochkomplexen politischen und philosophischen Entwicklungen seiner Zeit nach. »Revolution« gehört zum Titel des Buches, denn die von Heidegger als Revolution angestrebten Entwicklungen und die damit verbundenen Brüche bieten ebenso wie die Kontinuitäten zentrale Schlüssel zum Verständnis von Werk und Verhalten.

Der Nationalsozialismus steht ebenso als Kernelement im Buchtitel. Die Frage nach dem politischen Engagement Heideggers im Dritten Reich hat nach und seit Weltkriegsende weit über Deutschland hinaus stets neue Wellen geschlagen. Weithin, vor allem in Frankreich, wurde seine eigene These akzeptiert, er habe sich 1933 geirrt und seit 1934 dem Widerstand angeschlossen. Payen widerlegt sie grundlegend durch die minutiöse wechselseitige Integration von Heideggers publizierten Werken und Vorlesungen, weiteren öffentlichen Auftritten, politischem Handeln und privatem Briefverkehr. Die enge Vernetzung von Biographie und Werk erkennt in solcher Intensität erst Payen. Die von der Familie erst in den letzten Jahren freigegebenen »Schwarzen Hefte« haben solches auch in den tagebuchartigen Notizen belegt. Payen, dessen Forschungen vor über einem Jahrzehnt begannen, geht viel weiter: er erklärt und beweist die Vernetzungen mit dem Nationalsozialismus aus Heideggers philosophischem Werk heraus.

Payen verfolgt, wie tiefgreifend die Strukturen von Heideggers Philosophie einerseits beeinflusst wurden von seiner Jugendzeit in Meßkirch und seiner Sozialisation als voraussichtlicher katholischer Priester – der Kirche, gegen die er sich in strukturell fast identischen philosophischen Argumentationsstrukturen seit den späten 1920er Jahren bis kurz vor seinem Tod 1976 vehement stellen sollte, aber deren Erbe in seinem Werk zugleich fortwirkt. Daher steht Katholizismus ebenfalls im Titel des Buches.

Zu den für das Buch charakteristischen Differenzierungen zählt – um nur ein Beispiel herauszugreifen – die Analyse des Heideggerschen Antisemitismus, der sich um 1929/1930 über den Begriff der »Entjudung« in einer Verwendung von »jüdisch« als allgemeinerem philosophischem Synonym für »bodenlos« oder »entwurzelt« hin zu gezielteren politischen Konzeptionen entwickelte, gestützt durch den politischen Einfluss seiner Frau. Begleitet wurden solche Weiterentwicklungen zugleich durch klare Kontinuitäten von den 1920er Jahren über sein aktives Engagement für den Nationalsozialismus 1933–1945 bis zu den Nachkriegsjahrzehnten und zu seinem Tod 1976.

Payen legt überzeugend dar, dass und inwieweit Heidegger tatsächlich von seinem seit 1929/1930 klar nationalsozialistischen Denken später in keiner Weise mehr abwich: Denn der Nationalsozialismus habe seine geschichtliche Mission letztlich nicht erfüllt, die laut Heidegger in der völligen Zerstörung lag, um auf dieser Grundlage metaphysisch die deutsche, in der griechischen – und nicht in der »römisch-jüdisch-christlichen« – wurzelnde Zivilisation neu aufbauen zu können. Heideggers Metaphysik erweist sich als ein Schlüssel auch zu dieser politischen Kontinuität.

Payen geht geradezu seismographisch vor: jeder Text und jede historische Situation wird exakt geprüft auf die tatsächlichen oder möglichen Inhalte, auf die Quellengrundlage und auf verbleibende Interpretationsschwierigkeiten. Gerade diese Präzision führt zu seinen neuen Ergebnissen. Heideggers Sprache ist häufig schwer oder nicht verständlich. Payen zeigt: manche Ungenauigkeiten sind – etwa in der berühmt-berüchtigten Rektoratsrede 1933 – offensichtlich Absicht, damit sich gerade auch politisch völlig unterschiedliche Inhalte hineininterpretieren ließen. Es gehörte zum Kern des nationalsozialistischen Anspruchs auf ein »Drittes Reich«, aus einer Fülle deutscher und europäischer Traditionen Elemente aufzunehmen und zu amalgamieren. Das macht die Analyse spezifisch nationalsozialistischer Ideologie generell so schwierig. Payen geht das Problem der Grenzziehung methodisch unter anderem in einem minutiösen semantischen Vergleich von Schriften Heideggers, Hitlers und Rosenbergs an. Auch auf dieser Ebene bietet Heideggers Suche nach »Revolution« einen Zugang zu seiner Radikalisierung.

Spannend ist ebenso Payens Rekonstruktion der Gründe für den erstaunlichen Einfluss, den Heidegger nach dem Krieg in Frankreich weit stärker als in der Bundesrepublik gewann. Dieser Einfluss hatte seinen Ursprung nicht bei Universitätsprofessoren der Philosophie, sondern bei Gymnasiallehrern, welche bei Heidegger studiert hatten und nun die classes préparatoires für die Elitehochschule École normale supérieure führten. Deren Absolventen wiederum stellten in der Folge die nächsten Generationen der Hochschullehrer der Philosophie und gaben auf solche Weise unter anderem Heideggers eigene Uminterpretation seines Lebens unkritisch weiter, er habe sich seit 1934 vom Nationalsozialismus distanziert.

Guillaume Payen macht dies exakt an den maßgeblichen Namen der Lehrer und Hochschullehrer über die Generationen hinweg fest. Er ist persönlich in keines der französischen Netzwerke eingebunden, aber hat selbst bei einigen dieser Lehrer studiert. Deren Interpretationen fanden anschließend Eingang in die französischen Heidegger-Ausgaben, insbesondere in die Gesamtausgabe. Begründungen für bewusst falsche Übersetzungen lauten dort beispielsweise: »Sieg Heil!« habe im Deutschen eine ähnliche Bedeutung wie »Ski Heil!« (François Fédier, S. 532). Solche Beispiele sind also nicht mit Übersetzungsfehlern zu erklären. Sie haben die Heidegger-Interpretation grundlegend und zielgerichtet irregeführt.

Angesichts der Fülle von neu übersetzten Zitaten zentraler Passagen welche Payen durch das gesamte Buch bietet, ist für die Heidegger-Interpretation im Französischen künftig an erster Stelle das Buch von Payen und nicht die offizielle Gesamtausgabe heranzuziehen. Payens Anmerkungen weisen jedes Zitat exakt nach eigener neuer oder – soweit akzeptabel – fremder älterer Übersetzung nach.

Das Buch ist brillant geschrieben und spannend zu lesen, nicht zuletzt aufgrund des feinen Humors des Autors. Während Heideggers eigene Schriften für ein breiteres Publikum meist schwer oder nicht verständlich sind, ist Payens Argumentation glasklar. Für die nicht frankophone Forschung ist eine deutsche Ausgabe daher in vielerlei Hinsicht unentbehrlich. Das Buch ist für die Heidegger-Forschung künftig maßgebend.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Rainer Hudemann, Rezension von/compte rendu de: Guillaume Payen, Martin Heidegger. Catholicisme, révolution, nazisme, Paris (Perrin) 2016, 678 p., ISBN 978-2-262-03655-3, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2018/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51875