Angesichts der meist gängigen, strikten Arbeitsaufteilung zwischen Mediävisten hier und seizièmistes dort, ist der Gewinn des Bandes vorab schon die epochenübergreifende Ausrichtung sowie auch der Einbezug etlicher Formen von Medialität: mündliche fama, das Gerüchtestreuen, die bildliche Verwendung von Herrschafts- und Kriegszeichen der Heraldik im 14. und 15. Jahrhundert, dann Frühdrucke und die ausgereifte Form von ephemerem Pamphletedruck, der schon auf Öffentlichkeitsagitation zielt, schließlich das Nebeneinander und Ineinandergreifen dieser Medien im 16. Jahrhundert: eine Plurimedialität, die schon vor langer Zeit Robert Scribner mit der Metaphorik der Partitur beschrieben hatte, um vor der eindimensionalen Ausrichtung mancher Reformationsforscher nur auf den Druck zu warnen.

Die Konzentration auf politische Kommunikation im Umfeld der Dynastie der Valois legt schließlich einen gewissen roten Faden durch die Fallstudien. Nicht nur die deutschen Leserschaft wird sich vielleicht wundern, dass in den knappen theoretischen Bemerkungen zwar auf Serge Tchakhotine, Pierre Bourdieu und via Mona Ozouf, Bertrand Binoche und Alain J. Lemaître auf die Forschungen der dixhuitièmistes zur öffentlichen Meinung zurückgegriffen wird, der Name Habermas und die Diskussion um das Konzept der »Öffentlichkeit« aber im Band nirgends erwähnt wird: wenngleich dies durchaus in der französischen Forschung inzwischen schon ein »Klassiker« ist, insbesondere von der Revolutionsforschung ausgehend (Landes, Mah, Goodman, Lilti ...), ist bei einem zweiten Nachdenken dieses Absehen von einer solchen Fixierung auf diese Debatte, die immer etwas zur Teleologie und Ausrichtung auf kritisch-revolutionäre Zusammenhänge verleiten konnte, vielleicht sogar ganz heilsam.

Im Zentrum stehen so eher die Quellenbegriffe selbst, das »propagare«, die »rumeurs« und »bruits« und die Perzeption der Zeitgenossen: wie wird bei ungewisser Nachrichtenlage »vérification« (Michel de Castelneau, 1560er, S. 17f., in der Einleitung von Luc Vaillancourt) erreicht? Wie lässt sich die Kommunikation von »rumeur« hier nach den Kriterien G. A. Fines' (Plausibilität, Glaubwürdigkeit, Kulturen des Beurteilens, Verbreitung) analysieren (Danielle Courtemanche)? Wie ist die Balance zwischen königlicher Propaganda, Informationskommunikation und innerstädtischer Kommunikation zu charakterisieren – eine innerstädtische Kommunikation, die nicht nach dem Prinzip »Stadtluft macht frei« funktioniert, sondern in einer grundsätzlich wiederum hierarchisch strukturierten universitas die Bürgerschaft (des in den 1380ern isolierten Marseille’s im Fallbeispiel von Otchakovsky-Laurens) für eine politische Richtung zu verpflichten sucht – womit die Stadt zum »laboratoire de la communication politique« (S. 61) wird.

Christophe Masson zeigt, wie die Benutzung von Truppenstandarten und -fahnen sowie von öffentlich angebrachten Wappen als Herrschaftszeichen im komplexen Hin und Wieder der rivalisierenden Parteien (Orléans, Anjou, Duras, Bourgogne, Visconti) Südfrankreichs und Italiens nicht nur die spatiale Markierung von Herrschaftszonen impliziert, sondern der Re-Präsentation des Herrschers selbst in einem symbolischen Gestus dient, der in der Neuzeit ggf. verloren gehen mochte (S. 72), und dies auch unter Negierung der Eigenmacht des lokal agierenden Truppenführers selbst (S. 75).

Wie Laurent Vissière´s Beitrag verdeutlicht, scheint gegenüber diesen Formen die Indienstnahme humanistischer Kunstprosa (Caoursin) in Wort, Schrift und Druck sowie überhaupt des Druckmediums – 172 Ablassbriefe 1480–1482 gedruckt in Deutschland, England, Italien – durch die antiosmanischen Kriegsführer, insbesondere des Johanniterordens im Verbund mit dem Papst, doch einer anderen Epoche anzugehören: wenn ein Ordenskomtur von Mallorca Juan de Cardona bis Dänemark reist und die Druckerpressen Lübecks nutzt zur Verteidigung von Rhodos und Süditaliens, zeigt sich hier ein Ineinandergreifen der traditionellen Netzwerkbildung und Mobilisierung der Kreuzzugszeit mit einer schneller getakteten und engmaschigeren Binnenerschließung Europas, von Norden bis Süden.

Die sprachliche Dimension der Kommunikation kommt in Stéphane Haffemayers Untersuchung insbesondere bei der Transferleistung Nicolas Wolquier (oder Volcyr, Volquier) de Serouvilles in den Blick (Übersetzung etwa der zwölf Artikel im Kontext der elsässischen Bauernkriege), aber auch in Jonathan Dumonts Untersuchung zum italianisierenden französischen Renaissancehof. Die Beiträge schließlich, die um den letzten Valois-Herrscher Henri III kreisen, zeigen auf der Quellenbasis der Pamphlete, der königlichen Briefe und der zeitgleichen Chronisten insbesondere für die Zeit um die Bartholomäusnacht und den Übergang vom polnischen zum französischen Thron, wie die schon humanistisch, ggf. tacitistisch geschulte Reflexion rhetorischer Mittel und persuasiver Narrative bei den Versuchen der Ausbalancierung des politischen Gleichgewichts aus jeweils unterschiedlicher Perspektive ein ständiger Begleiter des Sprech-Handelns des Königs wie seiner Gegner und Beobachter geworden war (Claude La Charité, Mélissa Lapointe, Guy Poirier, Luc Vaillancourt): Vielleicht markiert dann dies – die stets mitgeführte und artikulierte doppelte Reflexivität des strategischen Berechnens, dass Sprechakte kalkuliert sind und ihre entscheidende Wirkung haben, auf epistemischer Ebene eine zunehmende Differenz zur Situation der parlements etwa des 14. Jahrhunderts.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Cornel Zwierlein, Rezension von/compte rendu de: Luc Vaillancourt (dir.), »Des bruits courent«: rumeurs et propagande au temps des Valois, Paris (Hermann) 2017, 265 p. (Les collections de la république des lettres), ISBN 978-2-7056-9408-1, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51934