Dass es die eine europäische Aufklärung nicht gegeben hat, ist ebenso richtig wie dazu geeignet, länder- und regionenübergreifende Forschungen zu entmutigen. Davon unbeeindruckt bietet der auf eine im September 2012 in Bern abgehaltene Tagung zurückgehende Band eine Zusammenschau der gelehrten und patriotischen Gesellschaften der Schweiz, Frankreichs, Italiens und der iberischen Halbinsel. Der Bogen reicht dabei nicht nur von Lissabon bis Schinznach, sondern wird auch von katholischen bis protestantischen Territorien, von Republiken bis Monarchien und vom siècle de Louis XIV bis zu den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts gespannt. Der Mehrsprachigkeit der französischen, deutschen, italienischen und englischen Beiträge entspricht die Pluralität der behandelten Aspekte und methodischen Zugänge. Über ein Register der Personen und Sozietäten werden die Aufsätze nicht nur erschlossen, sondern auch miteinander verzahnt.

Studien über einzelne Sozietäten, zu deren Gesamtgeschichte wie zu einzelnen Gesichtspunkten, sind und bleiben unverzichtbare Grundlagen jeglicher Sozietätsforschungen. Die Quellenbasis zur Schweizer Sozietätslandschaft verbreitert Nicolas Morels Edition und Kommentierung eines Reiseberichts von Jean Rodolphe Sinner de Ballaigues zur Patriotischen Gesellschaft von Schinznach, deren Uneinigkeit und Ineffektivität Sinner kritisierte. Francesco Ruvolo nimmt eine Neudatierung der Anfänge der Accademia Peloritana dei Pericolanti anhand der Korrespondenz von Paolo Aglioti mit Ludovico Antonio Muratori vor. Mehrere Beiträge sind den Vertretern der Sociedades Económicas de Amigos del Pais gewidmet. In Überblicken behandelt diesen Sozietätstypus Immaculada Arias de Saavedra Alías, Maria Victoria López-Cordón Cortezo zu ihrer Stellung im gelehrten Staatsapparat sowie in ihrer Rolle als Schulen der citoyenneté Gloria Ángeles Franco Rubio.

Die baskische Gründung wird mit Beiträgen von Cécile Mary Trojani, Juan Manuel Ibeas Altamira und Alberto Angulo Morales eingehender untersucht und bildet einen eigenen regionalen Schwerpunkt.

Den Protagonisten der aufgeklärten Gesellschaften nähern sich aus biografischer Perspektive mehrere Arbeiten. Cristina Passetti zeichnet den Lebensweg des kalabresischen Abtes und Dichters Antonio Jerocades nach, von dessen radikalaufklärerischen Positionen seine Zugehörigkeit zur Jakobinergesellschaft Sans Compromission zeugt. Rosella Baldi stellt den reformierten Pastor Elias Bertrand vor, der seine naturkundlichen Sammlungen bewusst in den Dienst des öffentlichen Wohls stellte. Olegario Negrín-Fajardo porträtiert drei Schriften des spanischen Staatsmanns und Aufklärers Gaspar Melchor de Jovellanos aus den Kontexten seiner Mitgliedschaft in ökonomischen Gesellschaften und zeigt deren pädagogischen Grundcharakter auf. Helder Mendes Baiao nimmt Samuel Constant und dessen Tugendverständnis in den Blick und stellt es in den Rahmen seiner Zugehörigkeit zur Société littéraire de Lausanne. Peter Lehmann betrachtet das Auftreten von Charles Pictet de Rochemont als Gesandtem der Republik Genf auf dem Wiener Kongress und führt dessen hohe Reputation auf sein Engagement in Fragen der Landwirtschaftsförderung zurück.

Man sollte die Sozietäten des 18. Jahrhunderts nicht pauschal als Vorreiter einer modernen Gesellschaftsordnung ansehen. Diese These wird von mehreren Beiträgen bestätigt, an denen die Brüche und Schattierungen des Verhältnisses der höfischen und städtischen Eliten zu den Gesellschaften deutlich werden. So betrachtet Rolf Graber mit der im Züricher Gerberhaus tagenden Helvetisch-vaterländischen Gesellschaft zur Gerwi eine kritisch räsonnierende und sich unter obrigkeitlichem Druck auflösende Jugendgesellschaft. René Roca beleuchtet die Landwirtschaftlich-ökonomische Gesellschaft im Kanton Luzern, deren Wirken er als aufklärerisch-demokratisch und am Wohl der Landbevölkerung orientiert ansieht. Wie dieser greift Catherine Santschi in das 19. Jahrhundert aus und stellt Genf als Sozietätslandschaft dar, in der diese nicht nur als Förderer der Wissenschaften, sondern auch maßgebliche Akteure der unruhigen Jahre der Stadtrepublik waren.

Dass Akademiearbeit durch landesherrlichem Auftrag ebenso befördert wie deformiert werden konnte, zeigen Beispiele aus Frankreich, Italien und Spanien. Danilo Siragusa behandelt Editionen gefälschter Quellen im Dienste der Rückgewinnung königlicher Prärogative im Königreich Neapel, während der Plan der Madrider Akademie, mit der Herausgabe westgotischer Quellen das spanische Königtum zu stützen, Eva Velasco Moreno zufolge offenbar an Bedenken des Hofes scheiterte.

Mit der Popularisierung von Technik konnten durchaus sozial konservative Ziele verfolgt werden. Dies zeigt Yves-Claude Lequin am Beispiel Frankreichs; als innovativ hingegen wertet Anton Serdeczny das Wirken der Sociétés de sauvetage, deren Bemühungen um Lebensrettung er als ebenso patriotisch wie egalitär motiviert ansieht.

Wie aufgeklärte Gesellschaften das publizistische Feld prägten, zeigen Patrizia Delpiano am Beispiel des dort nicht zuletzt durch die Opposition und Kontrolle der Akademie über die Zeitschriftenlandschaft gescheiterten Mesmerismus, aber auch Antonio Trampus anhand der Rolle der Freimaurer bei der Ausbreitung aufgeklärten Gedankenguts. Maria Luísa Malato-Borralho weist in den Statutentexten der Academia Medico-Portopolitana des Chirurgen Lima Bezerra Parallelen zwischen den akademischer und erhoffter politischer Verfassung nach. Die Rolle der Sociétés royales d’agriculture untersucht Alfredos Steinhauser und zeigt, wie sich dort eine neuer Modus des Wirtschaftens formierte. Für die Académie des inscriptions et belles-lettres dagegen arbeitet Jean-Pierre Schandeler deren Tauschbeziehung von Ruhm gegen Autorität bzw. Unterstützung mit dem Versailler Hof heraus.

Gerade eine solche westeuropäische Zusammenschau regt dazu an, Vergleiche zwischen Ländern anzustellen, in denen »Aufklärung« teils völlig unterschiedliche Haltungen und Handlungen beschreibt und die sich teils als aufgeklärte Avantgarde, teils als Nachzügler begriffen. Nur wenige Studien befassen sich allerdings explizit mit den Zusammenhängen zwischen den westeuropäischen Gesellschaften, ziehen Vergleiche oder zeigen Einflüsse auf. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von Florence Catherine über das transnationale Netzwerk des aus Bern stammenden Göttinger Gelehrten Albrecht von Haller; mit dem Netzwerk der Sozietäten befasst sich Gerrendina Gerber-Visser am Beispiel der Beziehungen einer Lausanner Zweiggesellschaft zu ihrer »Mutter«, der Ökonomischen Gesellschaft Bern.

Angesichts der regionalen und kulturellen Vielfalt nicht nur des Beobachtungsgegenstands, sondern auch der Beobachterinnen und Beobachter selbst kann und will der Band keine die Beiträge überwölbende Deutung der gelehrten und patriotischen Gesellschaften liefern. In ihrer Gesamtheit freilich lassen die Beiträge nicht nur erkennen, auf welchen Pfaden sich die Aufklärungsforschung bewegt, sondern zeigen gerade im Überblick in beeindruckender Weise, dass es trotz und in der dargestellten Vielfalt einen regionen- und staatenübergreifenden Aufklärungsdiskurs gegeben hat.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Erb, Rezension von/compte rendu de: Michèle Crogiez Labarthe, Juan Manuel Ibeas Altamira, Alain Schorderet (dir.), Savoir et civisme. Les sociétés savantes et l’action patriotique en Europe au XVIIIe siècle. Actes du colloque de Berne (20–22 septembre 2012), Genève (Éditions Slatkine) 2017, 411 p., ISBN 978-2-05-102811-0, EUR 50,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51936