Zu den zahlreichen Kolloquien und Gedenkveranstaltungen anlässlich des 300. Todestags Ludwigs XIV. zählt auch die von Hervé Drévillon und dem Service historique de la Défense am 19. und 20. November 2015 veranstaltete Tagung zu den letzten Kriegen des Sonnenkönigs, aus der der vorliegende Band hervorgegangen ist. Zusammengeführt hat die Tagung ausgewiesene Spezialisten der Geschichte der französischen Armee und Marine und der Kriege Ludwigs XIV., deren Qualifikationsarbeiten seit etwa 2000 unsere Kenntnisse über diesen Teil der Geschichte Ludwigs XIV. erheblich erweitert haben.
Einleitend skizziert Hervé Drévillon in einem knappen Forschungsüberblick die neuere Historiografie des Grand Siècle, deren Schwerpunkte in den Feldern Politik, Krieg und Finanzen liegen. Ergebnis der Betrachtung der letzten 25–30 Jahre der Regierung Ludwigs XIV. ist u. a. die Identifizierung einer politischen Krise, die mit der »Krise des europäischen Bewusstseins«, die Paul Hazard um 1685 beginnen lässt, parallelisiert werden kann. Sie ist nicht nur auf Frankreich zu beziehen, sondern erfasste ganz Europa und entlud sich im Neunjährigen Krieg und im Spanischen Erbfolgekrieg.
Drévillon sieht in den letzten Kriegsjahrzehnten der Regierung Ludwigs XIV. einen fundamentalen Wandel in der Wahrnehmung von Monarchie und Krieg. Aus den Kriegen geht die »Idee« der französischen Monarchie als ein überpersoneller Staat mit einer immer deutlicher werdenden geografischen Gestalt hervor – das »pré carré« Vaubans. Aufgabe des Monarchen und seiner Untertanten, die eine Loyalität gegenüber dem »Staat« und nicht nur gegenüber dem – vergänglichen – Monarchen entwickeln sollen, ist seine Verteidigung gegen Invasoren. Die Sicherung der Grenzen steigerte sich zu einer veritablen »Obsession« (Jamel Ostwald, S. 106) Ludwigs XIV., angesichts der Vorstöße der Alliierten im Spanischen Erbfolgekrieg nach Nordfrankreich durchaus mit realem Hintergrund. Aus dieser Bedrohung, so Drévillon, entstand ein neuartiges Zugehörigkeitsgefühl, ein Vorläufer »nationaler Identität« sei zu beobachten. Zeitgenössische Autoren bemühten die Metapher vom Staat als Körper, dem man von Geburt an angehöre – und den es zu verteidigen gelte (S. 26). Die dem sterbenden Ludwig XIV. in den Mund gelegten Worte »Je m’en vais mais l’État demeure« und die Ermahnung an den Dauphin, nicht den Krieg zu sehr lieben, weisen auf die Verbreitung der Idee.
Den Ausprägungen dieses einleitend skizzierten Wandels spüren die Autoren des Bandes in vier Themenblöcken nach: In »Reconfigurations stratégiques« beschäftigt sich Jean-Philipe Cénat mit den »enjeux géostratégiques et stratégiques« der letzten Kriege. Er zeigt wie die verschiedenen Kriegsschauplätze – Nordfrankreich/Flandern, Rhein, Italien, Baskenland – je verschiedene Strategien verlangten. Im Zentrum der letztlich defensiven Bemühungen standen immer wieder Festungen und Brückenköpfe, deren Sicherung den Krieg vom französischen Territorium fernhalten sollte.
Éric Schnakenbourg skizziert den sukzessiven Einflussverlust Frankreichs in Nordeuropa und insbesondere in Schweden. Im großen Nordischen Krieg ist Frankreich nur Beobachter und zeigt sich hilflos angesichts des Vorstoßes des Zarenreichs nach Europa.
Philippe Hrodejs Beitrag thematisiert als einziger im Band die maritime Dimension der letzten Kriege des Sonnenkönigs. Die Entscheidung – diktiert nicht zuletzt aus Ressourcenmangel – vom Krieg der Flotten zum Kaperkrieg überzugehen, sollte nicht unbedingt als Zeichen der Schwäche betrachtet werden. Es gelang, den Gegnern empfindliche Schläge zu versetzen und über den Kaperkrieg dem klammen Staatshaushalt Finanzspritzen zuzuführen. Noch bedeutender aber ist als Bilanz, dass die Grundlagen des französischen Kolonialreiches auch noch 1712/1713 gesichert werden konnten.
Im Kapitel »Combats« widmen sich Jamel Ostwald, Clément Oury, Boris Bouget und Paul Vo-Ha Aspekten der »Nouvelle Histoire de la bataille«. Bouget beleuchtet die technologische und taktische Evolution infolge der Einführung von Steinschlossmuskete und Bajonett. Im Zentrum des Beitrags über die Gewalterfahrung der Soldaten von Clément Oury steht die Fähigkeit der »endurance«, des Ertragens von Beschuss als Schlüssel für das Gewinnen oder Verlieren von Schlachten. Vo-Ha beschreibt das Entstehen von neuen Formen des Umgangs mit den Besiegten – die Entstehung der Kriegsgefangenschaft. Lesenswert auch der Beitrag von Jamel Ostwald, der Ludwigs XIV. Einfluss auf die Kriegführung im Spanischen Erbfolgekrieg untersucht. Ludwig »liebte« nicht die Schlacht, er wusste um das Risiko, dass sich mit ihr verband. Dennoch drängte er immer wieder seine Generale, eine Schlacht zu suchen – immer dann, wenn er fürchtete eigene Territorien könnten besetzt werden oder verloren gehen.
Im Kapitel »Campagnes« untersucht Frédéric Chauviré die Bedeutung der Kavallerie in den Kriegen – ein unverzichtbares Element der Dynamik, das man über die Fixierung auf den Belagerungskrieg nicht vergessen sollte. Fadi El Hage porträtiert den Herzog von Vendôme als Heerführer, der Licht und Schatten der Generalität Frankreichs verkörperte: Durchaus fähig, erfolgreich kleinere Operationen durchzuführen, aber eher unfähig, ganze Feldzüge zu leiten – wie sein Scheitern in Italien 1709 zeigt. François Royal nuanciert am Beispiel der Winterquartiere 1712 die Idee der Kampfpause während der kalten Jahreszeit in frühneuzeitlichen Kriegen.
Der letzte Teil, »Regards sur la guerre« versammelt Beiträge, die die zeitgenössischen Repräsentationen und Diskurse thematisieren, die von Ludwigs letzten Kriegen provoziert wurden. Émile Dosquet geht der Legitimation und Delegitimation der Zerstörung der Kurpfalz in völkerrechtlichen Schriften nach; Isaure Boitel beschreibt den Wandel der in englischen und niederländischen Pamphleten geprägten Charakteristika des Feindbildes Ludwig. Sie beobachtet ein Verschwinden des konfessionellen Arguments gegenüber einer politischen Argumentation angesichts einer multikonfessionellen Allianz gegen den Sonnenkönig. Ludwig XIV. aber bleibt der Feind Nr. 1. Bertrand Fonck skizziert den Krieg als Thema der Malerei. Der Tod Ludwigs XIV., eines großen Auftraggebers von »Kriegsmalerei« bewirkte eine Zäsur, für die einige Bilder Watteaus stehen, der den Friedensalltag der Soldaten thematisiert. Thierry Sarmants Resümee der Tagung hebt zwei Aspekte hervor: Einmal den Wandel vom »roi de guerre« zum »roi de paix« nach 1715, verantwortet von einem der fähigsten Generäle Ludwigs, Philipp von Orléans, der Bündnisse mit den ehemaligen Gegnern schließt. Zum anderen den durch den Krieg hervorgerufen Wandel in der Gesellschaft und der Armee, für die »Disziplin« zum Schlüssel des Erfolgs wird.
Schließlich sei noch auf John Lynns »Essai d’égo-histoire« hingewiesen. Lynn beschreibt hierin seinen Werdegang als Historiker der Armee Ludwigs XIV. und der Revolution. Sein »Giant of the Grand Siècle« von 1997, als »encyclopédie du savoir militaire« bezeichnet, kann als Ausgangspunkt der grundlegenden Erneuerung unserer Kenntnisse über die Beziehungen zwischen Militär, Staat und Monarchie im 17. Jahrhundert gelten. Viele seiner Thesen von 1997 sind mittlerweile präzisiert oder korrigiert worden, was Lynn seinen Kritikern aber ohne Weiteres zugesteht.
Zuletzt an Fragen von Kultur und Krieg sowie Frauen im Krieg interessiert, betont Lynn die Prozesshaftigkeit der Kriege des Sonnenkönigs. Mit dieser Betrachtungsweise soll einerseits der Wandel von der Aggressivität der ersten Kriege Ludwigs hin zur Defensive der letzten beiden beschrieben, andererseits eine stärker an Maßstäben des Krieges des 17. Jahrhunderts orientierte Betrachtungsweise eingefordert werden. Die Kriege des Ancien Régime lassen sich nicht mit dem Dogma der »Entscheidungsschlacht« adäquat erfassen. Die Beiträge des Bands zu den Themen »Combats« und »Batailles« stützen diese Forderung.
Ein nicht nur wegen Lynns Rückblick auf den eigenen Werdegang lesenswerter Band, der geradezu als Einführung in den Forschungsstand dienen kann.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Hervé Drévillon, Bertrand Fonck, Jean-Philippe Cénat (dir.), Les dernières guerres de Louis XIV. 1688–1715, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2017, 308 p. (Histoire), ISBN 978-2-7535-5907-3, EUR 23,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51940