Die Revolution war abgeschlossen, als sie in die Herrschaft Napoleons mündete, die dem französischen Volk einen erheblich größeren Blutzoll abverlangte, als die zehn Jahre zuvor, aber ihre Wirkungsgeschichte ist bis heute nicht zu Ende. Dies ist die zentrale Botschaft dieser vorzüglichen Gesamtdarstellung aus der Feder eines der profiliertesten Vertreter jener linksliberalen angelsächsischen Historikerschule, die mit empirisch exzellent abgesicherten Arbeiten nach dem 200. Jahrestag des Bastillesturms einen erheblichen Teil der Deutungshoheit über die Geschichte der Revolution von 1789 errungen hatte. Würde es Sinn machen, die akademische Beschäftigung mit der Französischen Revolution endlos fortzusetzen, wenn sich François Furets Diktum von der »vollendeten Revolution« durchgesetzt hätte? Nicht nur die detaillierte Beschreibung, die der Australier Peter McPhee vorlegt, wäre obsolet, sondern auch die immer neue Detailforschung, die er auf 73 engbedruckten Seiten mit Fußnoten und Auswahlbibliografie anführt, ließe sich nur mit einem nicht enden wollenden Narzissmus der Revolutionshistoriker erklären.
Doch McPhee beschränkt sich keineswegs auf die Neugier seiner Kollegen, die immer neue Aspekte an einer ebenso gut dokumentierten wie erforscht erscheinenden Dekade am Ende des 18. Jahrhundert entdecken, wenn er (im letzten Kapitel seiner Darstellung) die fortdauernde Bedeutung der Revolution erörtert, nachdem er deren Peripetien ebenso konzentriert wie lebendig verfolgt hat. Aktuelle Bezüge in den Revolutionen Osteuropas und Nordafrikas haben seit 1989 bestätigt, dass die Idee revolutionärer Erhebung im Namen von Emanzipation und Demokratie nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat.
Entsprechend bilanziert McPhee die Revolution in Frankreich als Urerfahrung demokratischer Partizipation. Schon 1790 hatte die revolutionäre Neuordnung über 1,2 Millionen Wahlämter auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene geschaffen, in denen sich die Bürger des neuen Frankreich z. B. als Friedensrichter oder in der Nationalgarde ausprobieren konnten. Innerhalb der folgenden zehn Jahre gab es zwanzig Mal die Gelegenheit zur Wahl und in drei Plebisziten zur Abstimmung über die weitere gesellschaftliche Ordnung. Die 4,3 Millionen französischen Männer, die 1791 das Wahlrecht hatten, stellten 60% aller erwachsenen Männer dar, und zwei Jahre später stieg die Zahl der Wahlberechtigten sogar auf sechs Millionen. Dieses Niveau erreichte England erst nach dem Reform Act von 1884. Es ist inzwischen auch genauer betrachtet worden, wie ungleich die Wahlbeteiligung war, denn angesichts fehlender Parteien und Kandidatenwerbung (die den Franzosen während der Revolution als Ausweis eines fatalen Faktionismus galten und deshalb geächtet blieben) wiesen die Wahlen nur eine geringe Mobilisierung auf, so dass im Durchschnitt des Landes 20–25% der Berechtigten tatsächlich an Wahlen teilnahmen, in Paris sogar nur 15%. Verglichen mit der Massenbeteiligung an den Wahlen 1848 erscheint das zunächst wenig, aber McPhee argumentiert zu Recht, dass die Verankerung des Wahlrechts in der politischen Kultur die zentrale Leistung der Revolution bleibt, die durch einen viel breiter zu beobachtenden Übergang von Untertan zum Staatsbürger gekennzeichnet war. Der Verfasser erinnert gegen ein gängiges Revolutionsbild auch daran, dass lediglich 12% der Demonstrationen in Paris in der einen oder anderen Weise gewaltförmig verliefen, während die Mehrheit der Manifestationen des »Volkswillens« durch die Sansculotten ebenso friedlich blieb wie es die Mitwirkung in Klubs war, die es im Südosten in jeder dritten Gemeinde gab und in der Bourgogne immerhin noch an jedem achten Ort. Die exzeptionelle politische Mobilisierung von Frauen bis hin zu den Revolutionären Republikanischen Bürgerinnen stieß zwar in fast allen Milieus, von den Konservativen bis zu den Jakobinern, auf Widerstand, hinterließ aber Referenzpunkte für spätere Bemühungen um ein neues Geschlechterverhältnis. Nicht zuletzt das neue Scheidungsrecht (rund 30 000 Mal ausgeübt) setzte einen Kontrapunkt zu traditionellen Verhältnissen und wurde konsequenterweise von Napoleon 1804 eingeschränkt und 1816 wieder abgeschafft.
Die politische Macht wie die soziale Kontrolle über Frankreichs Ressourcen blieb in den Händen einer oftmals durch Landbesitz ausgezeichneten bourgeoisen Elite, aber sie wurde durch die ländlichen und städtischen Volksbewegungen sowie das Intermezzo einer kleinbürgerlichen Hegemonie 1792 bis 1795 vorwärtsgetrieben bei der Verabschiedung von den Effekten eines Seigneuralismus, der mit dem Ancien Regime unterging und auch unter Napoleons Wiedereingliederung des alten Adels bzw. unter der erneut etablierten Bourbonenmonarchie 1814/1815 nicht wieder eingeführt werden konnte. Hatte der Adel vor 1789 höchstens fünf Prozent (wenn überhaupt) zum Steueraufkommen beigetragen, trugen nun alle Landbesitzer eine ungefähre Steuerlast von 16%. Zusammen mit den Enteignungen der Emigranten und der Abschaffung der Feudalrechte ergaben sich substantielle Einschnitte für die Einkommen der Altherrschenden und damit die vom oberen Teil des Dritten Standes verlangte Angleichung der sozialen Aufstiegschancen. Der Übergang von ca. 8,5% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche (6,5% aus den Händen des Klerus, der im Allgemeinen Land von hoher Qualität besaß, und zwei Prozent aus dem Besitz der Emigranten) an die Bauern wirkte sich ebenfalls in Richtung eines sozialen Ausgleichs zwischen Adligen und reichen Bürgern aus, in deren Händen sich das umverteilte Land bald wieder zu konzentrieren begann. Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat interessanterweise an diesem Bild zwar verschiedene Präzisierungen geliefert, aber nur wenige Korrekturen notwendig gemacht, nachdem es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand von jeweils unterschiedlich angelegten Regionalstudien noch heftige Kontroversen über Tiefe und Charakter der sozialen Transformation gegeben hatte.
In die auf Alexis de Tocqueville zurückgehende Debatte um die Kontinuität des Zentralisierungsprozesses in Frankreich scheint ebenfalls, folgt man McPhees Bilanz, eher konsensuale Ruhe eingekehrt – die Revolution setzte einen seit Colbert anhaltenden Trend fort, fügte ihm aber mit den Ideen der »fraternité« und der »nation« neue Denkfiguren hinzu, die in Frankreich modellhaft die Saat des modernen Nationalismus im Namen einer »imagined community« als Basis für nationale Identität aufgehen ließ, wenn auch die Idee der nationalen Einheit noch für fast ein Jahrhundert das Patchwork vorherrschender regionaler Identitäten überdecken musste.
Diese Gemeinschaft verlangte ihren Mitgliedern erhebliche Opfer ab. Dafür hat sich die angelsächsische Forschung zuletzt sehr intensiv interessiert, um das liberale Unbehagen an der Gewaltförmigkeit der Revolution nicht mit dem banalen Hinweis auf die Späne, die fallen, wo gehobelt wird, abzuwehren. Zunächst erinnert McPhee daran, dass die Zeit der terreur eingebettet war in 25 Jahre Krieg und Bürgerkrieg. Fast 1% der Franzosen fiel der Krise 1793/1794 zum Opfer, 200 000 starben in Westfrankreich, 40 000 wurden nach den Prozessen in anderen Teilen Frankreichs hingerichtet, 50 000 fielen in dieser Phase an der äußeren Front im Krieg mit den europäischen Mächten, in dem zwischen 1792 und 1802 wahrscheinlich 455 000 Menschen ihr Leben verloren. Diese Zahlen, das ist dem Verfasser wichtig, muss man allerdings den 4 bis 5% der Franzosen gegenüberstellen, die den Feldzügen Napoleons zum Opfer fielen.
Der zweifellos auffälligste Forschungsfortschritt, auf den sich McPhee stützen kann, betrifft die Sklaven in der Karibik. 456 000 von ihnen wurde auf St. Domingue die zuvor per Aufstand errungene Freiheit 1794 auch qua Gesetz zugestanden. Napoleons Versuch, die Sklaverei 1802 wieder einzuführen, resultierte in opferreiche Abwehrkämpfe, in denen rund 100 000 Menschen, mithin ein Fünftel der Inselbewohnerschaft, ihr Leben verloren. Der einhergehende Zusammenbruch der Plantagenwirtschaft, den die fortdauernde Kontrolle über andere Inseln im Indischen Ozean und in der Karibik nicht kompensieren konnte, hatte dauerhafte Folgen auch für die Wirtschaftsgeografie der Metropole, in der die Küstenstädte an Atlantik und Mittelmeer viel von ihrem Reichtum und ihrer globalen Dynamik einbüßten, während die im Landesinneren gelegenen Manufaktur- und Industriezentren einen Aufschwung erlebten. Weder in der gewerblichen Produktion noch in der Landwirtschaft vollzogen sich während der Revolutionsdekade fundamentale technologische Wandlungen, das Produktivitätsniveau verblieb noch für eine geraume Zeit auf dem Level von 1780.
Für die rund 140 000 Priester, Mönchen und Nonnen bedeutete die Revolution einen besonders dramatischen Einschnitt. 3000 von ihnen wurden ermordet und 920 öffentlich als Konterrevolutionäre hingerichtet. 30 bis 40 000 emigrierten spätestens nachdem der Papst die Revolution offen verurteilt hatte. Viele Gemeinden fanden sich bis zum Konkordat ohne geistlichen Beistand, aber der Versuch der Jakobiner, eine Ersatzreligion zu stiften, erwies sich als wenig erfolgreich, woraus sich zu einem nicht geringen Maße die Intensität der Gewalt in den Konfrontationen ergab.
Peter McPhee überzeugt mit einem kühl sezierenden Blick auf das Geschehen, er erweist sich als hervorragender Kenner einer weit verzweigten Literatur und sein ausdrückliches Engagement für die Revolution als Gründungsakt moderner demokratischer Partizipation trübt ihm an keiner Stelle den Blick für die historische Bedingtheit einer mehr als 225 Jahre zurückliegenden gesellschaftlichen Eruption.
Die Revolution ist nicht vorüber. Aber ihre Historiografie hat ein akademisches Niveau erreicht, dass der Mythenbildung erheblichen Widerstand entgegenbringt. Peter McPhee erinnert daran, dass in Frankreich im 19. Jahrhundert beinahe jede Familie ihre eigene Revolutionserinnerung pflegte. Davon sind wir heute weit entfernt. Dafür haben sich je eigene Bilder von der Französischen Revolution in die kollektiven Gedächtnisse unterschiedlichster Milieus und Bewegungen weltweit gegraben und fordern neue Ideen über gesellschaftliche Emanzipation heraus. Solange dies so ist, wird der Bedarf an wissenschaftlich gesicherter Kenntnis über die Jahre 1789–1799 nicht nachlassen. Für die nächste Zeit dürfte mit Peter McPhees Darstellung ein kaum überbietbares Referenzwerk vorliegen, ehe eine neue Welle empirischer Studien die nächste Bilanz herausfordern wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Matthias Middell, Rezension von/compte rendu de: Peter McPhee, Liberty or Death. The French Revolution, New Haven, London (Yale University Press) 2017, XII–468 p., 40col. ill., ISBN 978-0-300-22869-4, GBP 14,99., in: Francia-Recensio 2018/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51948