In ihrem 2017 vorgelegten Buch »Dreams and Lives in Ottoman Istanbul« widmet sich Asli Niyazioğlu dem literarischen Werk »Die Gärten der Wahrheiten« des osmanischen Gelehrten Nev’īzāde ‘Aṭā’ī aus dem frühen 17. Jahrhundert. ‘Aṭā’ī hatte darin weit über 1000 Kurzbiografien osmanischer Persönlichkeiten zusammengetragen, die zwischen 1558 und 1634 verstorben waren. Niyazioğlu konzentriert sich jedoch auf die rund 300 Biografien über Sufischeichs und klammert die wesentlich besser erforschten restlichen Biografien über Rechtsgelehrte (‘ulamā’) aus.
Anders als die bisherige Forschung, die diese Sammlung fast ausschließlich als biografisches Nachschlagewerk genutzt hat, möchte Niyazioğlu den Text im Sinne eines Selbstzeugnisses auf die darin enthaltenen narrativen Strategien lesen (konzeptionell S. 1–4). Besonders interessieren sie dabei die in den Einträgen geschilderten Traumbeschreibungen der portraitierten Personen, da ihrer Meinung nach hier die Selbstpositionierung des Autors besonders deutlich hervortritt. Dies, so Niyazioğlu, sei darin begründet, dass man Träumen einen besonders hoher Stellenwert zugesprochen habe: Sie hätten zeitgenössisch als »cognitive tool« gegolten, mit dem es möglich gewesen sei, auf göttliches Wissen zuzugreifen (S. 6). Osmanische Biografen hätten Träume daher in ihren Texten ganz gezielt als ein »medium of debate« eingesetzt, »to present their position and criticize others« (S. 8). Mit ihrem Ansatz schließt Niyazioğlu explizit an jüngere Forschungen zum Habsburger- und zum Safawidenreich an, die Träume als ein »medium of communication« untersuchen (S. 3).
Die Studie gliedert sich in vier Kapitel: Mit dem Verweis auf bestehende Beziehungen zu bekannten Persönlichkeiten – sein Vater etwa war selbst ein bedeutender Gelehrter – positionierte sich ‘Aṭā’ī in einem überregionalen literarischen Netzwerk (Kap. 1). Darstellerisch konzipierte er die Biografien in einem komplexen textuellen Geflecht als »Gärten«, in denen er die portraitierten Personen, seine Leser sowie ihn selbst als Autor zusammenkommen ließ (Kap. 2). Außerdem nutzte er die Traumbeschreibungen, um die klassischen elitären Karrierewege seiner Zeitgenossen zu kritisieren, die etwa als Richter oder Religionsgelehrte tätig waren, und stattdessen seine eigene Hinwendung zum Sufismus zu rechtfertigen (Kap. 3). Schließlich waren Träume aus ‘Aṭā’īs Sicht ein Ort, an dem die Verstorbenen die Lebenden aufsuchten, um mit ihnen in Kontakt zu treten, was noch einmal deutlich zeigt, warum ihre Interpretation für ihn von solch großer Bedeutung war (Kap. 4).
Auch wenn die vielen theoretischen Anleihen, etwa bei der Literaturwissenschaft (z. B. Stephen Greenblatt) oder der Ethnologie (z. B. zum Geisterglauben), häufig nicht immer ganz eingelöst werden, bietet Niyazioğlus Buch doch eine Fülle interessanter Aspekte und ist zudem gut zu lesen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Florian Kühnel, Rezension von/compte rendu de: Asli Niyazioğlu, Dreams and Lives in Ottoman Istanbul. A Seventeenth-Century Biographer’s Perspective, London, New York (Routledge) 2017, XII–147p. (Birmingham Byzantine and Ottoman Studies, 1), ISBN 978-1-472-47229-8, GBP 110,00., in: Francia-Recensio 2018/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.3.51950