Schon mit der titelgebenden Trias reiht sich der Band in eine aktuelle Tendenz der Mediävistik ein, Räume nicht isoliert, sondern als Produkt verschiedener Faktoren sowie als Gegenstand interdisziplinärer Forschung zu sehen, die von beiden Herausgebern bereits seit einiger Zeit vertreten wird. Folgerichtig ist der vorliegende Sammelband in drei Hauptteile gegliedert, deren erster sich den »geografischen Räumen und politischen Grenzen« widmet, der zweite den »kulturellen Räumen«, der dritte den »politischen Räumen« und der vierte den »Raumstrukturierungen«. In ihrer Einleitung umreißen die Herausgeber den methodischen Stand der Forschung sowie den Untersuchungsraum und das Konzept des Bandes, der aus einer Tagung hervorgegangen ist, die 2013 in Freiburg veranstaltet wurde.
So thematisiert das erste Panel den Zusammenhang von Naturraum und politischer Grenzziehung. In sechs Beiträgen werden sowohl die Chancen und Risiken eines archäologischen Theorems von »Umwelt« (Thomas Meier) als auch mittels gegenstandsbezogener geografisch angelegter Studien zur Wasserwirtschaft (Iso Himmelsbach), den Verkehrswegen (Lars Blöck und Erik Beck) und dem Schwarzwald als vermeintlichem Siedlungshindernis (Heiko Wagner) die Bedingungen für die Konzeption menschlicher Raumordnungen diskutiert. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Analyse von Peter Eich zu »Caesars Konstruktion der Rheingrenze«, die gewissermaßen fortgesetzt wird von Dieter Geuenichs zur »Alemannia und ihren Grenzen« vom 5. bis 9. Jahrhundert.
Der zweite Hauptabschnitt untersucht Kulturräume mittels des Austausches zwischen ihnen, wobei das Ergebnis der letzten Forschungsjahre gewesen sei, dass durch den Austausch auch Grenzen sichtbar gemacht werden können (S. 6ff. der Einleitung). Auch dieser Teil wird mit einem Beitrag zur archäologischen Methodenlehre eröffnet (Sebastian Brather). Ihm folgen fünf Untersuchungen zu der Ausprägung kultureller Räume im Untersuchungsgebiet zwischen dem ersten vorchristlichen Jahrtausend und dem Hochmittelalter (Christoph Huth, Alexander Heising, Heiko Steuer, Susanne Brather-Walter und Peter Heinzer). Der Teil wird von einer ebenfalls auf den Oberrhein bezogenen Analyse zu »Kulturräumen und Raumszenarien« von Volkhard Huth abgeschlossen.
Der dritte Teil des Bandes widmet sich der Entstehung und Ausprägung der politischen Herrschaftsräume am Oberrhein im diachronen Zugriff. Wie bei den beiden vorherigen Panels wird mit einem theoretisch angelegten Referat begonnen (Jens Schneider zu »Begriffen und Methoden der aktuellen Raumforschung«), dem vier Studien zu den wesentlichen Faktoren politischer Raumbildung im Mittelalter folgen. Jean-Claude Rebetez und Tobie Walther betrachten kirchliche Raumorganisationen anhand von Basel und Straßburg, während Karl Weber den Blick auf die frühmittelalterlich-weltliche Ordnung des Raumes anhand der Termini pagus und comitatus am südlichen Oberrhein in merowingischer und karolingischer Zeit lenkt (ein Begriffspaar mit mediävistischem Konfliktpotenzial). Thomas Zotz beleuchtet anhand des den Raum im Hochmittelalter prägenden Dualismus zwischen Zähringern und Staufern den Territorialisierungsprozess im Untersuchungsraum.
Im Gegensatz zu den drei vorausgehenden Teilen ist der abschließende vierte Hauptabschnitt, welcher den »Raumstrukturen« gewidmet ist, mehr theoretisch angelegt. Dies vermutlich, da er »im Sinne des spatial turn akteursbezogene« Strukturierungen und Vorstellungen von Räumen zum Schwerpunkt hat (S. 9f. der Einleitung). Jürgen Schreg stellt die »Methoden und Modelle der Sozialarchäologie« vor, Hubert Fehr untersucht die Möglichkeiten archäologischer Erforschung von »wirtschaftlichen, sozialen und politischen Räumen«. Die Beiträge zur staufischen Städtepolitik im Elsass (Gabriel Zeilinger), den »Raumwirkungen hochmittelalterlicher Klostergründungen« (Jürgen Dendorfer) und der »Raumwahrnehmung in der hochmittelalterlichen Historiografie des deutschen Südwestens« (Heinz Krieg) gehen dagegen wieder auf das Oberrheingebiet ein.
Die Ergebnisse der Tagung werden am Ende der Einleitung (S. 10) in knappen drei Absätzen angeführt; sie sind in dieser Form recht enttäuschend, da sie bestätigen, was man schon weiß: »Räume stellen sich vielfältig dar« und eine möglichst breit angelegte interdisziplinäre Erforschung fördert neue Einsichten.
Ganz so banal sollte man die gebotenen Studien vielleicht nicht zusammenfassen, werden doch am Beispiel eines Großraumes, der sowohl geografisch als auch politisch und kulturell aus vorgeschichtlicher Wurzel seit der Antike hervorzutreten beginnt, die vielerlei sich gegenseitig bedingenden Faktoren für die Genese des »Oberrheins« dargestellt. Der Leser erhält, nicht zuletzt auch anhand der Karten und Abbildungen, einen gelungenen Überblick und kann so auf dem neuesten Forschungsstand beispielsweise komparatistische Betrachtungen zu anderen Regionen anstellen, die bereits in ähnlicher Weise bearbeitet wurden.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Caspar Ehlers, Rezension von/compte rendu de: Sebastian Brather, Jürgen Dendorfer (Hg.), Grenzen, Räume und Identitäten. Der Oberrhein und seine Nachbarregionen von der Antike bis zum Hochmittelalter, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2017, 587 S., 124 Abb. (Archäologie und Geschichte, 22), ISBN 978-3-7995-7372-6, EUR 73,00., in: Francia-Recensio 2018/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57363