Die Stadtmauer der Freien Stadt Metz war 5 575 m lang, besaß 76 Türme, sieben Tore und umschloss eine Fläche von fast 160 ha. Mit über 20 000 Einwohnern alleine intra muros gehörte die Moselmetropole zu den größten und einwohnerstärksten Städten im spätmittelalterlichen Reich.
Hauptanliegen des überwiegend aus Nachwuchswissenschaftlern bestehenden, 2008 gegründeten Vereins Historia Metensis ist die Erforschung der Geschichte der Stadt Metz von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse eines ab 2011 vorangetriebenen Projekts zu ihren spätmittelalterlichen Befestigungsanlagen. Erklärtes Ziel der Herausgeber Julien Trapp und Mylène Didiot ist die umfassende Untersuchung von Genese, Nutzung und Erhalt des Bauwerks in interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaften und Archäologie. Die vornehmlich im Zeitraum vom späten 12. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts angesiedelte Studie verfolgt den Anspruch, die Forschungslücke einer zeitgemäßen, umfassenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den mittelalterlichen Stadtmauern zu schließen (S. 9).
Die auf ein Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers und eine Einführung des Kunst- und Architekturhistorikers Alain Salamagne folgenden fünf Kapitel und elf Exkurse sind weitestgehend in engverzahnter Zusammenarbeit der Herausgeber mit fünf weiteren Verfassern entstanden. Der Einfachheit halber seien die Autorennamen nachstehend genannt und auf deren detaillierte Zuweisung im Folgenden verzichtet: Julien Trapp, Mylène Didiot, Pierre-Édouard Wagner, Anthony Dumontet, Pierre-Marie Mercier, Nathalie Pascarel und Aurélien Davrius.
Das erste Kapitel dient der Einführung (S. 17–66). Auf eine Beschreibung der geo- und topografischen Gegebenheiten von Stadt und Umland folgt ein wissenschaftsgeschichtlicher Überblick, der zugleich die Entwicklung der Stadt vom gallischen oppidum hin zum hochmittelalterlichen Bischofssitz skizziert. Besondere Beachtung finden entsprechend der Themenstellung die Überreste der antiken und frühmittelalterlichen Verteidigungsanlagen. Zuletzt wird der Bestand der ausgewerteten Schrift- und Bildquellen vorgestellt.
Der Genese der Stadtmauer vom späten 12. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ist der längste Teil des Buches (S. 67–220) gewidmet. Nach einer Präsentation der vier wichtigsten Bauphasen erfolgt die Beschreibung der spätmittelalterlichen Mauerabschnitte in Form eines imaginären Rundgangs »de porte à porte« (S. 85). Sie wird ergänzt durch eine detaillierte Erfassung aller der Mauer zugehörigen Bauelemente wie Gräben, Brücken, Tore, Türme etc. Nicht zuletzt durch das Hinzuziehen umfangreichen Bildmaterials gelingt die Charakterisierung der Stadtmauer als nie vollendeten Bauwerks, das nicht nur instand gehalten, sondern auch fortwährend an kriegstechnologische Neuerungen angepasst werden musste.
Das dritte Kapitel (S. 221–334) verdeutlicht den enormen organisatorischen Aufwand des Baus und der Instandhaltung der 5,5 km langen Maueranlage, der in der umfangreich überlieferten Buchhaltung der gouverneurs des murs, den administrativen Verwaltern der Mauer, seinen Niederschlag gefunden hat. Die Stadtmauer als immerwährende Baustelle erforderte eine spezialisierte Administration und strukturierte Koordination sowohl bei der Beschaffung von Baumaterialien als auch bei der Beaufsichtigung der vielen involvierten Berufsgruppen. Die Beschaffung, Lagerung und Verarbeitung der Ressourcen durch die einzelnen Gewerke werden ausführlich vorgestellt.
Mit der Überwachung der Instandhaltung sowie der Verteidigung der Stadtmauer (S. 335–400) war jeweils ein Siebenergremium betraut. Die sept des murs überwachten den Gebäudezustand durch regelmäßige Visitationen. Sie waren einem spezialisierten Verwaltungsapparat übergeordnet, in dessen Kontext die gouverneurs des murs öffentliche Abgaben verwalteten, Einkünfte aus Verpachtung und Handel erwirtschafteten sowie die Arbeit auf den Baustellen koordinierten. Die Organisation der Wachdienste sowie die Gewährleistung der Verteidigungsbereitschaft im Kriegsfall oblag hingegen den sept de la guerre. Sie kontrollierten die Wachdienste der Bürger und inspizierten die städtischen Waffen- und Munitionslager. Ebenso verwalteten sie mit der Rekrutierung von Söldnern den höchsten Ausgabenposten der Stadt.
Zuletzt wird der Fortbestand der mittelalterlichen Maueranlage vom 16. bis ins 21. Jahrhundert behandelt (S. 401–438). Besondere Berücksichtigung findet in diesem Kontext zum einen die Belagerung durch die Truppen Karls V. im Jahr 1552, zum anderen die Integration der Mauern in den 1560/1561 begonnenen Bau der Zitadelle sowie in die Festungsbauten Vaubans und de Cormontaignes. Zuletzt werden die frühesten Restaurierungsarbeiten ab 1830 sowie die letzten Zerstörungen 1911 beschrieben.
Alle fünf Kapitel sind durchsetzt von insgesamt elf Exkursen (focus), die zur Wissensvertiefung – etwa zum Stauwehr von Wadrineau oder der Metzer »Chronique rimée« – einladen. Auf das Fazit folgt ein Anhang (S. 443–510) mit (1.) einem Inventar der mittelalterlichen Baustrukturen, (2.) Mitgliederlisten der oben genannten Verwaltungsgremien sowie (3.) den pièces justificatives, unter denen insbesondere die Edition bisher unveröffentlichter Protokolle der Mauervisitationen hervorzuheben ist. Hieran schließen ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Glossar, ein Orts- und Namensverzeichnis sowie Zusammenfassungen auf Französisch, Englisch und Deutsch an. Das Inhaltsverzeichnis behebt Unklarheiten aus dem Überblicksverzeichnis am Anfang des Buches (die Kapitel 3 und 4 tragen dort denselben Titel).
Hervorzuheben ist die immense Anzahl von 379 durchweg farbigen, qualitativ hochwertigen Abbildungen. Die Palette des verfügbaren Bildmaterials wird hierbei umfänglich ausgeschöpft: Sie reicht von historischen und modernen Zeichnungen und Karten über die Fotodokumentation von Bauarbeiten und archäologischen Ausgrabungen bis hin zu digitalen Rekonstruktionen.
Die Herausgeber werden ihrem eingangs zitierten Anspruch einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Themenstellung in interdisziplinärer Zusammenarbeit absolut gerecht. Das Werk bündelt erstmals ältere Forschungsergebnisse und ergänzt sie wesentlich um neue Erkenntnisse der Archäologie und Geschichtswissenschaften. Die kleinteilige Gliederung in Unterkapitel stellt keinen Nachteil dar, sondern macht das Werk in Verbindung mit dem Bildmaterial übersichtlich und zugänglich. Die Mitglieder von Historia Metensis liefern mit ihrer Studie über die Metzer Stadtmauer einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Moselmetropole, insbesondere für die noch wenig erforschten letzten 100 Jahre als Freier Stadt. Ihre Lektüre ist sowohl aus bau- als auch aus stadthistorischer Sicht ohne Einschränkungen zu empfehlen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Hanna Schäfer, Rezension von/compte rendu de: Julien Trapp, Mylène Didiot (dir.), Défendre Metz à la fin du Moyen Âge. Étude de l’enceinte urbaine, Nancy (Presses universitaires de Nancy – Éditions universitaires de Lorraine) 2017, 560 p., nbr. ill. (Archéologie, espaces, patrimoines), ISBN 978-2-8143-0332-4, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2018/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57413