Mike Rapport gehört zu den renommiertesten Revolutionsforschern der Neueren Geschichte im angelsächsischen Raum. In seinem neuen Buch untersucht er die Großstadt als politischen Kommunikations- und Aktionsraum am Beispiel von New York, London und Paris im Zeitraum von den 1760er Jahren bis zum Sturz Maximilien de Robespierres 1794. Grundlegend ist die Fragestellung, wie sich die politischen Gegner jeweils der Stadt bemächtigten, welche zentralen Gebäude umstritten waren, besetzt wurden, wie diese Auseinandersetzungen die Anhänger zu mobilisieren vermochten. Fokussiert werden weiter Bilderstürme, die Demolierung der Symbole der alten Herrschaft sowie die Schaffung neuer Symbole. Mittels Toponomastik (aus der Rue Saint-Honoré wurde die Rue de la Convention), revolutionärer Fahnen, sichtbarer politischer Parolen im öffentlichen Raum sollten politische Ideologien verbreitet und in das zeitgenössische Gedächtnis eingeschrieben werden.
Rapport zeigt, wie die Revolutionäre innerhalb der Städte Netzwerke aufbauten, die über die Nachbarschaft hinausgingen und so den öffentlichen Raum durchdrangen. In London organisierte der Radikale Thomas Hardy in Kneipen regelmäßige Treffen, um dort mit Handwerkern, Arbeitern und einzelnen Advokaten zu politisieren. In Paris sind es die berühmten Versammlungen in den Sektionen, in denen sich die politischen Meinungen bei permanenten Diskussionen bildeten und die viel dazu beitrugen, die Revolution zu radikalisieren und voranzutreiben.
Man wundert sich ein wenig über die Versuchsanordnung: Macht es Sinn, die Französische Revolution, die in einen brutalen Bürgerkrieg mündete, der zehntausende Franzosen das Leben kostete, mit der Unabhängigkeitsbewegung in New York und den zivilen politischen Aktionen in London vor 1800 zu vergleichen, wobei der Autor explizit darauf verzichtet, transatlantische Verbindungen und Netzwerke auszuleuchten? Dieser Themenzuschnitt dient der Thesenbildung: Warum ist die Französische Revolution in Paris aus dem Ruder gelaufen, und warum gelang es wiederum, genau dies in New York und London zu verhindern?
Rapport sieht in der Struktur der radikalsten und ärmsten Viertel von Paris einen wesentlichen Grund. Die Zusammensetzung von Nachbarschaften in den Stadtvierteln habe Paris zur militanten, revolutionären Stadt gemacht, so seine zugespitzte These. Sie hätten die Politik bei jeder politischen Krise angeheizt: Der Faubourg Saint-Antoine beim Sturm auf die Bastille, das Marktviertel Les Halles im Oktober, vom dem aus die gewaltbereiten Fischweiber den Zug nach Versailles organisierten, und schließlich der Distrikt der radikalen cordeliers (Quartier de la Monnaie) in jener Krise, die auf die Flucht des Königs folgte. Die spezifische Kombination von Topografie, Sozialstrukturen und politischem Aktivismus führte nach Rapport zu unterschiedlichen politischen Erfahrungen und prägte so die zeitgleichen Geschehnisse in London und Paris entscheidend.
Wirklich Neues erfährt man nicht in diesem Buch, aber die Lektüre ist sehr anregend. Rapport fokussiert die Stadt als Aktionsraum und nimmt den Leser förmlich an die Hand. Sein Buch basiert auf einer beeindruckenden Kenntnis von zeitgenössischen Memoiren, Reisebeschreibungen und Literatur. Sein Ziel ist es, die revolutionäre Atmosphäre zu vermitteln, und das gelingt ihm durchaus. Man sitzt förmlich mit Hardys Gesellen im »Bell« nach einem einfachen Essen, trinkt Bier in dicht verrauchter Luft und redet sich den Kopf heiß. Auch der Bericht über den Zug der Marktweiber nach Versailles bietet eine eindrückliche dichte Beschreibung.
Darüber hinaus zeigt Rapport am Beispiel Londons, dass hier die ungewöhnliche Dichte von Druckereien an der Achse von Saint Pauls Churchyard hinunter zur Fleet Street dazu beitrug, die politischen Diskurse zu beschleunigen. Als Thomas Paines Drucker Joseph Johnson den Pressionen der Regierung nachgab und sich nicht mehr traute, dessen radikaldemokratische Schrift »Rights of Man« zu drucken, wurde die Schrift von einem anderen Drucker in der Fleet Street veröffentlicht, den Paine bei einem Dinner bei Johnson kennengelernt hatte.
Rapport räumt ein, dass es eine Binsenweisheit sei, dass sich Aufstände, Revolten und kulturelle Transformationsprozesse, vom Untergang der alten Ordnung bis zur Etablierung einer neuen, in einem spezifischen Raum ereignen. Aber Rapport geht einen Schritt weiter, er macht die Stadt zum Teil dieses Prozesses. Allen voran für Paris werden die radikalen Veränderungen deutlich: die Umfunktionierung von Klöstern zu Gefängnissen und Jakobinerklubs, die Verwandlung der Kathedrale Notre-Dame in einen Tempel der Vernunft, der Kirche Sainte-Geneviève zum Panthéon als nationale Ruhmeshalle und Weihestätte. Während es einer breiteren Öffentlichkeit in Paris gelang, die politischen Proteste auf die Straßen zu tragen, wurde genau dies in London verhindert, sogar die Pubs wurden den Radikaldemokraten nach kurzer Zeit als Agitationsort versperrt. Rapport plädiert dafür, die historischen Orte als Teil der Geschichte zu begreifen. Sie können uns helfen, Geschichte besser zu verstehen. Das vorliegende Buch bietet eine gelungene Lektüre, um unseren Umgang mit Erinnerungsorten kritisch zu reflektieren.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Gabriele B. Clemens, Rezension von/compte rendu de: Mike Rapport, The Unruly City. Paris, London and New York in the Age of Revolution, New York (Basic Books) 2017, XXXIV–364 p., 16 p. ill., ISBN 978-0-465-02228-1, USD 32,00., in: Francia-Recensio 2018/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57471