Die Jahre nach der zweiten Türkenbelagerung Wiens 1683, die zur Rückgewinnung Ungarns, zweimal auch zur Eroberung Belgrads führten, werden gern als das »Heldenzeitalter« Österreichs beschrieben. Umso auffälliger und peinlicher ist es, dass sich gerade aus diesen Jahren – zum Unterschied vom doch so viel chaotischeren Dreißigjährigen Krieg – im Wiener Kriegsarchiv kaum »Alte Feldakten« erhalten haben, die irgendwann einmal verloren gegangen (oder »skartiert« worden) sein müssen. Die wesentlichen Eckpunkte dieser Feldzüge lassen sich deshalb aus den Regesten in den Registraturen des Hofkriegsrates nur mehr schemenhaft rekonstruieren. Umso wertvoller ist die vorliegende Edition eines detaillierten »Journals«, das ein enger Vertrauter und Mitarbeiter des kaiserlichen Schwagers und Oberkommandanten Herzog Karl V. von Lothringen angefertigt hat, vermutlich der Abbé Le Begue.

Das Journal ist kein Tagebuch, sondern eine – wenn auch vermutlich auf Grund früherer Notizen – verfasste Darstellung der sieben Feldzugsjahre von 1683 bis 1689, sechs davon im Osten, bis zur Eroberung Belgrads 1688, schließlich noch die Kampagne von 1689 am Rhein. Der Herzog, der mit seiner Frau Eleonore, der verwitweten polnischen Königin und Halbschwester Leopolds I., in der Innsbrucker Hofburg residierte, starb am 17. April 1690 auf der Reise nach Wien mit erst 47 Jahren überraschend in Wels. Die Biografie dieses exilierten Herzogs ohne Land, der 1675 Lothringen von seinem kampf- und lebenslustigen Onkel Karl IV. erbte, aber nie die Herrschaft antrat, weil er sich den restriktiven Bestimmungen des Nijmwegener Friedens 1678/1679 nicht beugen wollte, wird vom Herausgeber Ferenc Tóth, Historiker und Romanist, in einer Einleitung rekapituliert. Toth hat zusammen mit Philippe Roy zum Thema Türkenkriege in den letzten Jahren auch mehrere Beiträge geliefert.

Aus dem politisch-strategischen Blickwinkel sind am Journal vor allem die Hinweise auf die persönlichen Interventionen Kaiser Leopolds (der sich meist sehr aggressiv-ambitioniert zeigte!) und die Kriegsräte von Interesse, die diverse Alternativen abwogen – ein Aspekt, der zweifelsohne auch als Argumentationshilfe gedacht war, die Reputation des Herzogs gegen allfällige Kritik von unberufener Seite in Schutz zu nehmen. Damit in engem Zusammenhang stehen die Verweise auf die »Bündnisbeziehungen«, zählte zu den vornehmsten Aufgaben des Oberkommandanten doch das »Management« der Hilfstruppen aus dem Reich (»accoutume aux embaras et aux changements qui arrivent d’ordinaire dans les armees composees de plusieurs alliez«, S. 451).

Ein einziges Mal wird der Verdacht laut, die fränkischen Kreistruppen hätten im Herbst 1687 beim Feldzug gegen Siebenbürgen zurückgehalten, um ihre lutherischen Glaubensbrüder nicht in Bedrängnis zu bringen (S. 454). Bei der Beurteilung des polnischen Beitrags zum Feldzug 1683 kontrastiert der große Respekt vor der Person König Jan Sobieskis mit der sehr skeptischen Einschätzung der polnischen Würdenträger, welche die Armee begleiteten und immer wieder ihre Einwände gegen riskante Manöver vorbrachten (S. 292). Vor Mainz gelang es Karl 1689, den ursprünglich widerstrebenden bayerischen Kurfürsten zu einer Beteiligung an der Belagerung zu überreden. Dem Wahltag in Augsburg 1689/1690 stattete er wegen der zu erwartenden protokollarischen Schwierigkeiten freilich nur eine Stippvisite ab.

Ein vermutlich sogar noch größerer Quellenwert kommt der Schilderung der Kampfhandlungen in technisch-taktischer Beziehung zu, die sich neben der oftmaligen Aufzählung der Unterführer, ihrer Heldentaten und ihrer Verwundungen, vor allem den Details widmet, die oft als bekannt vorausgesetzt und deshalb übergangen werden. Besonders lehrreich fällt in dieser Beziehung die Schilderung der Belagerung von Ofen (Buda) 1686 aus, dem längsten Kapitel der Serie: So wird die Abfolge der Sturmtruppen (zuerst Grenadiere und Haiducken, die nach »türkischer Art« kämpften; dann Pikeniere und Hellebarden; dann erst die Füsiliere mit Feuerwaffen) genauso behandelt wie die diversen Alternativen für die Überwindung der Gräben. Die berüchtigte Plünderung der Stadt wird fein säuberlich in zwei Teile zerlegt: Den ersten Teil unmittelbar während des erfolgreichen Sturms, als die Befehlshaber dem Chaos noch zu steuern versuchten; der zweite nach der Kapitulation des Schlosses, als die Stadt offiziell zur Plünderung freigegeben wurde. Am nächsten Tag wurden dann 4 000 Leichen gezählt.

Im eigentümlichen Kontrast dazu steht das freundlich-fachmännische Gespräch des Herzogs mit dem gefangenen Janitscharen-Aga – auch der Autor zollte dem Geschick der Verteidiger übrigens ausdrücklich seinen Respekt. Mehrfach Erwähnung findet die osmanische Praxis, für besonders gefährliche Unternehmungen keineswegs auf Kadavergehorsam zu vertrauen, sondern mit Sonderdotationen Freiwillige anzuwerben: Bei den Janitscharen, die bei einem gescheiterten Versuch fielen, sich in das belagerte Ofen durchzuschlagen, fanden die Kaiserlichen je 30 Münzen und ein Schreiben, das ihnen darüber hinaus noch eine weitere Erfolgsprämie in Aussicht stellte. Übrigens lassen sich auch die oftmaligen Versuche der Osmanen, Friedensverhandlungen anzubahnen, auf Grund der Notizen gut nachvollziehen.

Bei Gefechten im freien Feld scheint sich die kaiserliche Armee damals in erster Linie auf ihre überlegene Feuerkraft verlassen zu haben. Trumpf waren somit alles andere als die Umfassungsmanöver oder Kavallerieattacken an den Flügeln, wie sie diverse Schlachten im Westen entschieden, sondern frontale Angriffe auf einem Terrain, das kein Ausweichen zuließ. Im freien Feld wird die ständige Präsenz von Schwärmen leichter Reiterei, eine »voisinage incommode« (S. 432), die alle Bewegung jenseits des Lagers gefährlich machte, hingegen ausdrücklich vermerkt.

Strategisch springt der systematische Zugang ins Auge, der bei der Reconquista Ungarns verfolgt wurde: Insbesondere die Absicht, vor oder nach der eigentlichen Feldzugssaison noch die eine oder andere Festung gleichsam »im Vorübergehen« einnehmen zu können. Zum Unterschied von der Belagerung Ofens erwiesen sich die Osmanen 1687/1688 kaum mehr als ernstzunehmende Gegner. Sie ergriffen am Berge Harsány (Schlacht bei Mohács) beim ersten Angriff die Flucht; räumten kurz darauf kampflos die Brücke von Esseg; Deserteure – die regelmäßig überliefen – berichteten von Meutereien. Die große »Retourkutsche«, die Wiedereroberung Belgrads 1690, nach Ausbruch des Krieges im Westen, erlebte der Herzog nicht mehr.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Lothar Höbelt, Rezension von/compte rendu de: Journal des campagnes du duc Charles V de Lorraine. Texte présenté et annoté par Ferenc Tóth, Paris (Honoré Champion) 2017, 622 p. (Bibliothèque d’études de l’Europe centrale, 20), ISBN 9782745346476, EUR 85,00., in: Francia-Recensio 2018/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57474