Endlich!, so möchte man ausrufen angesichts des Buches, das Jasper van Putten mit »Networked Nation« vorlegt. Der inzwischen am Massachusetts College of Art and Design in Boston lehrende Kunsthistoriker legte die Arbeit 2015 als Dissertation an der Harvard University vor. Mit dieser Studie wird einem der zentralen naturwissenschaftlichen Werke der Renaissance endlich auch von kunsthistorischer Seite die verdiente Aufmerksamkeit zuteil. Die Rede ist von den »Cosmographiae universalis libri VI«, einer Weltenbeschreibung mit enzyklopädischem Anspruch, die Sebastian Münster ab 1544 den Basler Druckerpressen überantwortete. Bis 1628 erfuhr allein die deutsche Fassung 27 Auflagen, was das Werk im frühneuzeitlichen Reich vielleicht zu dem meistgelesenen Buch nach der Bibel machte1.
Nach einem kurzen Abriss von Münsters intellektuellem Werdegang und den politischen Umständen seiner Zeit kommt Jasper van Putten in Kapitel 2 auf die besonderen Entstehungsbedingungen der »Cosmographia« zu sprechen. Um an möglichst detaillierte und aktuelle Informationen für seine Beschreibung insbesondere jenes Teils der Welt zu gelangen, den er der »Teutschen Nation« zuschreibt, spannte Münster ein beeindruckendes Netzwerk, über das er befreundete Gelehrte und Gleichgesinnte bewog, mit Texten und Bildern zum Gelingen seines Buchprojektes beizutragen. Wo die von Münster kontaktierten Humanisten solches nicht selbst zu leisten vermochten, sollten sie in seinem Namen Stadträte und Landesfürsten anregen, entsprechende Aufträge an lokale Künstler und Gelehrte zu erteilen sowie einen finanziellen Beitrag an die Druckkosten zu leisten. Die Bedeutung des von Münster erprobten kollaborativen Prinzips erschließt sich erst, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Wissenssysteme wie Wikipedia in ihrem Aufbau ähnlich konzipiert sind.
Es ist das besondere Verdienst van Puttens, dieses Netzwerk exemplarisch aus der erhaltenen Korrespondenz zu rekonstruieren und dabei auch den beiläufigeren Fragen – etwa jener nach dem Transport von Texten und Zeichnungen, die zumeist über die Messe in Frankfurt am Main nach Basel gelangten – die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Einem von ihm diagnostizierten Mangel bisheriger Forschung abhelfend (S. 7f.), arbeitet der Autor akribisch die Rollen der beteiligten Akteure und ihre jeweilige Einflussnahme auf das publizierte Endergebnis heraus: Mittelsmänner, Auftraggeber, Zeichner, Reißer, Holzschneider und Drucker. Ziel ist es nicht, die epochale Leistung Münsters als Spiritus rector und Garanten für die Qualität des Vorhabens zu schmälern. Vielmehr erfährt sie angesichts der Partikularinteressen der anderen involvierten Kräfte eine neue, vielschichtigere Wertschätzung.
Den Impetus zur »Cosmographia« Münsters gab – durchaus charakteristisch für den deutschen Humanismus – das Gefühl eines Defizits in der Wahrnehmung durch andere und in der Fähigkeit, sich selber zu präsentieren. Den landschaftlichen und städtischen Reichtum zu schildern und die deutschen Lande – entgegen der auf Tacitus’ »Germania« fußenden antiken Auffassung – als zivilisierte Region zu schildern, sei Münsters Ziel gewesen, woraus sich die zentrale Rolle der Stadtabbildungen für das Buch ergeben habe (S. 36)2.
Den auf die Kreation von Texten und Bildern über deutsche Städte und Herrschaften einwirkenden Sonderinteressen war sich Münster durchaus bewusst und vermochte sie für seine Absichten zu nutzen, wenn er in seinem Bittbrief an Albrecht von Mecklenburg zu bedenken gibt, dass die wohlgebaute und prosperierende Stadt Zeugnis von dem guten Regiment und der göttlichen Vorsehung ablege, auf der die fürstliche Herrschaft beruhe (S. 44–51). Ähnlichen und anderen Motiven, die Fürsten und Stadträte bewogen, Münsters Kompendium finanziell und materiell zu fördern, spürt van Putten in den Kapiteln 3 und 4 anhand verschiedener Beispiele nach, indem er den Blick seiner Untersuchung auch über den engen Entstehungsrahmen der »Cosmographia« hinaus weitet.
Jenseits der Bildelemente, die van Putten als identitätsstiftend für die »Teutsche Nation« ausmacht – dichte Wälder, breite Flüsse, Erzreichtum und den Rekurs auf große Figuren einer sakral-mythischen oder historischen Vergangenheit wie etwa Karl den Großen (S. 41) –, präpariert der Autor weitere Darstellungsstrukturen heraus, die ihm eine methodische Untergliederung der Illustration der »Cosmographia« erlauben. Neben den economic views und civic views, die Besonderheiten der städtischen Wirtschaft beziehungsweise den Wunsch nach Egalität der Bürgergemeinschaft in den Reichsstädten betonen, stellt van Putten in Kapitel 5 am Beispiel Heidelbergs die politischen Implikationen sogenannter ancestral views vor. Die entsprechende Abbildung hatte der Pfalzgraf bei Rhein-Neuburg, Ottheinrich, in Auftrag gegeben, der mit Bild, Beitext und einer Stammtafel der Wittelsbacher seinen dynastischen Anspruch auf die Hauptstadt der Kurpfalz unterstreicht, die zu jener Zeit in der Hand seines Onkels Friedrich II. war (S. 154–162).
Wie ein Ausblick auf die darauffolgende Produktionsgeschichte der »Cosmographia« und die Weiterentwicklung der Sparte von Städtebüchern im 17. Jahrhundert plausibel macht (Kap. 7), lähmten Qualität und Erfolg der Münsterschen Stadtbilder die künstlerische Kreativität und mäzenatische Aktivität auf diesem Feld bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs. In den Nachschnitten und Kopien wurden politische, soziale oder wirtschaftliche Konnotationen von der Mitte des 16. Jahrhunderts konserviert, die mit der Gegenwart der letzten Auflage von 1628 nichts mehr gemein hatten (S. 262f.).
Während van Putten die Entstehungsbedingungen einzelner Stadtbilder, die Motive der Auftraggeber und Leistungen der Zeichner – teilweise unter Zuhilfenahme von Satellitenaufnahmen – in vorbildlicher Weise analysiert und plausibel präsentiert, fällt es dem Rezensenten nicht ganz so leicht, der Grundthese seiner Untersuchung gleichfalls Glauben zu schenken. Ihren Ausgang nimmt die vorliegende Studie von der Fragestellung, ob Patrone, humanistische Vermittler wie Künstler in ihren Bildbeiträgen nur einem Lokalpatriotismus huldigten, oder – zumal in den Stadtbildern – die ikonographischen Versatzstücke einer deutschen Identität hervorbrachten (S. 9f.).
Die Bejahung der zweiten Annahme verkompliziert sich in der Kombination mit der anschließenden Hypothese, wonach die in eidgenössischen Städten ansässigen Reisser und Holzschneider den von Ihnen geschaffenen Stadtabbildungen hingegen eine spezifisch helvetische Bedeutungsnuance hinzufügten (S. 42). Van Puttens Frage nach einer protonationalen Repräsentation der deutschsprachigen Städtelandschaft basiert auf einer unausgesprochenen zweifachen Prämisse: Nämlich dass die eidgenössischen Stände bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine gemeinsame und einheitliche Identität entwickelt hätten und dass sich diese Selbstbild von einer Reichszugehörigkeit losgelöst habe, wohingegen die Identität der »Teutschen Nation«, wenigstens im Verständnis Münsters, noch auf einem integrativeren Prinzip fußte.
Den Ausführungen zu einem Deutschland ante litteram, das van Putten in Bezug auf die Reichsstrukturen und den habsburgischen Herrschaftsbereich unter Karl V. entwirft, und zur Loslösung der Eidgenossenschaft vom Reich ist anzumerken, wie schwer sich der Autor mit dieser zugegebenermaßen komplexen Materie tat (S. 26–28). Man würde sich wünschen, er hätte die deutschsprachige Literatur dazu ausführlicher zu Rate gezogen3. Denn dass der Schweizer- oder Schwabenkrieg 1499 mit einer Abspaltung der Eidgenossenschaft vom Reich gleichgesetzt werden darf, hat die Forschung längst widerlegt4. Darüber hinaus blieben gerade geistliche Herren der Eidgenossenschaft wie der Fürstbischof von Basel oder die Fürstabtei St. Gallen noch bis ins 18. Jahrhundert in die Reichskreisordnung eingebunden. Dass ein Künstler wie Hans Rudolf Manuel das Bild seiner Vaterstadt Bern dem Andenken seines (gesamteidgenössisch verstandenen) Vaterlandes gewidmet haben soll (S. 186), ist eine Setzung des Autors, die sich selbst mit Hinweisen auf Manuels Bearbeitung von Motiven der eidgenössischen Gründungssaga nicht schlüssig untermauern lässt.
Diese Einwände schmälern das Verdienst des Autors indes nur geringfügig. Seine vielleicht etwas gar steile These hat den Vorteil, eine neuartige und in vielerlei Hinsicht fruchtbare Sicht auf das epochale Werk Münsters und seiner Zulieferer zu eröffnen. Seine brillanten Bildanalysen, die von einem mustergültigen Umgang mit den zitierten Schriften – durchgängig im originalen Wortlaut und einer englischen Übersetzung – gestützt werden, sind beachtenswert. Ein stattlicher Anhang inklusive einer Wiedergabe aller Titeltexte zu den Stadtbildern rundet das Buch ab. Ein Lob gebührt auch dem Verlag, der den Band in vorzüglicher Qualität illustriert hat. Besser hätte man Münsters »Cosmographia« nicht gerecht werden können.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Thomas Manetsch, Rezension von/compte rendu de: Jasper van Putten, Networked Nation. Mapping German Cities in Sebastian Münster’s »Cosmographia«, Leiden (Brill Academic Publishers) 2018, XXIV–353 p., 120 ill., 7 tabl. (Maps, Spaces, Cultures, 1), ISBN 978-90-04-33599-8, EUR 135,00., in: Francia-Recensio 2018/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57475