Dieses spannende Buch zeigt, auf welche Weise Zucker die französischen Ernährungsgewohnheiten im Frankreich des 18. Jahrhunderts veränderte, zumal »das weiße Gold« in den letzten Dekaden des Jahrhunderts ein zusehend erschwingliches Produkt geworden war. Der vor diesem Hintergrund stattfindende ökonomische, soziale und kulturelle Wandel war von einem insgesamt steigenden Zuckerkonsum, nicht nur in Frankreich, geprägt. Allerdings vermochte Frankreich den europäischen Markt nicht zu erobern. Aber war das denn die Absicht des Königreichs?

Zucker war über Jahrhunderte lang ein ausgesprochenes Luxusprodukt. Noch im 17. Jahrhundert wurde das »weiße Gold« etwa in Wien nur in der Apotheke vertrieben, selbstverständlich zu Apothekerpreisen. Wenn es aber um Produktion und Redistribution von Kolonialwaren geht, bedient sich die Wirtschaftsgeschichte der Ernährung selten eines Standardnarrativs. Demzufolge geht der steigende Zuckerkonsum mit der Industrialisierung einher, die von England ausging. Vor mehr als dreißig Jahren wies Sidney Mintz mit seinem bahnbrechenden Buch »Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers« das Augenmerk in diese Richtung. Obwohl die karibischen Besitzungen des französischen Königreichs, des Großteil des heutigen Haitis, die ergiebigsten Zuckerlieferanten Europas waren, kommt Frankreich in der globalen Zuckergeschichte so gut wie nicht vor. Das ändert sich mit dieser Studie, welche als akribische Dissertation verfasst ist. Trotz oder gerade wegen dieses Umstands ist das vorliegende Werk nicht nur für Fachleute so ergiebig.

Geografisch legt die Autorin ihr Hauptaugenmerk auf das Loiretal, Nantes, den zweitwichtigsten Kolonialhafen des Königreichs, und Orléans, das erste Raffineriezentrum Frankreichs. Obwohl noch 1775 mehr Zucker aus der Karibik nach Bordeaux gelangte als nach Nantes, konzentriert sich die Autorin auf die Einfuhr von Zuckermelasse aus Saint-Dominique nach Nantes.

Allerdings, und dies ist die Hauptaussage, versuchte es die französische Zuckerproduktion mit ihren neuen Raffinerien gar nicht, den europäischen Markt zu erreichen. Die Selbstversorgung mit dem wertvollsten und besten Konservierungsprodukt der damaligen Zeit lag im eigentlichen Interesse Frankreichs. Dies ist nur all zu gut verständlich, denn im 18. Jahrhundert setzte jene Agrarrevolution ein, die zu einer massiven Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion an sich führte. Somit kam der steigenden Verfügbarkeit von Frischprodukten, die mit Zucker konserviert Mehrwert abwerfen, eine wichtigere Bedeutung zu. In all den Jahrhunderten zuvor versorgte sich eine fast ausschließlich agrarische Gesellschaft selbst aus der jeweiligen Region. In den Ballungsräumen der frühen Industrialisierung und in den wachsenden Städten hingegen mussten die Lebensmittel erst transportiert werden. Dabei war jede Form der Haltbarmachung und damit der Verlängerung der Lagerfähigkeit willkommen. Das Ziel, die Nachfrage von Lebensmitteln rund um das Jahr zu gewährleisten, entstand also wesentlich früher als gemeinhin angenommen. Dieser Umstand spielte mit Ende des 18. Jahrhunderts dem Zucker als zukünftiges Massenkonsumprodukt in die Hand.

Der erste Teil des Buchs widmet sich dem Entstehen des Zuckerhandels. Dabei streicht die Autorin die Einflussnahme des absolutistischen Staats auf den Redistributionssektor heraus. Im zweiten Teil der Studie verfolgen wir die tragende Rolle der Zuckerhändler, die nebenbei und mit Unterstützung des Staats dafür sorgten, Spezialisten ins Land zu holen. Diese halfen, inländische Raffinerien aufzubauen. Erstaunlicherweise überschwemmte der französische Zucker nicht den europäischen Markt, auf dem England praktisch die alleinige Marktführung innehatte. Die französischen Raffinerien bedienten ausschließlich die interne Nachfrage.

Erst im dritten Teil lenkt die Autorin ihr Augenmerk auf den Zuckerkonsum. Offensichtlich stieg der Bedarf an Zucker stetig an. Die Frage, ob Zucker, wie in England, schon Ende des 18. Jahrhunderts auch in Frankreich schon ein Massenkonsumartikel war, bleibt unbeantwortet. Möglicherweise liegt es daran, dass der Arbeiterschaft im Frankreich vor der Revolution einfach nicht die gleiche, zentrale Rolle zukam wie in England, wo die Industrialisierung bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingesetzt hatte.

Die Historikerin Maud Villeret, Doktorin an der Universität Bordeaux-Montaige (Bordeaux III), überzeugt mit dieser Studie nicht nur Ernährungs-, sondern bestimmt auch Wirtschaftshistoriker und -historikerinnen. Erfreulicherweise lenkt sie ihr Interesse am »weißen Gold« nicht ausschließlich auf Frankreich, sondern bemüht sich immer wieder um eine europäische Perspektive. Das erfolgreiche Ergebnis der französischen Zuckerpolitik folgte 1807. Im Gegensatz zu Deutschland konnte sich Napoleon es leisten, die britischen Importe nach Europa zu boykottieren. Die Kontinentalsperre traf das sich auch mit transatlantischen Produkten selbstversorgende Frankreich nicht. Deutschland hingegen war von den Zuckerimporten aus der Karibik abgeschnitten und musste deshalb im 19. Jahrhundert mühevoll den Weg der Entwicklung der Zuckerrübe zurücklegen, bevor es wirtschaftlich wieder an die Großmächte England und Frankreich anschließen konnte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Martina Kaller, Rezension von/compte rendu de: Maud Villeret, Le goût de l’or blanc. Le sucre en France au XVIIIe siècle. Préface de Natacha Coquery, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2017, 398 p. (Tables des hommes), ISBN 978-2-7535-5667-6, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2018/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57476