In einer Zeit, in der die französische Gesellschaft extrem fragmentiert ist und die Kandidatin des Front National bei den Präsidentschaftswahlen 2017 in den zweiten Wahlgang gelangte und offen die Machtfrage stellte, ist es zweifellos von besonderer Relevanz, sich erneut eingehend mit der Geschichte des französischen Rechtsextremismus zu beschäftigen. Die Action française als eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste Organisation der französischen extremen Rechten im 20. Jahrhundert kann hier sicherlich ein besonderes Interesse beanspruchen. Laurent Joly hat seine Habilitationsschrift der Entstehung der Action française gewidmet; sie wurde im Januar 2015 verteidigt und ist im selben Jahr als Buch erschienen.
In der Einleitung weist er auf die besondere Bedeutung der Organisation hin, die über eine Zeitung gleichen Namens ihre Ideen verbreitete, sowie auf die Verbindungen zwischen der Action française und führenden französischen Rechtsextremen wie Jean-Louis Tixier-Vignancour und Jean-Marie Le Pen. Letzterer war unter anderem für den Vertrieb der von der Action française herausgegebenen Wochenzeitschrift »Aspects de la France« zuständig, bevor er zur führenden Figur des 1972 gegründeten »Front national« aufsteigen konnte.
Nach der Einleitung, die in den Forschungsstand und in die offenen Forschungsfragen zur Geschichte der Action française einführt, folgen zwei große Kapitel mit den Titeln »L’impasse du nationalisme césarien, 1898–1900« (S. 43–152) und »Charles Maurras et la conquête royaliste de l’Action française« (S. 164–292). Diese beiden Kapitel werden verbunden durch ein Kapitel, das sich mit Maurice Barrès und der »Action française« im Jahr 1900 auseinandersetzt. Die Arbeit schließt mit einem Epilog über Charles Maurras und einer Schlussbetrachtung. Eine umfangreiche und aufgrund ihrer Vielfalt beeindruckende Bibliographie sowie ein Namensregister runden das Werk ab.
Der Verfasser weist mit Recht darauf hin, dass sich die Forschung zur Geschichte der Action française vor allem auf die führende Persönlichkeit Charles Maurras und seine Rolle als Theoretiker des integralen Nationalismus konzentriert habe. Er wählt einen anderen Blickwinkel und möchte die Scharnierfunktion der Organisation im Übergang von einer traditionellen, katholisch geprägten extremen Rechten des 19. Jahrhunderts hin zur extremen Rechten des 20. Jahrhunderts hervorheben, die sich als »revolutionäre Rechte« manifestierte.
Die besondere Rolle der Dreyfus-Affäre als Katalysator für diese Entwicklungen in einem Kontext verschärfter politischer Spannungen in Frankreich und einer tiefgreifenden Spaltung der französischen Gesellschaft wird ebenso herausgearbeitet wie die Bedeutung früherer Bewegungen und Strömungen wie etwa des Boulangismus, des Nationalismus eines Paul Déroulède oder die breit rezipierten antisemitischen Veröffentlichungen Édouard Drumonts (»La France juive«, die Zeitschrift »La Libre Parole«).
Anstatt erneut auf die führende Rolle von Charles Maurras einzugehen, werden weitere wichtige Protagonisten wie Henri Vaugeois und Maurice Pujo untersucht. Hierbei gefällt besonders, wie der Autor Frustrationen als Grund für das Abgleiten in den Rechtsextremismus thematisiert. Die Entwicklung von Henri Vaugeois, der letztendlich daran scheiterte, den Platz in der Politik bzw. im Wissenschaftsbetrieb einzunehmen, den er für sich beanspruchte, verdeutlicht diesen Bruch mit einem aus seiner Sicht von Juden und Protestanten dominierten System und die zunehmende Radikalisierung und Orientierung an den Ideen der extremen Rechten. Der Verfasser weist außerdem auf die unauflösliche Verbindung von extremem Nationalismus, Antisemitismus, anglophoben und deutschfeindlichen Einstellungen sowie Antiprotestantismus im Denken der französischen extremen Rechten hin, was auch in unserer Zeit immer wieder in Äußerungen von Politikern des Front national (bzw. inzwischen: Rassemblement national) eine Rolle spielt.
Sehr problematische Aussagen, sei es zu den Deportationen und zum rafle du Vel d’Hiv, oder die Nennung der Reformation in Frankreich und der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg in einem Atemzug, belegen zudem, dass in der Partei diese Traditionsbestände trotz aller Versuche der »Entdämonisierung« keineswegs überwunden wurden seitdem Marine Le Pen das Ruder übernommen hat und unter Florian Philippot stärker soziale Fragen in den Blick genommen wurden. Sie sind nach wie präsent und wirkungsmächtig. Auch der häufige Rückgriff auf das Stereotyp des bei Rothschild beschäftigten, kalt, emotionslos und ausschließlich profitorientiert handelnden Bankiers, mit dem Emmanuel Macron im Präsidentschaftswahlkampf verunglimpft werden sollte, verweist auf die Aktualität eines antisemitisch konnotierten Antikapitalismus in der Partei.
Diese antisemitischen Stereotype verfügen über eine hohe Langlebigkeit und Virulenz und sind zudem nicht auf die extreme Rechte beschränkt. Sie reichen bis weit vor das 19. Jahrhundert und seine Kritik an der modernen, »jüdischen« Geldwirtschaft zurück und wurden auch von der Action française unaufhörlich bemüht. Ihre erhebliche Resonanz in der Gesellschaft erklärt sich aus den Überlappungen antisemitischer Stereotype auf der extremen Rechten und Teilen der extremen Linken und verweist auf das Fortleben von katholisch geprägten Einstellungen zu Geld, Kapitalismus und Reichtum in einer laizistischen französischen Gesellschaft.
Abschließend bleibt noch festhalten, dass Laurent Joly eine sehr wichtige Untersuchung auf einer beeindruckenden Quellengrundlage vorgelegt hat. Neben den klassischen Beständen im französischen Nationalarchiv und dem Archiv der Préfecture de police von Paris hat der Autor auch auf entlegenere Quellen wie den Nachlass von Joachim Gasquet in Aix-en-Provence oder das Familienarchiv Pujo zurückgreifen können. Auch die herangezogenen gedruckten Quellen sowie die ausgewertete Sekundärliteratur nötigen Respekt gegenüber der Forschungsleistung des Autors ab.
Die Studie ist ausgesprochen gut geschrieben und zeichnet neben der Bedeutung weiterer führender Nationalisten der Jahrhundertwende (wie etwa Maurice Barrès) und ihren Verbindungen zur Action française sehr gut nach, wie diese als »Laboratorium des Nationalismus« am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert zum Scharnier zwischen der älteren, katholischen und monarchistischen extremen Rechten einerseits und einer modernen, ultranationalistischen, xenophoben und nicht mehr zwingend an den Katholizismus gebundenen extremen Rechten des 20. Jahrhunderts andererseits werden konnte.
Die Studie ist auch in methodischer Hinsicht sehr anregend, verknüpft sie doch die Geschichte politischer Ideen mit sozialgeschichtlichen Fragestellungen, um die politische Entwicklung der Protagonisten und ihre Radikalität zu erklären. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Buch eine breite Leserschaft findet und außerdem zu zukünftigen Forschungen anregt, die die zahlreichen in der Studie enthaltenen Impulse aufgreifen und weiterentwickeln.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Oliver Schulz, Rezension von/compte rendu de: Laurent Joly, Naissance de l’Action française. Maurice Barrès, Charles Maurras et l’extrême droite nationaliste au tournant du XXe siècle, Paris (Grasset) 2015, 377 p., ISBN 978-2-246-81160-2, EUR 23,00., in: Francia-Recensio 2018/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57561