Zwischen den 1980er und 2000er Jahren erschien eine Reihe grundlegender Arbeiten zum deutschen Musikleben während des Nationalsozialismus, der in jüngster Zeit immer wieder einschlägige Beiträge nachfolgten1. In Fortsetzung dieser Linie legt nun die Musikwissenschaftlerin Élise Petit eine aus ihrer Dissertation von 2012 hervorgegangene Studie zur Musikpolitik in Deutschland zwischen 1933 und 1949 vor. Angesichts der fruchtbaren Annäherung zwischen Musik- und Geschichtswissenschaften ist sie auch historisch beheimateten Lesern problemlos zugänglich.

In Bezug auf ihr Zielpublikum lässt sich das Buch in zwei Richtungen lesen: einerseits als Überblicksdarstellung und gleichsam »Übersetzungsleistung« für ein französischsprachiges Publikum, das mit dem Thema und vor allem der reichhaltigen deutsch- und englischsprachigen Forschungsliteratur nicht unbedingt vertraut ist; andererseits als empirische Studie zum Verhältnis von Musik und Politik im 20. Jahrhundert, innerhalb derer das Buch sich vor allem durch seine Perspektive über die traditionelle Zäsur 1945 hinaus profilieren will. Da die Autorin diesbezüglich unentschlossen bleibt, das Buch aber in einer einschlägigen Reihe bei einem Universitätsverlag erschienen ist, folgt diese Rezension eher der forschungsorientierten Lesart.

In der bisherigen Forschung zum deutschen Musikleben beobachtet Élise Petit eine Tendenz zu politischen Periodisierungen, die sich meist auf ein politisches Regime beschränken. Erscheint es somit einleuchtend, den Einschnitt 1945 schon aufgrund augenfälliger Kontinuitäten im deutschen Musikleben auf institutioneller wie personeller Ebene zu relativieren, greift die Autorin weiter aus und möchte strukturelle Analogien zwischen der Musikpolitik der Nationalsozialisten und der vier Besatzungsmächte sichtbar machen. Nicht zuletzt, weil sie dabei die Musikpolitik in besetzten und annektierten Gebieten während des Zweiten Weltkrieges ausblendet, basiert ihre Doppelperspektive indes maßgeblich auf einem Vergleich der Zeiträume von 1933 bis 1939 und 1945 bis 1949.

Die Untersuchung der regimeübergreifenden Analogien, die das Kernargument ihres Buches bildet, fußt auf drei Kategorien: der »Reinheit« des Musiklebens (pureté), seiner Verwurzelung im »Volk« (peuple) sowie der Vorstellung eines »Bruchs« (rupture) mit der jeweiligen Vorgängerphase. Dass hinter der Analogiethese das komplexe Problem des deutschen Regimevergleichs steht – nicht nur in Bezug auf den Nationalsozialismus und die SBZ, sondern auch auf die westlichen Besatzungsmächte –, markiert zugleich den Erklärungsanspruch. Angesichts der langen und kontroversen Debatte um die Voraussetzungen und Implikationen des Diktaturvergleichs – angefangen bei Hannah Arendts hier nur zu Beginn des Fazits gestreifter »Totalitarismustheorie«2 (S. 345) – wie auch durch den vergleichenden Fokus auf alle vier Besatzungszonen weckt die Studie hohe methodische Erwartungen. Sie muss sich zudem an dem Anspruch messen lassen, die postulierten musikpolitischen Parallelen zur NS-Zeit im Handeln der Besatzungsmächte als Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus aufzeigen zu können. Beide Erwartungen kann die Autorin jedoch nicht einlösen.

Symptomatisch dafür sind vier Probleme; kleinere inhaltliche Ungenauigkeiten fallen demgegenüber ab: Das Buch bleibt erstens einen konturierten Politikbegriff in Bezug auf das Verhältnis von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, von Ideologien, Praktiken und Deutungen, von Innen- und Außenperspektiven schuldig. In der Darstellung dominiert eine »enge«, auf den NS-Staat und seine Institutionen wie die Reichsmusikkammer und das Propagandaministerium bezogene Perspektive, die stark zentralistisch angelegt ist und einen Blick von oben privilegiert. Daneben bezieht Petit zwar kursorisch Musikwissenschaftler, Journalisten oder Musiker mit ein, ohne die sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihren methodischen Ansatz weiter zu diskutieren. Positiv hervorzuheben ist hingegen ein genreübergreifender Blick über klassische Musik hinaus, der auch den Jazz, Unterhaltungs- und Volksmusik mit einbezieht.

Gerade aber die zeitgenössischen Debatten um das Verhältnis von Musik und Volk erfordern, zweitens, eine intensive semantische Auseinandersetzung mit den jeweiligen Konzepten, ihren deutschen wie auch französischen wissenschaftlichen Traditionen, die jedoch wie auch im Falle der Kategorien »Reinheit« oder »Nation“ weitgehend unterbleibt oder oberflächlich ausfällt. Zudem wird rasch deutlich, dass Petits im Kern innovative Perspektive über 1945 hinaus beziehungsweise vor 1945 zurück kaum längerfristige Entwicklungslinien des Musiklebens berücksichtigt. Das gilt, gerade mit Blick auf den Volksbegriff: für im weitesten Sinne musikpädagogische Initiativen in der Zeit des Kaiserreichs, vor allem aber der Weimarer Republik (Volkskonzerte, Volkstheater); ferner für die vielschichtige Rolle von Musik in nationalen Identitätsentwürfen; aber auch hinsichtlich der augenscheinlichen Kontinuitäten musikalischer Institutionen und Praktiken.

Trotz musikalischer, institutioneller und pädagogischer Innovationen – so im Bereich der »Neuen« oder »zeitgenössischen« Musik nach 1918 oder 1945 – bildet im Bereich der klassischen Musik die Dominanz des klassisch-romantischen Repertoires des langen 19. Jahrhunderts weiter einen Maßstab für die Reichweite der musikpolitischen Veränderungen nach Regimewechseln. Nicht alle Aneignungen von Musik, die sich auf das Volk beriefen, beinhalteten daher dezidiert nationalsozialistische Ideologeme.

Drittens werden die Erkenntnisse der großenteils deutsch- und englischsprachigen Forschungsliteratur in den einzelnen Kapiteln nur sparsam dokumentiert. Argumentative Auseinandersetzungen unterbleiben faktisch; die Bibliografie weist substanzielle Lücken auf. Um nur einige Beispiele zu nennen: David Dennis’ Langzeitstudie zu »Beethoven and German Politics« oder Sven Oliver Müllers und Udo Bermbachs Arbeiten zu Richard Wagner hätten für die Frage der langfristigen Kontinuitäten politischer Deutungsmuster Orientierung geboten3. Pamela Potters Überlegungen zur Kategorisierung »nationalsozialistischer« Musik hätten, gerade in der Perspektive über 1945 hinweg, flexiblere Interpretationsangebote für das Verhältnis von musikalischen Kontinuitäten und Brucherfahrungen bereitgehalten4.

Matthias Pasdziernys wegweisende Studie zur Rückkehr emigrierter Musiker nach Westdeutschland lädt dazu ein, das Verhältnis von musikpolitischer Programmatik und Praktiken noch einmal neu zu gewichten5. Neil Gregor hat am Beispiel der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele langfristige autoritäre Kontinuitäten festgemacht, die Reeducation-Absichten konterkarierten, ohne allerdings die NS-Musikpolitik zu imitieren, wie Petit nahelegt6. Noch problematischer ist, dass Petit die einschlägigen Studien zur Musikpolitik der Besatzungsmächte zwar zur Kenntnis nimmt, sie aber für ihre gesamtdeutsche Perspektive als wenig relevant einstuft7. Dies führt etwa im Kapitel 5 dazu, dass sie René Thimmoniers Programm zur Reorganisation des Musiklebens in der französischen Besatzungszone aus den Quellen heraus beschreibt, Andreas Linsenmanns 2010 erschienene Dissertation zum Thema nur kursorisch, seinen 2012 publizierten Aufsatz zum selben Quellenbestand indes gar nicht erwähnt8.

Viertens bieten auch Élise Petits Quellenstudien empirisch wenig Neues. Die herangezogenen Archivbestände sind zu erheblichen Teilen bereits andernorts ausgewertet worden und liefern eher illustrative Ergänzungen zum bisherigen Kenntnisstand der internationalen Forschung. Die Auswertung der Presse findet zu wenig systematischen Eingang in die Darstellung. Auch in ihren Beispielen und Fallstudien präsentiert die Autorin häufig Bekanntes.

Die sechs Kapitel des Buches folgen den drei Großkategorien »pureté«, »peuple« und »rupture«, jeweils für den Nationalsozialismus und die Besatzungszeit, sodass sich daraus zwei spiegelbildliche Teile ergeben. Die Kapitel und teilweise auch Unterkapitel beginnen mit weit ausgreifenden historischen Kontextualisierungen, die Handbuchcharakter annehmen oder sich in lange Exkurse auswachsen. Sollte die Motivation gewesen sein, ein nicht spezialisiertes Publikum an den Gegenstand heranzuführen, so ist zu fragen, warum sich die Einleitungen vom Thema Musik teils weit entfernen oder in Schieflage zur eigentlichen Analyse geraten. So folgen im Unterkapitel zu Jugendorganisationen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) auf sieben Seiten Hinführung ganze zwei Seiten Darstellung der Pioniergesänge. Die fachnähere Leserschaft wird diesen eher sach- als problemgeschichtlichen Überblicken wenig Neues entnehmen.

Das erste Kapitel zu den musikalischen Säuberungen im Nationalsozialismus behandelt Exklusionspraktiken am Beispiel der Kategorie der »Entarteten Musik« (und der Düsseldorfer Ausstellung 1938), die deutlich macht, wie das nationalsozialistische Musikverständnis sich als gleichzeitig antimodern (gegenüber der Weimarer Republik), antisemitisch, antikommunistisch und antiamerikanisch gerierte und diesen Abgrenzungen sodann ein »germanisches« Traditionsverständnis gegenüberstellte, für das nicht zuletzt Richard Wagner instrumentalisiert wurde. Gleichwohl stellte sich dieser Exklusionsprozess nicht immer so geradlinig dar, wie ihn Élise Petit schildert: Mendelssohns Schauspielmusik zu Shakespeares »Sommernachtstraum« wurde im Theater zwar verboten (S. 36), aber immerhin noch im Februar 1934 dirigierte Wilhelm Furtwängler Auszüge daraus in der Berliner Philharmonie. Einen interessanten Aspekt bildet die »Arisierung« von Libretti, für die Petit neben den bekannten Fällen von Hermann Levis Mozart-Übersetzungen einige radikale Nazifizierungen von Oratorientexten präsentiert.

Kapitel zwei zum Verhältnis von Musik und »Volksgemeinschaft« widmet sich nach einer ideologiegeschichtlichen Einführung der »Gleichschaltung« des Musikbetriebs, insbesondere in Bezug auf die Reichsmusikkammer, wobei der Zusammenhang zur Kategorie »peuple« wenig zwingend erscheint. Ein zweiter Schwerpunkt widmet sich der Nazifizierung verschiedener musikalischer Genres von der Oper bis zum Schlager. Auch hier liest sich die Zusammenschau gewinnbringender als die meist bekannten Einzelfälle. Im Abschnitt zu den Volksliedern würden die eigensinnigen Aneignungen des nazifizierten Kanons in den NS-Jugendorganisationen, etwa beim elsässischen Maler Tomi (und nicht Toni!) Ungerer (S. 119f.), zu einem noch stärkeren Blick »von unten« einladen.

Das heterogene dritte Kapitel geht einmal mehr den Ambivalenzen und Paradoxien einer in der Umsetzung wenig kohärenten NS-Musikpolitik nach. Das bekannte Kompetenzgerangel zwischen Reichsmusikkammer, Propagandaministerium und Auswärtigem Amt kommt dabei ebenso zur Sprache wie die fehlende »lisibilité« (S. 136) in ästhetischer Hinsicht. Überraschenderweise, jedoch ohne Anbindung an die einschlägige Literatur, vollzieht die Autorin dann einen Perspektivwechsel auf die Konflikte zwischen dem Regime und seinen musikalischen Repräsentanten wie Paul Hindemith, Wilhelm Furtwängler, Richard Strauss, Hans Pfitzner oder Carl Orff. Neue Aspekte treten dabei nicht zutage. Ein weiteres Schlaglicht auf den Jüdischen Kulturbund schließt Élise Petit mit der diskussionswürdigen, jedoch nicht näher ausgeführten These, dass dessen Duldung durch das NS-Regime letztlich zur Desorientierung jüdischer Künstler beigetragen habe, die, statt zu emigrieren, durch die fortwährende Gelegenheit zu beschränkter Betätigung in Deutschland letztlich in die Falle des Holocaust geraten seien (S. 157). Ein Exkurs zum KZ-System verweist auf das derzeitige Projekt der Autorin zu Musik in den Konzentrationslagern, läuft innerhalb dieses Buches jedoch ins Leere. Eine Erläuterung wert wäre in diesem Zusammenhang auch das Titelbild »Wagner« des polnischstämmigen, 1939 in die USA emigrierten Illustrators und Karikaturisten Arthur Szyk gewesen.

Mit dem vierten Kapitel beginnt nach einer fünfzehnseitigen Einleitung zur alliierten Deutschlandpolitik der zweite Durchgang durch Élise Petits Untersuchungskategorien mit Konzepten und Institutionen für den Neuaufbau des kulturellen Lebens. Ihre Umschau betritt im Lichte der Forschung keineswegs Neuland. Das große Problem dieses Kapitels, und pars pro toto des Buches, ist jedoch ihre mit einem Zitat aus Hitlers »Mein Kampf« über die »Taktik des Marxismus« [!] eingeleitete Vergleichsthese zur »purification« in der Nachkriegszeit: »Um ›gegen Giftgas mit Giftgas zu kämpfen‹, reproduzierten die Alliierten unfreiwillig Techniken, die das Hitler-Regime selbst eingeführt hat, und die Deutschen wurden zu Machtobjekten« (S. 197)9. Abgesehen von der ebenso fragwürdigen wie thematisch verfehlten Referenz entgleiten Petit hier die Vergleichskategorien, weil sie ihre Analysebegriffe nicht semantisch hinterfragt beziehungsweise konzeptionell schärft und die Reichweite beziehungsweise die Grenzen ihres Vergleichs nicht reflektiert.

Nicht nur, dass hier eine tiefer gehende Differenzierung zwischen den Politiken der verschiedenen Besatzungsmächte gegenüber dem Nationalsozialismus, aber auch untereinander und jenseits des Bereiches der Musik für einen solchen Vergleich unabdingbar wäre, auch ihre zugrunde gelegten Kriterien expliziert Petit nicht: Handelte es sich um eine Reproduktion auf der Ebene der musikpolitischen Intentionen oder der Exklusionspraxis? Von der Schieflage zwischen der »autoritären« Denazifizierungs- und Reeducation-Politik und dem antisemitischen Rassismus des Nationalsozialismus ganz zu schweigen. Zudem führt Petits These ihre Kategorie der »purification« letztlich ad absurdum: Wie die in Kapitel drei skizzierten Künstlerkarrieren zeigen, steht der postulierten Kontinuität von nationalsozialistischen zu alliierten Exklusionspraktiken vielmehr eine Kontinuität beziehungsweise rasche Wiederaufnahme von musikalischen Aktivitäten und Karrieren gegenüber.

Widerspruch ist auch bei der Schlussfolgerung anzumelden, dass die Kategorien »rein« und »unrein« nach 1945 lediglich ihre Signifikate gewechselt hätten. Denn wenn die Rehabilitierung »entarteter« Musik eines Schönberg oder Hindemith als neues Modell durch die Alliierten einer »pureté retrouvée« (S. 214) unterlegen hätte, dann wäre »pureté« keine primär nationalsozialistische, sondern eine aus der »Neuen Musik« der Weimarer Zeit herrührende Kategorie! Da umgekehrt ein Großteil des nationalsozialistischen Repertoires auf älteren Werken beruhte, die nach 1933 wie nach 1945 ungebrochen aufgeführt wurden, sollte statt von »Unreinheit« vielmehr die Rede von Bedeutungswandel sein, der bedingt durch Élise Petits engen Politikbegriff jedoch keine Rolle spielt.

Ähnlich inkonsistent argumentiert das fünfte Kapitel zur Kategorie »Volk«. Hier umgeht Petit für die Nachkriegszeit die augenfälligen begrifflichen Schwierigkeiten einer Überlagerung mit der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft«, indem sie deduktiv und vereinfachend die amerikanische Reeducation-Politik auf ein »demos«-Volk bezieht, den sowjetischen Musikdiskurs dagegen auf ein »peuple-classe« (S. 232). Schief im historischen Bezug ist die Kategorie des »peuple occupé« (S. 260). Dass Petit für die sowjetische Formalismusdebatte dann unreflektiert den Begriff der »Gleichschaltung« (»mise au pas«, S. 263) verwendet, mag da kaum noch verwundern. Durch diese Begriffswahl verdeckt finden sich gleichwohl durchaus erhellende vergleichende Bemerkungen zur Rolle kultureller Selbstbilder und vermeintlicher Minderwertigkeitskomplexe auf dem Gebiet der »ernsten« Musik auf amerikanischer und britischer Seite sowie dem hegemonialen kulturellen Sendungsbewusstsein der Franzosen und Sowjets, auch wenn Petit diese kulturellen Stereotypen teilweise in ihre Analyse übernimmt.

Das sechste Kapitel setzt sich mit der Zäsurfrage nach 1945 unter einer Reihe von Gesichtspunkten auseinander, die nicht immer in Bezug zum Thema Musik stehen. Das Unterkapitel »Retour au conservatisme musical« (S. 304–306) erwähnt den Bereich der Musik de facto nicht. Für die SBZ thematisiert Petit am Beispiel von Paul Dessaus »Das Verhör (bzw. Die Verurteilung) des Lukullus« die sozialistische Kontrollpraxis, greift dafür aber bereits in die 1950er Jahre aus, um anschließend die sowjetische Musikästhetik anhand von Kategorien wie Antiamerikanismus und Antiinternationalismus dem Nationalsozialismus wieder begrifflich gleichzusetzen, ohne die Erklärungsreichweite konsequent zu definieren. Dies gilt auch für die Charakterisierung der westlichen Entnazifizierungspraxis als »épuration« (S. 301). Durchaus eindrücklich, aber sattsam bekannt, schließt sich eine Reihe von Musikerporträts an, die den alliierten Anspruch einer »rupture« als weitgehend illusorisch dokumentieren.

Das knappe Fazit trägt kaum zur analytischen Klärung bei. Bezeichnenderweise schließt das Buch mit einer verunglückten Pointe zur musikalischen Wiedervereinigung: Mit Leonard Bernsteins Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie im Dezember 1989 in Berlin habe Petit zufolge die »universale Botschaft« von Friedrich Schillers »Ode an die Freude« in Beethovens Musik ihren »ursprünglichen Sinn« (S. 353) gefunden. Jedoch ersetzte Bernstein für diese Aufführung das Schlüsselwort »Freude« durch »Freiheit«.

Insgesamt liegt hier ein inkonsistentes Werk vor. Fachnahe Leser werden weite Passagen deskriptiv, die Literaturgrundlage lückenhaft und die pauschalen Analogieschlüsse irritierend finden. So anregend das Nachdenken über Kontinuitäten im Musikbetrieb für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist, so erfordert der diachrone Vergleich ein differenzierteres begrifflich-methodisches Instrumentarium, als es hier zur Anwendung kommt. Insofern signalisiert die Studie in erster Linie weiteren Forschungsbedarf. Eine breitere Leserschaft erhält, wenn auch teils bruchstückhaft, ein umfangreiches Panorama zur Musikpolitik zwischen 1933 und 1949 und oft thematisch auch darüber hinaus. Den suggestiven, aber zu kurz greifenden und im schlimmsten Fall historisch fragwürdigen Vergleichen mögen sie dabei jedoch nicht ohne Weiteres folgen.

1 So jüngst Albrecht Riethmüller, Michael Custodis (Hg.), Die Reichsmusikkammer. Kunst im Bann der Nazi-Diktatur, Köln, Weimar, Wien 2015; sowie in breiterer Perspektive Moritz Föllmer, »Ein Leben wie im Traum«. Kultur im Dritten Reich, München 2016 (Die Deutschen und der Nationalsozialismus).
2 Siehe hierzu etwa die Beiträge in Birgit Hofmann u. a. (Hg.), Diktaturüberwindung in Europa. Neue nationale und transnationale Perspektiven, Heidelberg 2010 (Akademiekonferenzen, 2).
3 David B. Dennis, Beethoven in German Politics, 1870–1989, New Haven 1996; Sven Oliver Müller, Richard Wagner und die Deutschen. Eine Geschichte von Hass und Hingabe, München 2013; Udo Bermbach, Richard Wagner in Deutschland. Rezeption, Verfälschungen, Stuttgart 2011; ders., Mythos Wagner, Berlin 2013.
4 Pamela M. Potter, What is »Nazi Music«?, in: The Musical Quarterly 88 (2005), S. 428–455; dies., Music in the Third Reich: The Complex Task of »Germanization«, in: Jonathan Huener, Francis R. Nicosia (Hg.), The Arts in Nazi Germany, New York 2006, S. 85–110; Pamela M. Potter, Dismantling a Dystopia. On the Historiography of Music in the Third Reich, in: Central European History 40 (2007), S. 623–651.
5 Matthias Pasdzierny, Wiederaufnahme? Rückkehr aus dem Exil und das westdeutsche Musikleben nach 1945, München 2014 (Kontinuitäten und Brüche im Musikleben der Nachkriegszeit).
6 Neil Gregor, Beethoven, Bayreuth and the Origins of the Federal Republic of Germany, in: The English Historical Review 126 (2011), S. 835–877.
7 Elizabeth Janik, Recomposing German Music. Politics and Musical Tradition in Cold War Berlin, Leiden, Boston 2005 (Studies in Central European Histories, 40); David Monod, Settling Scores. German Music, Denazification, and the Americans, 1945–1953, Chapel Hill 2005; Toby Thacker, Music after Hitler, 1945–1955, Aldershot, England, Burlington, VT 2007. Ähnlich bereits Élise Petit, Introduction, in: dies. (Hg.), La création artistique en Allemagne occupée (1945–1949). Enjeux esthétiques et politiques, Sampzon 2015, S. 9–22.
8 Andreas Linsenmann, Musik als politischer Faktor. Konzepte, Intentionen und Praxis französischer Umerziehungs- und Kulturpolitik in Deutschland 1945–1949/50, Tübingen 2010 (edition lendemains, 19); ders., Denazifizierung mit Debussy. Strategien französischer Musikpolitik im Nachkriegsdeutschland, in: Sven Oliver Müller, Sarah Zalfen (Hg.), Besatzungsmacht Musik. Zur Musik- und Emotionsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege (1914–1949), Bielefeld 2012 (Histoire, 30), S. 129–150.
9 Die Passage lautet bei Hitler im Ganzen: »Es ist eine unter genauer Berechnung aller menschlichen Schwächen gefundene Taktik, deren Ergebnis fast mathematisch zum Erfolge führen muß, wenn eben nicht auch die Gegenseite lernt, gegen Giftgas mit Giftgas zu kämpfen. Schwächlichen Naturen muß dabei gesagt werden, daß es sich hierbei eben um Sein oder Nichtsein handelt.«, in: Adolf Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel, München 2016, Band 1, S. 183.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Friedemann Pestel, Rezension von/compte rendu de: Élise Petit, Musique et politique en Allemagne. Du IIIe Reich à l’aube de la guerre froide, Paris (PUPS) 2018, 393 p. (Mondes contemporains), ISBN 979-10-231-0575-9, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2018/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57567