Obwohl das Interesse an der Erforschung der Monarchie so alt ist wie die Geschichtswissenschaften selbst, bestand in der Untersuchung der Begebenheiten nach dem Sturz eines Monarchen bisher eine weitgehende Forschungslücke. Nachdem er das Thema in einem mit Philip Mansel 2011 herausgegebenen Sammelband bereits angeschnitten hatte, legt Torsten Riotte mit seiner Habilitationsschrift nun eine erste komparative und umfassende Studie des modernen monarchischen Exils vor. Riotte widmet sich dabei mit großer Sorgfalt zwei Fallstudien: dem Comte de Chambord, Prinz Henri d’Artois (1820–1883), der Frankreich nach der Revolution von 1830 noch als Kind verlassen musste, und dem Herzog von Cumberland, Prinz Ernst August von Hannover (1845–1923), der seinem Vater dem König 1866, nach der Annexion Hannovers durch preußische Truppen, ins Exil folgte. Beide fanden Zuflucht in Österreich und ließen sich dauerhaft in der Nähe Wiens nieder.
Die Auswahl und Diachronie dieser beiden Fallstudien erklärt sich aus dem Erkenntnisinteresse des Autors. Torsten Riotte strebt mit seiner Arbeit explizit keine Einordnung der Exilmonarchen in die Geschichte internationaler Beziehungen an, sondern zielt vielmehr auf eine Analyse der Lebenswelten exilierter Monarchen, die zu einer »anderen Geschichte von Staatswerdung« im 19. Jahrhundert beitragen soll. Die zeitlich versetzten und jeweils mehrere Jahrzehnte umfassenden Exilerfahrungen des Comte de Chambord und des Herzogs von Cumberland sollen die Untersuchung dieser Prozesse ermöglichen.
Das Buch nähert sich den Lebenswelten der exilierten Thronprätendenten in zwei analytischen Teilen, die einerseits deren rechtliche und soziale Situation und andererseits deren Rolle in der Wahrnehmung und Argumentation der konservativ-legitimistischen Oppositionen in Frankreich und Hannover in den Blick nehmen. Dabei greift der Autor auf einen umfangreichen und diversen Bestand persönlicher und öffentlicher Quellen zurück, der die Nachlässe und Korrespondenzen der Prinzen genauso umfasst wie politische Schriften und Pamphlete, parlamentarische Protokolle oder polizeiliche Berichte. Die Interpretation des Quellenmaterials erfolgt anhand von zwei innovativen analytischen Begriffen, die auch über die hier betrachteten Fallbeispiele hinaus vielversprechend erscheinen. Im ersten Teil des Buchs, der sich auf den Exilhof und die soziale und rechtliche Stellung der Exilmonarchen in Österreich fokussiert, wird der Begriff des »dynastischen Überlebens« eingeführt.
Unter dem Begriff fasst Torsten Riotte die zentralen Herausforderungen zusammen, mit welchen sich die Exilkönigshäuser nach dem Herrschaftsverlust konfrontiert sahen, um das Fortbestehen der Dynastie auf drei Ebenen sichern zu können: Erstens zeigt er auf, wie die exilierten Monarchen die eigene Position innerhalb des Familienverbandes und den Status der Dynastie in der Sphäre der internationalen Monarchie festigen oder neu definieren mussten. An den beiden Exilhöfen wurde dies aufgrund der in beiden Fällen virulenten Sukzessionsdebatte und der großen Bedeutung der Vermählung der beiden Prinzen mit Angehörigen hochgestellter Dynastien deutlich. Da beide Dynastien durch den Verlust ihrer Herrschaft faktisch auch den Status der Souveränität eingebüßt hatten, waren die Ehen mit Prinzessinnen aus dem österreichischen und dänischen Herrscherhaus ein wichtiger Schritt, um die dauerhafte Ebenbürtigkeit der exilierten Häuser zu etablieren.
Zweitens mussten die Exilmonarchen in das rechtliche Gefüge des Aufnahmelandes Österreich eingefügt werden. Trotz der verlorenen Souveränität gestanden die österreichischen Behörden in der Rechtspraxis den Exildynastien eine gewisse rechtliche Exterritorialität zu, ohne sie je klar zu definieren. Dies stand im Widerspruch zu den formalen Rechtsansprüchen. Dieser Schwebezustand war mit Blick auf die weiterhin existierenden Ansprüche der Prätendenten in ihren Herkunftsländern sowie die zunehmende Verfestigung der rechtsstaatlichen Ordnung in Österreich durchaus gewollt, um die Sonderstellung der Exilierten aufrechterhalten zu können.
Drittens war auch die finanzielle Versorgung des Exilhofes von enormer Bedeutung für das Überleben der Dynastie im Exil. Hierbei wurde die Bedeutung der Distinktion zwischen Privat- und Familienbesitz im Unterschied zu Staatsbesitz deutlich und entwickelte sich zum Thema öffentlicher Auseinandersetzungen zwischen den Exilhöfen und den Nachfolgeregimen in Frankreich und Hannover, die zunehmend auch auf rechtlicher Grundlage geführt wurden. Anhand dieser Hauptmerkmale des »dynastischen Überlebens« verdeutlicht Riotte, dass die in der Geschichtswissenschaft propagierte Trennung zwischen der privaten und politischen Person des modernen Monarchen im Falle der Exildynastien verschwamm. Die eigentlich private Eheschließung, Rechtsstellung und materielle Absicherung eines Exilmonarchen unterlag oftmals einer starken Politisierung. Zudem gelingt es dem Autor besonders bei der Analyse der Besitzregelung von Exilmonarchen, überzeugend darzustellen, wie politische Entscheidungen zunehmend rechtsstaatlichen Ordnungen unterworfen wurden.
Den zweiten Teil des Buchs prägt der analytische Leitbegriff des »abwesenden Monarchen«. Durch diesen versucht Riotte die konservative Opposition in Frankreich und Hannover fassbar zu machen und die Beziehungen zu den Exilhöfen einer differenzierteren Betrachtung zu unterziehen. Dabei unterstreicht er die Bedeutung des Exilmonarchen als Bezugspunkt für die französischen Legitimisten und die welfische Bewegung Hannovers, die beide abgesehen von ihrer Haltung gegenüber der gestürzten Dynastie sehr heterogen gewesen seien. Riotte betont den Einfluss von Verlautbarungen des Exilhofs, obwohl sich die Exilmonarchen und die konservativen Oppositionsgruppen zeitweise deutlich entfremdeten und der »abwesende Monarch« oftmals als eine eher abstrakte Projektionsfläche für unterschiedlichste politische Hoffnungen fungierte.
Bei der anschließenden Analyse der Rolle der Exilmonarchen in der politischen Öffentlichkeit beweist die Arbeit, dass die Exilhöfe keinesfalls ein Monopol an der medialen Darstellung der Exilmonarchen hatten. Zwar versuchten die Exilhöfe den Monarchen durch die Publikation von Briefbänden, Portraits oder ähnlichem zu popularisieren, doch hätten die Monarchen, so Riotte, größere Schwierigkeiten gehabt, moderne Public Relations zu verstehen und zu betreiben, als dies die neuere Politikgeschichte bisher angenommen habe. Die im Sicherheitsdiskurs der Nachfolgeregime vielfach bemühte Bedrohung durch die Exilmonarchen sei daher als ein staatliches Legitimationswerkzeug für das Vorgehen gegen die konservative Opposition einzuordnen.
Detailliert arbeitet das Buch die staatliche Repression gegen legitimistische Kräfte heraus und zeigt auch in diesem Kontext die zunehmende Einordnung der Auseinandersetzung in den Rahmen und die Institutionen des Rechtsstaats. So sahen sich die Gerichte bei Prozessen gegen Legitimisten zunehmend mit einem Narrativ konfrontiert, das politische Prozesse als Merkmal einer Unrechtsordnung delegitimierte, während die welfische Bewegung sich in Form der Deutsch-Hannoverschen Partei institutionalisierte und an preußischen Wahlen beteiligte.
Torsten Riottes Auswertung der beiden Fallstudien überzeugt mit einer hohen Quellendichte, einer detaillierten Aufarbeitung zeitgenössischer Problemstellungen und Interessen sowie mit erhellenden Schlussfolgerungen in Bezug auf die Veränderungen von Staatlichkeit, Rechtsordnung und Monarchie im 19. Jahrhundert. In einem abschließenden Kapitel schickt sich Riotte an, die Ergebnisse dieser exemplarischen Analyse für andere exilmonarchische Kontexte zu generalisieren, indem er seine Schlussfolgerungen an den Beispielen des portugiesischen Prätendenten Dom Miguel und des exilierten burmesischen Königs Thibaw Min überprüft. Sicherlich ist ihm in der Annahme rechtzugeben, dass die Sicherung von Status und Lebensstandard sowie die Beziehungen zu den konservativen Eliten des Herkunftslandes für jeglichen Exilmonarchen von Bedeutung waren.
Allerdings fallen bei den 38 zwischen 1789 und 1918 gezählten europäischen Exildynastien, die Riotte in einem Appendix auflistet, einige differenzierende Merkmale auf, welche die Arbeit nicht aufgreift und die eine Übertragbarkeit der Ergebnisse zumindest überprüfenswert erscheinen lassen. So lässt beispielsweise die Schweiz als beliebtes republikanisches Exilland eine andere Regelung und Praxis des Status von Exildynastien vermuten als das hier im Mittelpunkt stehende monarchische Habsburgerreich. Darüber hinaus mussten sich viele der von Torsten Riotte aufgeführten Dynastien erst 1918 ins Exil begeben und fanden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in einem zusehends von Republiken dominierten Europa höchstwahrscheinlich ein deutlich anderes Großklima vor als dies noch im 19. Jahrhundert der Fall gewesen sein dürfte.
Letztlich wäre auch die Auswirkung der unterschiedlichen Herrschaftsdauer verschiedener Dynastien mit Blick auf die Entwicklung und Persistenz einer legitimistischen Opposition von großem Interesse: Die jahrhundertealte Tradition der Bourbonen in Frankreich und der Welfen in Hannover scheint im Vergleich zu den ebenfalls aufgeführten kurzzeitigen Regimen der Bonapartes in Spanien oder der Battenberger in Bulgarien in dieser Hinsicht eine deutlich unterscheidbare Ausgangslage anzubieten.
Torsten Riotte hat mit seinem Buch jedoch die Grundlagen zur weiteren historiografischen Auseinandersetzung mit diesen Sachverhalten des monarchischen Exils gelegt. Gerade die überzeugenden Analysebegriffe des »monarchischen Überlebens« und des »abwesenden Monarchen« stellen zukünftigen Arbeiten zu Themen der modernen Monarchien innovative und hilfreiche Ansätze zur Verfügung und werden uns mit Sicherheit weiterhin begleiten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Moritz A. Sorg, Rezension von/compte rendu de: Torsten Riotte, Der Monarch im Exil. Eine andere Geschichte von Staatswerdung und Legitimismus im 19. Jahrhundert, Göttingen (Wallstein) 2018, 427 S., 13 Abb. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 295), ISBN 978-3-8353-3058-0, EUR 39,90., in: Francia-Recensio 2018/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2018.4.57569