Der hier anzuzeigende Band vereint die Druckfassungen von Vorträgen, die im Rahmen eines internationalen Kolloquiums in Nantes im Juni 2014 gehalten wurden. In ihrer namentlich nicht gezeichneten Einleitung (S. 9–15) verweisen die Herausgeber auf die für die internationalen Beziehungen unverzichtbare Kategorie von Recht und rechtsbezogener Argumentation, deren Betrachtung zwischen den Postulaten absoluter Gültigkeit und völliger Irrelevanz die Waage halten muss (S. 10: »Sans céder ni à un réalisme étroit qui ferait des rapports de force la seule et unique dynamique des relations internationales, ni à un idéalisme naïf qui considérerait les règles de droit comme des impératifs catégoriques«). So zeigt sich in der diplomatischen Praxis im Gegensatz zur Theorie nicht selten ein Einsatz juristischer Argumentation zur Verteidigung der Anwendung von Gewalt, gelegentlich auch die explizite Forderung nach Verzicht der Erörterung von Rechtsstandpunkten (so etwa bei einem Vermittlungsvorschlag der Seemächte im Polnischen Thronfolgekrieg 1735; vgl. Jean Dumont, Corps universel diplomatique du droit des gens, Suppl. 3, S. 529). Die dazu entwickelten Regeln, zu denen nicht zuletzt auch die Begrifflichkeit gehört, bilden den hauptsächlichen Gegenstand des Bandes. Die Beiträge, die hier nicht alle im Einzelnen erwähnt werden können, sind in drei Gruppen (»Droit et organisation internationale«, S. 17–96; »Argument juridique et rhétorique«, S. 97–190; »Droit et sauvegarde des acreurs des relations internationales«, S. 191–301) zusammengefasst, obwohl die Stringenz der Zuordnung speziell zwischen erster und zweiter Gruppe nicht in allen Fällen überzeugend ausgefallen ist. Thematisch geschlossen präsentiert sich die dritte Gruppe, die den Rechtsstatus von Gesandten, aber auch von Verbannten, Deserteuren und Flüchtlingen behandelt.

Am Beginn der ersten Gruppe steht ein Beitrag von Martin Kintzinger (»Les relations internationales au Moyen Âge«, S. 19–29), der für das (lateinische) Mittelalter abschließend feststellt, dass sich die Diplomatie überwiegend im Rahmen der höfischen Welt auf der Ebene symbolischer Repräsentation und mündlicher Kommunikation vollzieht und erst ab der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert durch völkerrechtliche Überlegungen ergänzt wird (S. 28f.). Dass rechtliche Kategorien anderer Art, etwa des salischen oder des Feudalrechts, aber durchaus eine entscheidende Rolle spielen konnten, zeigt der Beitrag Jean-Marie Moeglins (»Le droit contre la paix: l’impossible paix entre les royaumes de France et d’Angleterre du XIVe au XVe siècle, S. 99–111) im zweiten Teil des Bandes am Beispiel des Hundertjährigen Krieges.

Im Gegensatz zur lateinischen Christenheit kam es im östlichen Mittelmeerraum zwischen christlichen und muslimischen Mächten schon früher zu einem pragmatischen Interessenausgleich auf rechtlicher Grundlage, der von Alexander Beihammer (»Les arguments juridiques dans la constitution des traités de paix entre chrétiens et Turcs du XIIIe au XVe siècle, S. 31–48) kenntnisreich analysiert wird. Unverzichtbar für ein Thema von Recht und Diplomatie ist die Behandlung der Herrschaft Ludwigs XIV., der sich Lucien Bély («Les droits, le droit et la diplomatie de Louis XIV«, S. 49–66) als der wohl derzeit beste Kenner dieser Zeit unterzieht. Recht spielt hier auf verschiedenen Ebenen von der privatrechtlichen (Devolutionsrecht) bis zu jener des europäischen Staatsrechts (ius publicum Europaeum) eine Rolle, wobei es hier durchaus wie beim Verzicht auf die Thronrechte Philipps V. in Frankreich zu Konflikten zwischen den einzelnen Rechtskreisen kommen konnte.

Diesem Problem widmet sich auch Frederik Dhondt (»Équilibre et hiérarchie. L’argument juridique dans la diplomatie française et anglaise après la paix d’Utrecht (1713–1740), S 67–83), wie Bély mit stupender Kenntnis der einschlägigen Literatur; allerdings fallen in seinem Beitrag auch gelegentliche Flüchtigkeitsfehler und fehlerhafte Zitate auf, besonders im Zusammenhang mit Art. V der Quadrupelallianz von 1718, wo Dhondt S. 81 von den »feudus« [sic!] sacri imperii masculinis« spricht (richtig »status seu ducatus […] agnoscantur et habeantur pro indubitatis Sacri Romani Imperii feudis masculinis«). Zum Abschluss des ersten Teils beschäftigt sich Elisabetta Fiocchi Malaspina (»›La boussole des Souverains‹: l’application du Droit des gens de Vattel dans la diplomatie du XVIIIe siècle«, S. 85–96) mit der Rezeption des Werks Emer de Vattels in der Diplomatie des 18. Jahrhunderts, wobei konkrete Beispiele aus der Praxis der Diplomatie allerdings sehr kursorisch ausgefallen sind (S. 93, Anm. 38 bzw. S. 95f.).

Interessante Streiflichter auf den Einsatz juristischer Argumentation werfen im zweiten Teil Núria Sallés Vilaseca (»L’usage de l’argument juridique devant l’opinion publique: l’accession des Provinces-Unies au traité de la Quadruple Alliance, 1717–1719, S. 159–174) und François Ternat (L’argument juridique dans les négociations internationales: l’exemple de la commission franco-britannique de 1750 à 1755, S. 175–190). Im ersten Fall machen die von den Botschaftern Spaniens und Englands in zahlreichen Druckschriften zum Ausdruck gebrachten Rechtsstandpunkte die Möglichkeiten der Einflussnahme auf ein auf Mehrheitsbeschlüsse angewiesenes Staatswesen deutlich, während Ternat aufzeigt, dass die im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges in Paris verhandelnde britisch-französische Kommission zwar nicht zu einer einvernehmlichen Regelung der kolonialen und maritimen Streitpunkte (Rechtmäßigkeit von Kolonialbesitz und Herrschaft zur See im Gegensatz zum mare liberum bei Grotius) führte, aber durch die in zahlreichen Memoranden ausgetauschten Rechtsstandpunkte wesentlich zur Entwicklung eines internationalen Rechts in beiden Bereichen beigetragen hat. Wenn der Autor S. 190 meint, dass es zumindest der britischen Seite weniger um die Bewahrung des Friedens als um die Vorbereitung zum Krieg ging, gelangt er zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie schon – fast drei Jahrzehnte vor ihm – der deutsche Historiker Armin Reese1, dessen Arbeit von Ternat allerdings nicht benützt wurde.

Der dritte Teil des Bandes beschäftigt sich wie erwähnt mit dem rechtlichen Status von Akteuren zwischenstaatlicher Beziehungen und reicht zum Unterschied der beiden anderen Teile bis in die Spätantike zurück. Einen thematischen Schwerpunkt bildet die Immunität der Gesandten, die sowohl für Spätantike wie Frühe Neuzeit untersucht wird. Dabei kommt es in den beiden ersten Beiträgen von Audrey Becker (»L’inviolabilité de l’ambassadeur et le ius gentium dans une diplomatie romaine en mutation (Ve siècle)«, S. 193–208) und Maria Grazia Bajoni (»Prérogatives et traitement des ambassadeurs dans l’Antiquité tardive«, S. 209–222) verschiedentlich zu Überschneidungen. Beide stützen sich auf Digesten und Autoren wie Priscus oder Menander Protector, teilweise sogar auf dieselben Zitate, wobei Becker stärker auf die Quellen der Digesten (Gaius, Pomponius, Ulpian) eingeht, aber im Gegensatz zu Bajoni die Beziehungen zu den hellenistischen Reichen, zu Parthern und Sassaniden außer Betracht lässt. Allerdings betont sie gleichzeitig unter Hinweis auf Echnaton (!), dass das ius gentium keine römische Erfindung sei (S. 207) und im Übrigen nicht mit dem internationalen Recht gleichgesetzt werden dürfe (S. 194).

In die Frühe Neuzeit führt der Beitrag von Dominique Gauirier (»Le droit et le fait: deux juristes (Gentili et Zouche) consultés au sujet d’ambassadeurs accusés d’infraction fin XVIe–XVIIe siècle«, S. 261–269), der die Immunität des Gesandten und seines Haushalts mit Ausblicken auf die spätere Entwicklung bis hin zur Wiener Konvention von 1961 behandelt. Die im Titel erwähnten Gutachten Alberico Gentilis und Richard Zouches erörtern die Verwicklung des spanischen Botschafters Mendoza in eine Verschwörung zum Sturz Elisabeths I. und die Totschlagsaffäre des Bruders eines portugiesischen Botschafters in London in der Zeit Cromwells. Der Band schließt mit Bemerkungen von Stéphane Péquignot und Marc Belissa (»Thémis en diplomatie: regards croisés en guise de conclusion«, S. 303–313), die versuchen, die Vielfalt der angesprochenen Themen und Einzelfälle zusammenzufassen, und als gemeinsames Ergebnis noch einmal die Ambivalenz des Rechts in der Diplomatie betonen (S. 306, 310). Insgesamt ein anregender Band, der sicher zu weiteren einschlägigen Forschungen Anstoß geben wird.

1 Armin Reese, Den Krieg verschieben – verkürzen – ersetzen? Die französisch-englischen »Gemeinsamen Kommissionen« vor dem Siebenjährigen Krieg, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln, Wien 1991, S. 245–260.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Leopold Auer, Rezension von/compte rendu de: Nicolas Drocourt, Éric Schnakenbourg (dir.), Thémis en diplomatie. Droit et arguments juridiques dans les relations internationales de l’Antiquité tardive à la fin du XVIIIe siècle, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2016, 332 p. (Histoire), ISBN 978-2-7535-5123-7, EUR 23,00., in: Francia-Recensio 2019/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59802