Gouverneur Morris, von 1792 bis 1794 Botschafter der gerade gegründeten USA in der französischen Hauptstadt, gehört in die kleine, aber exklusive Reihe transatlantischer Beobachter, die Paris während der Revolutionsdekade erlebt hatten und darüber ausführliche Aufzeichnungen hinterlassen haben. Die Reihe reicht von Benjamin Franklin bis zu Thomas Jefferson und viele in dieser Reihe sahen sich inspiriert, die eigene Gesellschaftsgründung nach der Befreiung aus britischer Herrschaft mit dem gewaltigen Transformationsprozess in Frankreich, der der Bourbonendynastie schließlich ein vorläufiges Ende setzte, zu vergleichen. Morris, der seinen Vornamen den hugenottischen Vorfahren seiner Mutter verdankte, die ihn wohl »Governeer« aussprachen, figuriert dementsprechend prominent mit einzelnen Zitaten in einer beträchtlichen Zahl von Gesamtdarstellungen und Spezialstudien zur Revolution in Paris bzw. Frankreich, auch wenn seine Leistungen keineswegs auf die Jahre als Botschafter an der Seine beschränkt blieben. Er hinterließ Spuren in der Endredaktion der amerikanischen Verfassung, deren ersten Satz er wohl entworfen hat, ebenso wie in der Stadtanlage für New York, deren Planungskommission er 1812 geleitet hatte.
Dass aus dem Mitglied des ersten Kongresses 1778 und des Verfassungskonvents von 1787 nicht noch mehr, vielleicht sogar ein Präsident der USA geworden ist, führten viele Zeitgenossen auf einen speziellen Charakterzug zurück, der ihn nicht immer nur sympathisch erscheinen ließ. Eine immer wieder hervorbrechende Aggressivität und eine große Nachlässigkeit gegenüber dem Bild, das sich andere von ihm machten, brachten Morris verschiedentlich in Schwierigkeiten. So waren sich James Madison und George Washington schon 1789 einig, dass er zwar von außergewöhnlichem Talent sei, aber immer wieder seine Gegenüber mit brutalen Äußerungen von ungewöhnlicher Direktheit schockiert habe, und sein Nachfolger als Vertreter der USA in Paris, James Monroe, blies ins gleiche Horn, als er sich gegenüber St. George Tucker darüber beklagte, dass Morris mit seiner Vorliebe für monarchische Regierungsformen im damals republikanischen Frankreich überall angeeckt sei und im Übrigen den aggressiven Geschäftsmann gegeben habe, wo diplomatisches Geschick gefragt gewesen wäre.
Dass ein Diplomat in erster Linie seinen Finanzgeschäften nachging, war für die Epoche nicht unüblich, andere, wie der preußische Gesandte von der Goltz, unterhielten Salons mit einträglichem Glücksspielzweig – irgendwie musste die Aufwendung im Dienste einer fernen Macht, die ihre Vertretungen kaum ausstattete, finanziert werden. Es mag aber etwas Rigides im Gebaren dieses kalvinistisch geprägten Unternehmers gewesen sein, der gleich zu Beginn der Revolution deutlich machte, dass er das Gerede von Humanität und Gerechtigkeit für wenig glaubwürdig halte und allein die jeweiligen Interessen seiner Gegenüber ernst nähme. Er nahm kein Blatt vor den Mund und ignorierte sowohl die Regeln der politischen Korrektheit seiner Zeit als auch die tatsächlichen heroischen Illusionen, die jede Revolution am Beginn auszeichnen. Die Nacht des 4. August mit den jungen liberalen Adligen, die ihren Feudalrechte entsagten (die sie im Gegensatz zu manch anderem Privilegierten kaum besaßen), musste ihm verdächtig erscheinen.
Nachdem Jefferson 1789 in die USA zurückgekehrt war, blieb der Posten des Botschafters in Paris bis April 1792 vakant und die Vertretung von einem Sekretär, William Short, gesichert, ehe Gouverneur Morris von Präsident Washington (nicht aber von Außenminister Jefferson) nominiert wurde und endlich in Frankreich eintraf, wo er zunächst einmal persönliche Finanzinteressen mit der Vertretung des nordamerikanischen Staatshaushaltes, in dessen Auftrag er auf Bodenbesitz spekulierte, verband. Politisch eher im rechten Lager der Republikaner angesiedelt, wandte sich Morris (dessen Familie väterlicherseits aus Barbados stammte) doch als einer der wenigen Nordamerikaner in führender politischer Rolle ganz entschieden gegen die Sklaverei und plädierte in seinem Heimatland für eine stärkere Zentralisierung der Macht zugunsten der »Nation« und zu Lasten der Einzelstaaten und des Föderalismus, dem er nicht zuletzt einen Schutz der Sklaverei vorwarf.
Von Sozialpolitik oder dem Egalitarismus der Unterschichten hielt Morris indes ebenso wenig und beschimpfte die Massen als »Reptilien«, und insbesondere jene, die am 14. Juli 1789 die Bastille oder am 10. September 1792 die Pariser Gefängnisse gestürmt hatten. Dementsprechend sah er die Verfassung von 1793 äußerst kritisch und sagte den Franzosen einen mehrere Generationen andauernden Gang zur Freiheit voraus. Er gestand dem Konvent einige kluge Köpfe zu, beklagte aber vor allem den weitgehenden Mangel an Erfahrung und Reife, hierin durchaus Motive des gegenrevolutionären Diskurses aufgreifend, der sich bis 1791 von innen und seitdem hauptsächlich von außen Geltung zu verschaffen suchte. Viele der vor allem von konservativen Kommentatoren der Revolution wie Hyppolite Taine herangezogenen Äußerungen Morris sind von tiefer Skepsis gegen den republikanischen Gang der Ereignisse geprägt und galten deshalb im Nachhinein als kluge Voraussagen, während sie in der Zeit selbst wohl eher seine politischen Wünsche als eine weise Voraussicht ausdrückten.
Dass er daneben reichlich Privates berichtet und aus seiner Faszination für die Frauen der Pariser Salons keinen Hehl macht, gibt dem Tagebuch eine besondere Note. Die Affäre mit Adèle de Flahaut wird in aller Freizügigkeit neben den politischen Roman der Revolution gestellt, wie Patrice Higonnet in seinem exzellent recherchierten Vorwort zu dieser Edition verdeutlicht. Mit der vorliegenden Ausgabe ist offensichtlich intendiert, das gesamte Journal von Morris, das bereits 1901 und 2002 in einer »bereinigten« französischen Fassung erschienen ist, in Jahresscheiben dem Leser in einer skrupulösen Übersetzung der inzwischen auf der Website der University of Virginia verfügbaren amerikanischen Online-Version und der in der Library of Congress erhaltenen Originalfassung darzubieten. Der Herausgeber, der in einem Forschungslaboratorium zur englischsprachigen Welt (Laboratoire d’études et de recherche sur le monde anglophone) an der Universität Aix-Marseille tätig ist und auf die Mitarbeit seiner Doktoranden und Kollegen zurückgreifen konnte, hat die wesentlichen US-Editionen der »Diaries«, vor allem die von Beatrix Cary Davenport besorgte Ausgabe von 1939 herangezogen. Man kann dem Verlag Droz in Genf nur dankbar sein, dass er seine große Tradition der Veröffentlichung solcher Beispiele soliden Historikerhandwerks unbeeindruckt von der Konkurrenz durch schnell angefertigte Kompilationen für einen Massenmarkt fortsetzt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Matthias Middell, Rezension von/compte rendu de: Le Journal de Gouverneur Morris pendant la Révolution française. Tome premier (1789). Texte traduit et annoté par Gérard Hugues. Préface de Patrice Higonnet, Genève (Librairie Droz) 2018, 459 p. (Bibliothèque des Lumières, 94) ISBN 978-2-600-05837-7, EUR 36,97., in: Francia-Recensio 2019/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59806