Programmatisch kündet der Untertitel des hier vorzustellenden Werks von einer »New History of Islamic Spain«. In Absetzung von der nicht geringen Anzahl monografischer Gesamtdarstellungen zu Al-Andalus sieht Catlos das Novum seines jüngsten Buches darin, die Geschichte des muslimischen Spanien nicht im Jahre 711 mit der muslimischen Eroberung des Westgotenreiches beginnen bzw. 1492 mit dem Triumph der sogenannten Katholischen Könige enden zu lassen. Ebenso wenig teilt Catlos die Prämisse, der religiöse Antagonismus sei Dreh- und Angelpunkt des iberischen Mittelalters gewesen. Vielmehr richtet er den Fokus auf Pragmatismus und Opportunismus als zentrale Triebkräfte sowohl im Zuge der muslimischen Expansion als auch der christlich-muslimischen Interaktion in den nachfolgenden Jahrhunderten.
In diesem Sinne besteht die Agenda des Buches darin, neben den gewiss zahlreich überlieferten religiös-ideologischen Narrationen, gerade die komplexe Ambiguität der alltäglichen Lebenswelt in Al-Andalus sowie identitätsstiftende Bezüge jenseits des Religiösen herauszustellen. Dabei sollen dezidiert historische Nebenschauplätze und -narrative ebenso wie weniger gut dokumentierte soziale Gruppen wie Frauen, Renegaten, Sklaven oder Funktionäre Beachtung finden. Diesen Leitfragen geht Catlos in sechs chronologischen Hauptkapiteln, einer Hinführung und einem Epilog nach. Die übergeordneten thematischen Kapitel sind der muslimischen Eroberung zwischen 700 und 820, der Transformation des Emirats zum Cordobeser Kalifat bis 929, der Blütezeit des Kalifats bis zu seiner Desintegration im Jahr 1030, den Umwälzungen zur Zeit der almoravidischen und almohadischen Herrschaft über Al-Andalus zwischen 1030 und 1220, dem nasridischen Emirat von Granada bis zum Beginn der endgültigen christlichen Eroberung 1482 und schließlich dem Schicksal der muslimischen Minderheiten bis zu ihrer Vertreibung in den Jahren 1609 bis 1614 gewidmet.
Catlos spannt demnach – dies sei nachdrücklich als eine der großen Stärken des Buches unterstrichen – einen weiten zeitlichen Bogen, der von der islamischen Frühzeit bis zur Exilierung der spanischen Moriscos zu Beginn des 17. Jahrhunderts reicht. Auf diese Weise ist eine Verortung der muslimischen Eroberung und anschließenden Präsenz auf der Iberischen Halbinsel im größeren mediterranen Kontext von Beginn an angelegt. Durchgängig gelingt es dem Autor, den Blick in regelmäßigen Abständen auf europäische, mediterrane sowie islamische Zusammenhänge zu lenken und die iberischen Entwicklungen umso schärfer zu konturieren. Der erzielte Erkenntnisgewinn wird nicht zuletzt deutlich, wenn der Verfasser die Vertreibung der Morisken und die Etablierung der spanischen Inquisition im europäischen Kontext der Reformation und Gegenreformation und den Dynamiken der damit einhergehenden sozialen Transformationen des 16. und 17. Jahrhunderts verortet.
Obgleich der weite chronologische Bogen eine ereignisgeschichtliche Präponderanz erwarten lassen könnte, glückt Catlos sein Vorhaben, eine Vielzahl von Akteursgruppen zu Wort kommen zu lassen und die Ambiguität der sozialen Dynamiken zu erhellen. Immer wieder stellt er bekannte und weniger bekannte Quellenpassagen zur Diskussion und bietet so ein repräsentatives Panorama der vielfältigen schriftlichen, bildlichen und materiellen Zeugnisse.
Beispielhaft seien zwei Kapitel des Buches genauer in den Blick genommen. Bei der Schilderung der Konsolidierung des umayyadischen Emirats in den Jahren nach dessen Begründung durch 'Abd ar-Rahman I. 756 rückt Catlos weniger die Details des Konfliktaustrags um die herrscherliche Nachfolge in den Vordergrund. Erläutert werden vielmehr islamische Traditionen der Herrschaftsfolge und der Aufstieg von Neu-Muslimen westgotischer und hispano-romanischer Abkunft. Den der sozialen Heterogenität geschuldeten Spannungen hatte sich al-Hakam I. († 822) zu stellen – Sohn Hišāms I. († 796) und einer fränkischen Adligen.
Zwischen welchen Extremen das Verhältnis der Emire zu Konvertiten und Christen in dieser Phase lavierte, führt Catlos der Leserschaft mit Blick auf die Regierungspraxis al-Hakams I. und seines Nachfolgers vor Augen. Dass während der Regentschaft al-Hakams I. Vertreter dieser Gruppen zentrale Positionen in der Administration bekleideten, evozierte den Unmut muslimischer Bevölkerungsteile. Einen daraus resultierenden Aufstand schlug der Regent blutig nieder. Catlos führt aus, wie sich mit 'Abd ar-Rahman II. das Blatt wendete: Dieser ließ noch zu Lebzeiten des Vaters einen von dessen engsten Vertrauten, einen Christen westgotischer Herkunft, öffentlich enthaupten.
Besonderes Augenmerk richtet Catlos auch im Folgenden auf die interreligiösen Wechselbeziehungen, beschreibt die Etablierung des Emirats zudem in ökonomischer und rechtlicher Hinsicht. So werden beispielsweise numismatische Befunde in die Analyse einbezogen und – im Vergleich zu der zeitgenössischen Münzprägung andernorts – ein beachtlicher Reichtum konstatiert.
In dem Kapitel, das die Entwicklungen des 15. Jahrhunderts darlegt, sensibilisiert der Autor eingangs für die defizitäre arabische Quellenlage und warnt vor der oftmals irreführenden Außensicht der christlichen Überlieferung. Auch die rasche Verklärung des granadinischen Hofes, im 19. Jahrhundert bekanntlich durch Washington Irving popularisiert, ist einem klaren Bild nicht zuträglich gewesen.
Catlos beschränkt seine Ausführungen zu den Geschehnissen am Hof wiederum auf ein Minimum, arbeitet jedoch die Agency einer hochrangigen Frau heraus, die als Tochter eines christlichen Sklaven und Gattin Muhammads IX. († 1454) maßgeblich in die Geschicke des Emirats eingriff. Durch geschicktes Paktieren verhalf sie zunächst ihrem Gatten zur Herrschaft und korrespondierte selbst mit den christlichen Regenten ihrer Zeit.
Der Autor fokussiert im Folgenden unter anderem das »small-scale raiding« (S. 368) im christlich-muslimischen Grenzraum und verweist auf die interkulturellen Spezialisten an der Grenze wie Gefangenenbefreier (alfaqueques) und Fährtenleser (fieles de rastro). Während dieser Raum gewiss als »place of violence and fear« (S. 369) charakterisiert werden darf, streicht der Autor mit Recht hervor, dass andererseits nachweislich enge Beziehungen über die Grenze hinweg bestanden und die Fronten mitnichten klar verliefen: »In practice, warfare was rarely a Christian versus Muslim affair, and there were few battles in which there were not knights and soldiers of each faith fighting on both sides« (S. 370). Eine quellennahe Darstellung ist auch an dieser Stelle etwa mit Verweis auf die »Romances fronterizos« gegeben. Einen hohen Grad der Differenziertheit beweist Catlos abermals, wenn er den Blick von den Akkulturationsprozessen im Grenzraum auf die christlich regierten Gebiete weitet und die divergierende Stellung der Mudejaren in den einzelnen Reichen bemerkt.
Zusammenfassend darf mithin festgehalten werden: Brian A. Catlos legt mit »Kingdoms of Faith« eine für versierte Kenner wie Interessierte gleichermaßen lesenswerte Monografie vor, die nicht lediglich durch ihre eloquente und eingängige Sprache, sondern in gleichem Maße durch ihre präzisen Analysen besticht. Indem der Autor die Entwicklungen konstant und auf verschiedenen Ebenen in den größeren Kontext setzt und verknüpft, gelingt es ihm souverän, Al-Andalus nicht abermals als Peripherie zwischen einem vermeintlichen mittelalterlichen Europa und dem dār al-islām erscheinen zu lassen, sondern seine multiplen Scharnierfunktionen in kultureller, herrschaftlicher, religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht ersichtlich zu machen. Zuletzt sind positiv die hilfreiche Vorbemerkung zu Namen, Orten und zeitlichen Angaben sowie ein acht Seiten umfassendes Glossar arabischer Termini und ein ausführlicher Index hervorzuheben. Mit Blick auf die Hinweise zur einschlägigen Literatur muss leider das Fehlen neuerer deutscher Beiträge wie etwa die Studie Wiebke Deimanns zu Sevilla1 vermerkt werden.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sandra Schieweck, Rezension von/compte rendu de: Brian A. Catlos, Kingdoms of Faith. A New History of Islamic Spain, New York, (Basic Books) 2018, VII–482 p., ISBN 978-1-78738-003-5, GBP 25,00., in: Francia-Recensio 2019/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59815