Zweifellos gehört die im zu besprechenden Buch behandelte Terreur (zumeist mit »Schreckensherrschaft« ins Deutsche übersetzt) zu den »großen« Themen der Französischen Revolution und der Geschichte revolutionärer Bewegungen im Allgemeinen. In welchem Kontext ist dieser Begriff ursprünglich zu verorten?
Mit der faktischen endgültigen Entmachtung König Ludwigs XVI. durch die revolutionären Unruhen des 10. August 1792 entstand in Frankreich ein Machtvakuum, das sich sukzessive vergrößerte und schließlich 1793–1794 von neu etablierten Institutionen einer Revolutionsregierung wieder gefüllt wurde. Sie verliehen Frankreich erneut eine durchsetzungsfähige Exekutive. Der Aufbau und die Vorgehensweise dieser Revolutionsregierung folgten keinem systematischen Plan, sondern entwickelten sich in einem kontingenten Prozess unter dem Eindruck innen- und außenpolitischer sowie militärischer Ereignisse und Entwicklungen.
Zentrales Organ der Revolutionsregierung und mithin wichtigstes exekutives Gremium war der Wohlfahrtsauschuss. Unter dem extremen Druck innerer und äußerer Bedrohung der Republik lenkte der Wohlfahrtsauschuss die Geschicke Frankreichs mit harter Hand. Diese auf Gewalt und Repression basierende Politik wird als Terreur bezeichnet und hat ihren unmittelbaren Ursprung in der im Frühjahr 1793 eingeläuteten Existenzkrise der ein halbes Jahr zuvor begründeten französischen Republik. Bestimmt wurde diese Politik, die auf die aktuellen Problemlagen mit der Schaffung revolutionärer Sonderinstitutionen antwortete, im Parlament, dem Nationalkonvent, zunächst durch die Girondisten, dann seit Juni durch die Bergpartei (Montagnards), welche die zuvor im Keim angelegte »Revolutionsregierung« und dann die »Schreckensherrschaft« zu ihrer vollen Entfaltung brachten.
Die Diskussion über die Terreur wird dadurch erschwert, dass der Begriff keineswegs eindeutig ist und verschiedene Versuche, typologische Deutungsmuster zu etablieren, miteinander konkurrieren. Im politischen (und polemischen) Sprachgebrauch verdichtet sich seine Verwendung seit dem Spätsommer 1793 als Ausdruck (sozial-)revolutionärer Forderungen nach einer wehrhaften Republik, wird aber seit dem Herbst 1794 ideologisch gegen die zuvor betriebene Politik gekehrt und bestimmt diese kategoriell als im Kern willkürlich und unrechtmäßig. Dabei wurden Ausdrücke wie »règne de la Terreur« (Schreckensherrschaft) oder »système de la Terreur« geprägt, die dieser Herrschaft einen systemischen Charakter unterstellten. Diese Begriffsverwendung entstand aus der nachträglichen Abgrenzung der für den Sturz Maximilien Robespierres verantwortlichen »Thermidorianer« von der bis Juli 1794 betriebenen Politik heraus, an der viele dieser Thermidorianer tatsächlich aber mitgewirkt hatten. Indem sie den Fokus auf andere Akteure, allen voran Robespierre, richteten und die Terreur als in sich abgeschlossenes System von der eigenen politischen Gegenwart abschotteten, versuchten sie sich (teilweise erfolgreich) zu salvieren.
Schließlich wird der polymorphe Terminus Terreur zur Bezeichnung einer Epoche innerhalb der Französischen Revolution verwendet, insbesondere für den Zeitabschnitt zwischen Frühjahr/Sommer 1793 und Sommer 1794. So wurde aus der Terreur als einem Leitbegriff der zeitgenössischen politischen Debatten die Terreur als Epochensignum.
Ein Konsens über den Epochenbegriff und seine zeitliche Eingrenzung wurde in der Forschung nicht erzielt. Unterschiedlich bewertet wurde und wird auch das Verhältnis zwischen der Terreur und den vorhergehenden Phasen der Französischen Revolution. Mit der Frage der Einordnung der »Schreckensherrschaft« in die französische Revolutionsgeschichte verbunden ist die Diskussion um das grundsätzliche Verhältnis von Revolution und Gewalt. Bisweilen wird der Begriff Terreur auch auf andere Zeitabschnitte der Französischen Revolution angewendet, die mit signifikanten Gewaltausbrüchen verknüpft waren.
Neben den verschiedenen Konnotationen des Begriffs Terreur ist es aber vor allem die ideologische Aufladung der Diskussion um die Terreur, die eine wissenschaftliche Aufarbeitung erschwert. Wie wenige andere historische Ereignisse und Entwicklungen, ist die Wahrnehmung der Terreur durch den Filter der jeweiligen historischen, politischen und gesellschaftlichen Position des Betrachters geprägt.
Einerseits betrifft die Diskussion um die Terreur also Grundprobleme der Geschichte der Französischen Revolution und revolutionärer Gewalt, andererseits erschweren ideologische Prämissen ihre Deutung.
Umso begrüßenswerter ist es, dass sich der renommierte und durch ausgewogene Darstellungen zur Geschichte der Französischen Revolution ausgewiesene Historiker Jean-Clément Martin, Emeritus der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und ehemaliger Direktor des Institut d’histoire de la Révolution française, in einem jüngst erschienenen Buch zu Wahrheit und Legenden der Terreur widmet, denn kaum ein Terminus der französischen Geschichte ist aus den dargelegten Gründen so zentral für das Verständnis eines grundlegenden Problems der (französischen) Geschichte und zugleich so umstritten wie die Terreur in ihren verschiedenen semantischen Facetten. Die Terreur bedarf daher in besonderer Weise einer der ideologischen Implikationen bewussten und jene offenlegenden Aufarbeitung.
Jean-Clément Martin gelingt dies in seinem Buch in vorzüglicher Weise. Schicht für Schicht dekonstruiert der Verfasser die Genese des Mythos von der Terreur, welcher zu ihrer Vereinnahmung für die Klassifizierung totalitärer Regime des 20. Jahrhunderts, von der »terreur rouge« in der UdSSR, China und Kambodscha bis hin zur »terreur brune« in Nazi-Deutschland, führte. Doch nicht nur die »Wirklichkeit«, sondern auch die »Legende« der Terreur gehen, wie Clément in seinem Vorwort hervorhebt, bereits auf die Akteure der Revolutionsdekade zwischen 1789 und 1799 selbst zurück. Aus der Vielschichtigkeit der Bedeutungszuschreibungen resultiere eine Heterogenität auch in der Forschungslandschaft, die mehr als zweihundert Jahre nach den revolutionären Ereignissen dazu führe, dass weder über die genaue Begriffsbestimmung noch über die Dauer der Terreur als Abschnitt der Revolutionsgeschichte eine Übereinkunft zu erzielen sei. Die Antwort auf ihren Beginn hänge beispielsweise mehr von den Überzeugungen (convictions) als vom Fachwissen (connaissances) ab. Clément beabsichtigt zum einen, in seinem Werk darzulegen, dass die Terreur – entgegen einer zwar längst widerlegten, aber dennoch weit verbreiteten Fehlannahme – durch die französischen Revolutionäre niemals auf die »Tagesordnung« gesetzt und juristisch entsprechend verankert wurde. Zum anderen versucht er die Konstruktion des Mythos Terreur, die dahinter stehenden Mechanismen und die mit der Legendenbildung verbundenen politischen Absichten offenzulegen (vgl., besonders für die Zitate: »Avant-propos«, S. 7–11).
In 32 Kapiteln widmet sich Clément den zentralen Aspekten der Geschichte der Terreur, ihrer Datierung, der Rolle von Akteuren, Institutionen, Instrumenten und Strukturen, den gesetzlichen Grundlagen, der Diskussion um die Opfer(-zahlen), der Ausprägung der Schreckensherrschaft in Paris, den Provinzen (namentlich auch der Vendée) und in den Kolonien sowie der Transformation der Terreur zu einer Denkkategorie, einem Mythos, einem literarischen Gegenstand und schließlich zur Präfiguration der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die diversen semantischen Ebenen des Begriffs durch Clément mit chirurgischer Präzision voneinander getrennt und zugleich deren Wechselwirkungen offengelegt werden. Obwohl der Verfasser in zentralen Fragen der Debatte um die Terreur deutlich Stellung bezieht (beispielsweise mit einer klaren Absage an die Datierung ihres Anfangs im Revolutionsjahr 1789), bildet sein sachlich wie stilistisch überzeugendes Buch vor allem ein Plädoyer für die Versachlichung der ideologisch aufgeladenen Diskussion. Über seinen konkreten Untersuchungsgegenstand hinaus, zeigt es ferner die Erkenntnispotentiale der Erforschung historischer Mythenbildungen und ihrer (politisch-ideologischen) Instrumentalisierung auf.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Guido Braun, Rezension von/compte rendu de: Jean-Clément Martin, La Terreur. Vérités et légendes, Paris (Perrin) 2017, 240 p. (Vérités et légendes), ISBN 978-2-262-06773-1, EUR 13,00., in: Francia-Recensio 2019/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59818