Nach der Edition der »Oisivetés«1, den gesammelten Denkschriften und Traktaten Vaubans, hat die Vauban-Spezialistin Michèle Virol jetzt die gesamte Korrespondenz des Festungsbaumeisters mit Ludwig XIV. ediert. Sie wird ergänzt um die vorbereitenden Notizen für die Audienzen beim König – Vauban hatte seit März 1703 das Recht der seconde entrée beim König, d. h. noch vor dem grand lever. Den Abschluss bilden private Notizen, Tagebücher, Entwürfe, Sammlungen; kurz Texte, die eigentlich für niemanden bestimmt waren, außer dafür, Vauban als Grundlage für seine Arbeit zu dienen.

Worin liegt die Bedeutung (und Berechtigung) dieser Edition? Eine Frage, die sich einfach beantworten lässt. Die mit einem minimalen quellenkritischen Apparat abgedruckten, aber sorgfältig und ausreichend kommentierten Korrespondenzen und Schriftstücke ermöglichen einen mikroskopischen Blick auf die Regierungspraxis Ludwigs XIV. in den letzten Jahrzehnten seiner Regierung, von denen es oft heißt, erst nach dem Tode Louvois’ habe er wirklich selbst regiert. Aber nicht nur das: Wir blicken Vauban über die Schulter, der Persönlichkeit, die wohl wie kaum ein anderer Zeitgenosse aus eigener Anschauung den Zustand und die Probleme des Königreiches Frankreichs in Krieg und Frieden kannte.

Nicht nur in zahlreichen Briefen von seinen Inspektionsreisen berichtet Vauban seinem König über die Instandsetzung von Festungen und Verteidigungslagen, vom Fortgang von Belagerungen während des Neunjährigen Krieges und im Spanischen Erbfolgekrieg, sondern auch bei regelmäßigen Audienzen und Gesprächen mit Ludwig XIV. Dieser ermutigt ihn regelmäßig, unverblümt seine Ansichten darzulegen, so etwa in einem Brief vom September 1693: »Vous pouvez me parler d’autant plus hardiment que je ne montrerai votre lettre à personne, et que cela demeurera entre vous et moi« (S. 138). Dieses besondere Vertrauen schützt Vauban in seinen Konflikten mit den Staatssekretären, insbesondere mit Barbezieux, der verärgert über Vaubans direkten Zugang zum Monarchen war – vor allem, weil er wusste, dass dies zu Lebzeiten seines Vaters Louvois nicht der Fall gewesen war (siehe z. B. S. 254ff., 258).

Vauban hielt sich an die Ermunterung Ludwigs XIV. und präsentierte dem König darüber hinaus seine Ideen über die notwendigen Inhalte des zu schließenden Friedens (S. 342ff.), oder hielt sich nicht zurück mit seiner Kritik über die Gefahren für die Sicherheit des Königtums, die sich aus den territorialen Bestimmungen des Friedens von Rijswijk ergaben. Bezeichnenderweise hat Ludwig auf dieses Memorandum nicht geantwortet (S. 289–292). Seine Denkschrift über die Rückführung der Hugenotten legte Vauban dem König nicht vor, versuchte aber – vergeblich – Madame de Maintenon dafür zu gewinnen, sie dem König vorzutragen (S. 94–98).

Die Erhebung zum maréchal de France 1703, die von Vauban lange erhoffte Belohnung für seine Anstrengungen, führte eine Veränderung in seiner Stellung herbei. Er war nun mehr Ratgeber als Praktiker. Belagerungen wurden den kommandierenden Marschällen überlassen; Vaubans letzte geleitete Belagerung war die von »Alt«-Breisach 1703. Parallel ist eine Entfremdung zwischen König und seinem Festungsbaumeister zu erkennen – er verlor das »Ohr« des Monarchen. Zwar durfte er seine Steuerreformideen, die berühmte dîme royale vortragen, doch bekanntlich stieß er auf Ablehnung.

Aber weit mehr noch als die Möglichkeit durch die Korrespondenzen und Gesprächsnotizen für die Audienzen, Entscheidungsprozesse, etwa im Hinblick auf die Kriegführung aus dem »Kabinett« detailreich zu rekonstruieren, ist auf den Wert der »écrits du for privé« (S. 437–542) hinzuweisen. Hier sieht man Vauban bei seinen Reisen über die Schulter, wie er unvermittelt und ohne »Selbstzensur« seine Eindrücke und Beobachtungen festhält. Seien es Überlegungen zur Reform der Armee, zum Zustand des Klerus – Vauban möchte die Anzahl der Mönche reduzieren (S. 482) –, zur Bekämpfung von Schädlingen in Getreidespeichern oder zu Missständen in der Administration des Königreiches (Vauban schimpft z. B. über die Nutzlosigkeit der »secretaires du roi« [»une des plus grandes ordures«, S. 447]), die Gründe der Desertion (S. 512f.) – Vauban hatte vieles im Blick.

Obwohl ein standesbewusstes Mitglied der noblesse d’épée und lebenslang Berufssoldat, war Vauban frei vom Standesdünkel und wurde vom Schicksal der Menschen um ihn herum berührt. Nutzlose Angriffe bei Belagerungen waren ihm ein Gräuel – Vauban wollte Festungen mit möglichst geringen Verlusten an Menschen erobern. Die Probleme Frankreichs in den »années de misère«, der großen Hungersnot von 1693–1694 – vor allem die Teuerung, der Steuerdruck und den Zusammenbruch von Produktion – erklärte er aus der Not der Untertanen: »La France ne produit que moitié de ce qu’elle devrait faire. Les raisons sont la faiblesse des paysans qui ne sont pas nourris et la plupart tous nus« (S. 445).

Entsprechend zielten Vaubans Reformforderungen auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Untertanen, die ja die Grundlage der »Größe« eines Monarchen seien (S. 494). Hierbei unterschied er zwischen »Größe« und der Qualität des »père du peuple« – erstere werde durch Krieg erworben (»en faisant périr des millions d’hommes et saccager beaucoup de pays«), letztere durch das Gegenteil. Die Notizen Vaubans lassen keinen Zweifel ob seiner Präferenz. Kritisiert wurde aber immer nur das Regierungshandeln – nicht die Monarchie an sich. Im Mittelpunkt der Tätigkeit des Herrschers aber sollte – mehrfach wiederholt in diesen Aufzeichnungen – das Wohl der Untertanen stehen, die nicht wie die Bevölkerung eines »pays de contribution« zu behandeln sei.

Der »Mensch« Vauban kommt in diesen z. T. sehr privaten Dokumenten, darauf weist Michèle Virol abschließend hin, jedoch nicht vor, sieht man von Bemerkungen über nicht enden wollende Erkältungen ab. Es ist davon auszugehen, dass diese Frage nach dem »Privaten« Vauban verwundert hätte.

Die Beispiele sollten ausreichen, um die Frage nach Berechtigung und Wert der Edition positiv zu beantworten. Einziger Wehrmutstropfen ist die Tatsache, dass auf ein Register verzichtet wurde – aber vielleicht sollte man dieses Manko ins Positive wenden: Es zwingt uns dazu, sich in diese faszinierenden Texte zu vertiefen.

1 Sébastien Le Preste de Vauban, Les Oisivetés. Édition intégrale établie sous la direction de Michèle Virol, Ceyzérieu 2007 (Les Classiques).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Michèle Virol (dir.), Louis XIV et Vauban. Correspondances et agendas, Seyssel (Champ Vallon) 2017, 560 p. (Les Classiques de Champ Vallon), ISBN 979-10-267-0628-1, EUR 26,50., in: Francia-Recensio 2019/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59832