Das Phänomen Beute, Plünderung und Kriegsgefangene ist faszinierend. Denn an ihm lassen sich ökonomische, rechtliche, symbolische, kriegerische, aber auch kulturhistorische Phänomene und Praktiken aufzeigen. Seit Menschengedenken wird in Kriegen geplündert und es werden Gefangene genommen. Kriegsbeute wird wiederverwertet, als Triumphzeichen in der Öffentlichkeit inszeniert oder Beuteobjekte werden weiterverkauft, verschenkt oder als Schatz gehortet. Die kulturhistorische Wende in der Militär- und Kriegsgeschichte hat in den letzten Jahren einige Publikationen zu diesem Phänomen hervorgebracht. Die meisten davon zum Spätmittelalter und zur Frühen Neuzeit, wo das Thema seit Fritz Redlichs Studie länger brachlag. Neuere Publikationen widmeten sich zudem dem Problem des Kulturgüterraubs und der Raubkunst während der NS-Zeit und im Kolonialismus.
Der vorliegende Band, hervorgegangen aus einer länderübergreifenden Tagung in Frankfurt am Main im Juni 2012, setzt nun seinen Schwerpunkt in der Spätantike und im Frühmittelalter. Für diese Epochen kann konstatiert werden, dass sie zum Thema Beute länger eher als untererforscht galt. Begrüßenswert ist zudem die sprachübergreifende Konzeption: Neben fünf französischsprachigen Beiträgen enthält der Band drei deutsch- und einen englischsprachigen Artikel. Gerahmt wird der Band durch eine Einführung ins Thema durch den Herausgeber Rodolphe Keller und eine Zusammenfassung sowie die Methodendiskussion aus der Feder der zweiten Herausgeberin Laury Sarti.
Rodolphe Keller betont in seiner Einleitung zu Recht, dass das Thema zu lange unter lediglich rechtshistorischer und institutionengeschichtlicher Perspektive untersucht wurde. Erst Georges Duby, Philip Grierson und später Timothy Reuter hätten den Blick geweitet und auch den anthropologisch geprägten Blickwinkel geöffnet. Keller bindet dann auch in seine Analyse weitere anthropologische und soziologische Literatur ein, um eine Art Modellhaftigkeit des Beutemachens aufzufächern. So beschreibt Keller das Beutemachen in Anlehnung an Marcel Mauss als relational und negative Reziprozität. Gewinnbringend wären hier allerdings sicher die Einbindung neuerer anthropologischer Zugänge und auch der einschlägigen Forschung von Patrick Geary zu den furta sacra gewesen. Keller betont jedoch richtigerweise, dass stets die Symbolik wie die Materialität der Beute berücksichtigt werden sollte und dass die Komplexität des Themas innerhalb dieser langen Zeitspanne kaum modellhaft nachgezeichnet werden kann.
Einen engeren, gleichwohl mehr als ein Jahrhundert überspannenden Zeithorizont wählt Benoît Rossignol, indem er die Plünderungspraktiken von der späten Antoninischen Dynastie bis zur Tetrarchie untersucht. Er kommt zum Schluss, dass Beutepraktiken sowohl im Reichsinnern als auch im Kampf gegen die Barbaren zentral waren. Als existenzielle Bedrohung von außen waren Piraterie und Plünderungen gleichsam konstitutiv für den Schutzanspruch der Kaiser. Beute war somit, gemäß Rossingol, ideologisch wie politisch zentral für das Herrschaftsverhältnis gegenüber den Soldaten und den Provinzen.
Methodisch stark und reflektiert ist der Beitrag des englischen Frühmittelalterhistorikers Guy Halsall, der die moralischen und physischen Aspekte des Plünderungskrieges untersucht und gleichsam relativiert. Er statuiert, dass neben den materiellen Bereicherungen durch Vieh- und Waffenraub auch immaterielle Gewinne wie Ehre und Zugehörigkeit zu einer spezifischen sozialen Gruppe wichtig waren für ein umfassendes Verständnis einer frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft.
Guido M. Berndt untersucht am Beispiel der gotischen Verbände und Kriegergruppen nach dem Tod Attilas im Jahr 453 deren Beutepraktiken im Krieg. Entscheidend sei unter anderem die Schnelligkeit der Krieger. Berndt zeigt zudem auf, dass der offene Krieg häufig vermieden wurde. Interessante Einblicke gewährt der Beitrag auch in die Rolle der Bischöfe beim Freikauf von Gefangenen, ein Phänomen, das sich bekanntlich bis in die Frühe Neuzeit zu ziehen scheint. Begrüßenswert ist an diesem Beitrag, dass die Lücken der Quellen und deren nicht immer ausreichende Verlässlichkeit zu ökonomischen Werten thematisiert werden.
Miriam Czock, die sich schon länger mit dem Thema Kirchenraub auseinandergesetzt hat, liefert in ihrem minutiös aufbereiteten Beitrag eine profunde rechtshistorische Perspektive auf die süddeutschen leges. Gleichwohl vernachlässigt sie kulturhistorische Analyseebenen keineswegs. Die »Lex Alamannorum« und die »Lex Baiuvariorum« sind bislang kaum vergleichend zu diesem Thema untersucht worden. Czock kann nicht nur den Wandel und Unterschiede des jeweiligen Rechtsverständnisses, sondern auch die Schutzfunktion der eigenen fragilen Gesellschaft vor Gewalt und Disziplinlosigkeit im Krieg durch Legiferierung des Plünderns aufzeigen.
Der Beitrag von Matthias Hardt, dessen Monografie zu geraubten Schätzen und Gold in der Spätantike einschlägig ist, thematisiert die Zusammenhänge zwischen gentiler Königsherrschaft und dem Gold der Reiterkrieger im ersten nachchristlichen Jahrtausend. Geraubte Schätze und Gegenstände aus Edelmetallen wurden durch die Reiterkrieger vielfach genutzt, bisweilen auch wieder zurückgeraubt. Hochinteressant ist ein Beispiel aus der Zeit Karls des Großen: Die Goldknappheit konnte, so Hardt, erst durch die Awarenbeute kompensiert und somit die kaiserliche Münzprägung der Goldsolidi ermöglicht werden. Gewissermaßen konnte erst durch Schatzraub Kaiserherrschaft symbolisch repräsentiert und somit öffentlich sichtbar gemacht werden.
Lucie Malbos Beitrag ist gewinnbringend, da sie einen längst notwendigen Perspektivenwechsel vornimmt. Bislang wurden gewaltsame Wikingereinfälle in Europa mehrheitlich aufgrund der archäologischen Befunde und der monastisch-westlichen Texte, die häufig stereotypisierend waren, beschrieben. Malbos zieht in ihrer Studie spätere skandinavische Texte, vornehmlich die isländischen Sagas bei, um die innerherrschaftlichen Logiken und Bedeutungen des Plünderns für die Wikinger selbst aufzeigen. So kann sie darlegen, dass die Wikinger gezielt und eben gerade nicht, wie im Westen wahrgenommen, chaotisch marodierend vorgingen. Beute war auch in der Perspektive der Wikinger Symbol und Zeichen für Triumph und Sieg und gleichsam materielle Bereicherung.
Die abschließende Zusammenfassung und Methodenreflexion von Sarti macht noch einmal die Vielfältigkeit der Fragestellungen und der diversen Zugänge auf Beutepraktiken, Bedeutungen und gesellschaftliche Funktionen deutlich.
Neben kleineren sprachlichen und typografischen Missständen ist vor allem die Konzeption des Bandes bzw. die dadurch entstehende Schieflage zu bemängeln. Zumindest zwei Beiträge fallen eher aus dem Rahmen: Der zweite Aufsatz von Sébastien Rossignol zu den Daleminziern listet zwar in extenso die archäologischen Befunde und wohl alle bislang bekannten schriftlichen Quellen mit Erwähnungen der Daleminzier auf. Jedoch bleibt es dabei. Zur Funktion der Beute oder der Tributzahlungen folgen letztlich Allgemeinplätze bzw. eine hypothetische Relativierung der älteren Forschung von Timothy Reuter, die besagt, dass die Beuteverteilung zentral für das Verständnis der Gefolgschaft sei. Dies mag an der schwierigen und vor allem einseitigen, sprich: christlich-chronikalischen Quellenperspektive liegen. Gleichwohl hätte man die Plünderungsschilderungen beispielsweise bei Thietmar von Merseburg in ihrer narrativen Funktion aufzeigen können: Wie bei zahlreichen monastisch geprägten Autoren des frühen Mittelalters plünderten in deren Sicht in der Regel nur die heidnischen Feinde. Das Böse lag somit immer außerhalb des eigenen Gebiets und es galt, diese Narrative zur Feindbildkonstruktion einzusetzen.
Auch der Beitrag von Marilia Lykaki bleibt letztlich zu oberflächlich; zwar präsentiert sie zahlreiche Quelleneinträge der byzantinischen Geschichte, die das Plündern oder die Gefangennahme und auch den Gefangenaustausch beschreiben. Diese reichen von griechischen bis zu hierzulande wenig bekannten arabischen Quellen. Zwar stellt die Autorin eine Abnahme der ökonomischen Bereicherungsmöglichkeiten durch Plünderungen und Gefangennahme und eine gleichzeitige gesteigerte Bedeutung der Reintegration der Beute in die Armee fest. Man vermisst in ihrem Beitrag jedoch eine Erläuterung der sozio-ökonomischen oder militärischen Hintergründe dafür. Dass das Plündern die Kriegsmaschinerie am Laufen hält und fester Bestandteil der Ernährungsversorgung der Soldaten ist, erscheint auf den ersten Blick logisch, insbesondere weil es eine gängige, wenn auch ältere und für zahlreiche Gebiete und Epochen überholte Forschungsmeinung ist.
Angesichts der Überschaubarkeit der Quellen aus der Spätantike und dem Frühmittelalter wäre im ganzen Band etwas mehr Methoden- und Quellenreflexion in den einzelnen Beiträgen von Nöten gewesen: Die Subjektivität der Quellen, deren begrenzte Aussagekraft zu tatsächlichen Beutepraktiken und zu den harten ökonomischen Verhältnissen des Plünderns und der Kriegsgefangenen wird leider in den Beiträgen selten erörtert. Dies ist erstaunlich, zumal in der Zusammenfassung von Sarti gerade dieser Umstand nochmals aufgenommen wurde. Hier scheint die Abstimmung unter den Schreibenden nicht erfolgt zu sein.
Wenig Reflexion und Methodendiskussion finden sich zudem in den Beiträgen zum Thema der Gefangennahme: Ein wesentlicher Unterschied zwischen Beuteobjekten und Kriegsgefangenen ist die unmittelbare Ökonomisierung der Gefangenen. Gefangennahme ist stets auf rasche Lösegeldforderung, Erpressung, oder Versklavung ausgerichtet, denn der Unterhalt der Gefangenen ist immer kostenintensiv. Die Option des Hortens oder der symbolischen Akkumulation fällt somit im Gegensatz zu Beuteobjekten völlig weg. Hinzu kommt, dass Gefangene oder Geiseln sich selbst freikaufen oder durch Verwandte oder Herrscher ausgelöst werden können und somit neue soziale Bindungen entstehen oder diese gestärkt werden, wie beispielsweise Wolfgang Kaiser für die Frühe Neuzeit aufgezeigt hat. Diese sozialen Bindungen funktionierten häufig außerhalb der Herrschaftsverbände. Dies gilt für Beuteobjekte naturgemäß nicht. Gleichwohl wären methodologische Überlegungen zum Verhältnis Mensch-Beuteobjekt interessant gewesen: Welche Formen der Beute waren mit Tabus belegt oder führten – wie bei den furta sacra – den Beutenehmern Schaden zu? Was passiert mit dem Sozialstatus eines Kriegsgefangenen während und nach der Gefangenschaft?
Nichtsdestotrotz ist der Sammelband eine starke und wichtige Bereicherung für die Erforschung des Themas Beute, Plünderungen und Kriegsgefangenschaft. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch zahlreiche Forschungsergebnisse der Archäologie integriert worden sind, ein Forschungszweig, der im Spätmittelalter leider häufig vernachlässigt wird. Sowohl die militärhistorische wie kulturgeschichtliche Forschung zur Spätantike und zum Frühmittelalter als auch zu den späteren Epochen findet in diesem Band interessante Ansätze und befruchtende Diskussionen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Michael Jucker, Rezension von/compte rendu de: Rodolphe Keller, Laury Sarti (dir.), Pillages, tributs, captifs/Plünderungen, Tributzahlungen und Gefangennahmen. Prédation et sociétés de l’Antiquité tardive au haut Moyen Âge/Die Aneignung von fremdem Eigentum von der Spätantike zum frühen Mittelalter, Paris (Éditions de la Sorbonne) 2018, 214 p., 3 ill., 2 cartes en n/b (Publications de la Sorbonne. Histoire ancienne et médiévale, 153), ISBN 979-10-351-0049-0, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2019/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59839