Samson von Dol († c. 565) gehört zu den zahlreichen bretonischen Heiligen, die aufgrund ihrer Reisetätigkeit in enger Beziehung zu den keltisch geprägten Gegenden der Britischen Inseln standen. Seine Lebensbeschreibung, die »Vita Ia« (BHL 7478–79), ist eine der frühesten Quellen zur Geschichte der Bretagne, Cornwalls und Wales’, die weitgehend unbekannt ist. Ihr ist der hier vorgestellte Band in großen Teilen gewidmet, denn insbesondere, was ihre Datierung betrifft, herrscht noch keine Einigkeit in der Forschung. Um hier mehr Klarheit zu erlangen, hat Lynette Olsen von der Universität Sydney sieben Beiträge zusammengestellt, die bis auf eine Ausnahme – die französische Studie Joseph-Claude Poulins – alle auf Englisch verfasst sind.
Um zwei wesentliche Ergebnisse gleich vorwegzunehmen: Es wurde keine Übereinstimmung erzielt, was die Datierung der »Vita Ia« betrifft: Während Joseph-Claude Poulin weiter der Überzeugung ist, dass der Text gegen Ende des 8. Jahrhunderts geschrieben wurde, glaubt die Mehrheit der Autoren an eine Abfassung bereits ein Jahrhundert zuvor. Keinen Zweifel gibt es jedoch an der Existenz einer früheren, heute verlorenen Vita, der »Vita primigenia« (BHL ), die einem gewissen Henoc zugeschrieben wird, deren Abfassungszeit aber unsicher ist. Auch wenn die einzelnen Studien hier kaum eingehend diskutiert werden können, sollen sie im Folgenden doch kurz vorgestellt werden.
Richard Sowerby (Edinburgh) benutzt die »Vita Ia« für eine Untersuchung zur Familie Samsons, die zu Laien- und Klerikerkreisen enge Beziehungen aufwies. Er geht auch der Frage nach, warum die Familie in der Vita so ungewöhnlich präsent ist, und folgert, dass ihr Ruf in engem Zusammenhang mit dem frühen Entstehen des Kultes Samsons steht. In ähnlicher Perspektive, aber mit z. T. anderen Schlussfolgerungen, besonders, was die »Vita primigenia« betrifft, untersucht Joseph-Claude Poulin (Montreal), woher die einzelnen Informationen aus der »Vita Ia« kommen, oder anders gesagt, welche Quellen dem Hagiografen zur Verfügung standen. Der kanadische Historiker unterstreicht dabei die Bedeutung der Lebensbeschreibung für die Geschichte der Bretagne und insbesondere Dols und schlägt als Abfassungszeitraum, wie schon angedeutet, das späte 8. Jahrhundert vor, wobei ein Einfluss der sogenannten karolingischen Renaissance auf die Sprache des Werkes noch nicht festzustellen ist.
Caroline Brett (Cambridge) zeigt in einer z. T. stark philologisch ausgerichteten Arbeit, dass die Vita des Paternus, des Bischofs von Avranches, die von Venantius Fortunatus im 6. Jahrhundert geschrieben wurde, nicht nur der »Vita Ia« und der »Vita IIa« des Samson, sondern sogar der »Vita primigenia« zugrunde lag. So erlangt sie wichtige Erkenntnisse zum religiösen und kulturellen Austausch zwischen der Bretagne und dem Norden Neustriens. Ian Wood (Leeds) untersucht den historischen Kontext, in dem Samson gewirkt hat, interessiert sich insbesondere für die Klostergründung von Pental an der Seinemündung und untersucht bei dieser Gelegenheit auch die Beziehungen Columbans zur südöstlichen Bretagne. Dessen Aura hat offensichtlich in der Folgezeit die Bedeutung Samsons und seines Asketentums zu sehr in den Schatten gestellt.
Constant Mews (Melbourne) setzt die »Vita Ia« zur sogenannten »Ratio de cursus« (sic!), einem Text aus der Mitte des 8. Jahrhunderts, in Beziehung, in dem die irische und gallikanische Liturgie verteidigt werden. Es geht ihm dabei um den Stellenwert irischer Traditionen in einer Zeit, in der der römische Ritus bereits auf dem Vormarsch war. Mit seinem Interessenschwerpunkt für die Aufenthalte Samsons in Wales und Cornwall geht es Jonathan Wooding (Sydney) um das Ideal der peregrinatio, des selbst verordneten asketischen Exils, das in der »Vita Ia« Samsons zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wales steht auch im Zentrum von Karen Jankulaks (University of Wales) Studie. Obwohl hier Samson besonders aktiv war, spiegelt sich dies in seiner Kultgeschichte nur sehr bedingt wieder.
Insgesamt macht das Buch deutlich, wie komplex die Analyse von Heiligenviten sein kann, und wieviel diese doch zu einem besseren Verständnis des Mittelalters beitragen. Besonders schätzenswert ist, dass die Autoren die meist leichten Differenzen nicht nivelliert haben, sondern es dem Leser bzw. der Leserin erlauben, sich anhand klarer Argumentationen selbst ein Bild zu machen. Der Band stellt daher nicht nur für das Verständnis Samsons, sondern auch für die hagiografische Forschung im Allgemeinen eine Bereicherung dar.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Klaus Krönert, Rezension von/compte rendu de: Lynette Olson (ed.), St Samson of Dol and the Earliest History of Brittany, Cornwall and Wales, Woodbridge (The Boydell Press) 2017, VIII–219 p., 5 tabl. (Studies in Celtic History, 37), ISBN 978-1-78327-218-1, GBP 60,00., in: Francia-Recensio 2019/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.59859